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Beatrix Lampe
Immer mehr Städte setzen auf einen
Klimawandel
Vom "Störfaktor" Kinder zum
Generationen-Miteinander
Für Kinderfreundlichkeit in Deutschland
sind Hort- und Spielplätze nicht die wichtigste Messlatte.
Familien wünschen sich vor allem eine Atmosphäre, in der
Kinder nicht als "Störfall" gelten, sondern das Miteinander
der Generationen als Bereicherung empfunden wird. Bundesweite
Modellprojekte erforschen, wie Städte und Gemeinden aktiv zur
Klimaverbesserung beitragen können.
Ihre Pflichtaufgaben hat die Stadt
erfüllt. "Ich habe einen Kindergartenplatz für meine
Jüngste, die beiden Älteren können einen attraktiven
Spielplatz und eine tolle Stadtbücherei gleich vor der
Haustür nutzen und die schulische Versorgung ist o.k.", sagt
eine Kölner Mutter von drei Kindern. "Trotzdem habe ich nicht
das Gefühl, in einer kinderfreundlichen Stadt zu leben, und
das ist eine echte Belastung." Der Beitrag von Familien zur
Gesellschaft werde nicht genügend anerkannt, sondern im
Gegenteil Kinder als "Störfaktoren" wahrgenommen, beklagten
zahlreiche Familien vor drei Jahren bei einer großen
repräsentativen Umfrage, bei der sich im Rahmen einer
bundesweiten Studie fast 14.000 Menschen in Köln zu
familienfreundlichen Angeboten der Stadt und zu ihren eigenen
Wünschen äußerten.
Richtig gute Noten für
Familienfreundlichkeit verteilte dabei nur ein Drittel der
Befragten. Vor allem Eltern mit drei oder mehr Kindern waren
unzufrieden. Gerade in Stadtteilen, wo die Verkehrsplanung deutlich
eher Autofahrer- als Kinderinteressen berücksichtigt hat, und
in sozialen Brennpunkten fordern Eltern mehr Schutz, mehr Platz,
mehr Rücksicht. Das sei nicht durch Nachbesserungen zu
erreichen, sondern das Familieninteresse müsse ganz früh
und bei allen Verwaltungsentscheidungen zum Kriterium
werden.
Dieses Manko in der planerischen
Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bürgern ist beileibe nicht
auf Köln begrenzt, wie die Familienfreundlichkeitsstudie in
zehn großen und kleinen Kommunen zwischen Brunsbüttel und
Karlsruhe, Frechen und Naumburg an der Saale zeigte. "In manchen
Stadtverwaltungen findet sich - immer noch - die Grundhaltung, dass
die beste Bürgerbeteiligung die wäre, wenn keiner kommt",
schildert Heiderose Kilper vom Institut für
Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität
Hannover die in Umfragen häufig beklagte Situation. Wenn dann
die Betroffenen - oft ziemlich spät - doch noch beteiligt
werden wollten und Kritik äußerten, führe dies in
den Verwaltungen zu Unzufriedenheit und unnötigen Mehrkosten,
weil bereits laufende Entwicklungen korrigiert werden müssten.
Viel klüger sei - wie im Modellprojekt über die
gesetzlichen Vorgaben hinaus entwickelt - eine frühzeitige
Familienbeteiligung.
Damit hat beispielsweise die Verwaltung in
Brunsbüttel bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. Statt
negative Kritik zu schon vorgedachten Planungen für ein neues
Wohngebiet abzuwarten, wurden die Bürger ganz zu Beginn der
Überlegungen eingeladen, ihre Interessen vorzubringen und
Gestaltungsanregungen zu geben. Aus Gesprächen, an denen auch
Jugendliche und Kinder beteiligt waren, gewannen die Bürger
den Eindruck, mit ihren Wünschen ernst genommen zu werden und
politische Entscheidungen nicht nur passiv zu erleben, sondern
aktiv mitzugestalten.
Die Stadtverwaltung zog ein so positives
Resümee, dass der Rat beschlossen hat, Familien- und
Kinderfreundlichkeit in Brunsbüttel
ämter-übergreifend zum Entscheidungskriterium zu
bestimmen. Das werde "die Zukunftsfähigkeit der Kommune
stärken", ist die Stadt Brunsbüttel überzeugt. Denn
das Modellprojekt hat bei den beteiligten Kommunen die Erkenntnis
geweckt, dass eine Stärkung des "Netzwerks Familie" dem ganzen
Gemeinwesen nützt.
Diese Überzeugung "klimatisch" in allen
städtischen Dienststellen und eben nicht nur bei den
Ämtern für Kinder, Jugend und Familie zu verankern, ist
ein Hauptanliegen des Modellprojekts, dessen Erfahrungen die
beteiligten Städte nicht nur selbst nutzen, sondern auch
weiter vermitteln wollen. Denn im Wettbewerb um Einwohner, Finanzen
und Wirtschaftsstrukturen spielen Familien eine wesentliche Rolle,
sie üben weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung der
Kommune aus. "Ob sich junge Menschen für Kinder entscheiden
und wie sie ihr Familienleben gestalten, ob Kinder und Jugendliche
Chancen zur Partizipation und Raum zur Entwicklung erhalten und ob
sie bereit sind, in Zukunft Verantwortung für das Gemeinwesen
mit zu übernehmen, hängt wesentlich von ihrem
unmittelbaren lebensräumlichen Umfeld ab", zeigte sich die
frühere Familienministerin Christine Bergmann beim Berliner
Kongress zur Kinder- und Familienfreundlichkeit in den Kommunen im
September 2002 überzeugt und forderte eine Bereitschaft zur
Veränderung in Stadt- und Gemeindeverwaltungen.
Ein Schritt in diese Richtung wäre nach
einmütiger Einschätzung der Modellgemeinden der Abschied
von einem zu eng gefassten Familienbegriff. Die Universität
Hannover kam in Gesprächen mit durchaus an
Familienförderung interessierten Entscheidungsträgern in
den Städten zur verblüffenden Erkenntnis, dass kinderlose
Amtsleiter sich schwer damit taten, Familienfreundlichkeit in ihrem
Wirkungsbereich zu propagieren. Sie betrachten
"Familienfreundlichkeit" isoliert, bezogen den Handlungsbedarf
vorwiegend auf Eltern mit kleineren Kindern. "Sobald aber deutlich
wurde, dass von ‚Familie' als einem
generationenübergreifenden Netzwerk gesprochen wurde, in dem
auch ältere Generationen - sprich: die eigenen Eltern - eine
Rolle spielen, veränderten sich die Blickwinkel und
Problemsichten", beschreibt Heiderose Kilper in der
wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts den neuen
Ansatz.
Ein "Netzwerk Familie", das vielfältige
Verbindungen sowohl generationen- als auch
haushaltsübergreifend darstellt, ermögliche interessante
Verknüpfungen von Jugendhilfe- und Altenhilfeplanung mit
Familienförderung im Sinne einer "sozialen Strukturpolitik".
Auch hier seien Kommunen aufgerufen, Familien nicht vorwiegend als
Leistungsempfänger zu sehen, sondern ihren Beitrag zu einer
nachhaltigen sozialen Entwicklung zu würdigen und ihre
Kompetenz zu nutzen.
Die ämterübergreifenden
Zusammenhänge zwischen Familien- und Kinderfreundlichkeit
einerseits und Wirtschaftsförderung, Stadtentwicklung,
Beschäftigungspolitik, Bildungs- und Gesundheitsförderung
wollen die am Modellprojekt beteiligten Kommunen transparent
machen. Vorstellbar wäre ein Konzept zur Zertifizierung der
Kinder- und Familienfreundlichkeit in der Kommune. Mit einem
solchen Prädikat lässt sich gut werben, wie die
Initiative "Familienfreundliche Kommune" in Baden-Württemberg
beweist. In einem landesweiten Netzwerk kann jede Kommune von den
Erfahrungen anderer Städte und Gemeinden mit
familienfreundlichen Neuerungen profitieren. Die Ausstattung nicht
nur mit kinderfreundlichen Einrichtungen, sondern auch mit
Bauförderung für Familien, mit integrativen Angeboten vom
Kindergartenalter an und mit konkreten Mitsprachemöglichkeiten
in der Kommune betrachtet die familienwissenschaftliche
Forschungsstelle als Entscheidungshilfe für Familien bei der
Wohnortwahl.
In Köln hat - wie in den anderen
Kommunen - der veränderte familienpolitische Ansatz infolge
des Modellprojekts schon kleine und große Früchte
getragen. Die Kritik an wenig kinderfreundlichen Behörden ist
bei den Mitarbeitern etlicher Ämter angekommen und hat dazu
geführt, dass Spielecken in den Wartezonen für
Entspannung sorgen. In der Leitbild-Debatte, mit der die Stadt
Handlungskonzepte bis ins Jahr 2020 einleitet, spielen Kinder und
Familien nicht nur eine Statistenrolle an der Seite anderer
stadtplanerischer Kriterien, sondern sind ein zentrales
Thema.
Selbstanalyse mit Kriterienkatalog
Von "erheblichen Verbesserungen" bei
wohnungspolitischen Entscheidungen durch die intensiven neuen
Kontakte mit Familien spricht die Stadt Frechen nach ersten
Erfahrungen mit dem veränderten Arbeitsansatz. Fast alle
Städte haben für jede ihrer Dienststellen vom Tiefbauamt
bis zum Referat für Arbeitsmarktpolitik einen Kriterienkatalog
für Kinderfreundlichkeit festgelegt und ermuntern die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur selbstverständlichen und
gleichrangigen Beachtung von Kinderinteressen.
Hilfreich für Kommunen, die dem Beispiel
folgen und sich einen raschen Eindruck von der eigenen Kinder- und
Familienfreundlichkeit verschaffen wollen, ist ein "Kurztest", den
das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
im Erfahrungsbericht zum Projekt veröffentlicht. Kommt eine
Gemeinde im Test zur Erkenntnis, dass Familieninteressen
beispielsweise bei der Mitarbeiterschulung, in Strategien sozialer
Strukturverbesserung, bei den Öffnungszeiten städtischer
Dienststellen, bei Straßenverkehrsangelegenheiten oder so
Profanem wie der Müllabfuhr bisher zu kurz gekommen sind, kann
sie das praxiserprobte Rahmenkonzept zum Umdenken
nutzen.
Die Autorin ist Redakteurin beim Kölner
Stadtanzeiger.
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