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Florian Kain
Paare mit Nachwuchs brauchen mehr als attraktiven
Wohnraum
Hamburg steuert einen neuen Kurs in der
Familienpolitik
Hamburg zählt zweifellos zu den
attraktivsten Wohnorten Deutschlands. Das einzigartige maritime
Flair, viele Grünflächen, schmucke Altbauten, der Hauch
von Internationalität und ein besonders breit gefächertes
Angebot an Freizeit-, Vergnügungs-, aber eben auch
Arbeitsmöglichkeiten bescheren dem Stadtstaat immer wieder
Spitzenplätze in den Studien jener Forscher, die die
Lebensqualität in deutschen Landen unter die Lupe nehmen. Doch
der schöne Schein trügt. Unter der Oberfläche
brodelt es - und zwar gewaltig. Denn viele Bürger verlassen
die pulsierende Metropole, verlegen ihren Daseinsmittelpunkt ins
beschaulichere schleswig-holsteinische oder niedersächsische
Umland wie zum Beispiel nach Pinneberg, Stormarn, Harburg oder
Stade.
Die Demographen wissen seit langem: Es sind
vor allem junge Eltern, die sich aus freien Stücken für
den Fortzug in die Provinz entscheiden. Von der quantitativen
Dimension langfristig sinkender Bevölkerungszahlen einmal
abgesehen, droht der Stadt das Gespenst der "selektiven
Schrumpfung", wie das Bonner Institut empirica in einer Aufsehen
erregenden Studie bereits Ende 2001 festgestellt hat. Dieser
Prozess ist, obwohl er erst seit kurzem als Bedrohung begriffen
wird, schon etliche Jahre im Gange: So hat Hamburg in der Zeit von
1971 bis 2001 im Saldo über eine Viertelmillion Einwohner an
das Umland verloren. Eine Entwicklung, die der Stadt schwer zu
schaffen macht. Denn der unweigerliche, von den Behörden
nüchtern als "Verlust an Steuergeldern, Kaufkraft und
Humankapital" umschriebene Effekt der Abwanderungswelle bedeutet
eine ernsthafte Gefährdung der Zukunftsfähigkeit der 1,7
Millionen Einwohner zählenden Metropole. Noch plastischer wird
das, wenn man den Blick auf die Zahl der Familien mit Kindern in
Hamburg wirft: Sie ist seit 1976 um 45.000 auf 165.000 im Jahr 2001
gesunken, ein Minus von satten 20 Prozent. Im gleichen Zeitraum
stieg der Anteil der Singlehaushalte rapide an, und zwar von
320.600 auf 447.400, ein Zuwachs von 40 Prozent. Oder anders
ausgedrückt: Lebten 1976 noch rund 343.600 Kinder unter 18
Jahren in der Stadt, so waren es 2001 nach Angaben des
Statistischen Landesamtes lediglich noch 275.200. Es ist nicht von
der Hand zu weisen: Hamburg droht, eine kinderarme Stadt zu
werden.
Doch ist es zu kurz gegriffen, die
Abwanderung der Familien allein mit deren angespannter
Finanzsituation und dem zu teuren Hamburger Wohnraum zu
erklären. Schließlich sind es nicht die Ärmsten, die
die Stadt verlassen, sondern im Gegenteil eher Familien aus den
mittleren Einkommensschichten, die ins Umland ausweichen, um dort
ihre Kinder großzuziehen. Dazu kommt, dass sich die Mieten in
Hamburg, wie Anika Wichert von der Sozialbehörde zu Recht
betont, noch auf vergleichsweise moderatem Niveau bewegen.
Außerdem gilt der Immobilienmarkt als einigermaßen
entspannt. Und die Förderung der Eigentumsbildung vor allem
für junge Eltern ist ein wichtiger Bestandteil hanseatischer
Wohnungspolitik. Es existieren zahlreiche Programme, die
Wohnungsbaukreditanstalt (WK) etwa gewährt beim Errichten von
selbstgenutztem Wohneigentum Familienzusatzdarlehen, gestaffelt
nach der Anzahl der Sprösslinge. Doch allein diese
Maßnahmen reichen nicht aus, um die Abwanderung ins Umland
wirksam einzudämmen. Es geht eben nicht nur um die bloße
Finanzierbarkeit, sondern auch um die Qualität der
Lebensperspektiven von Familien in der Großstadt. Genau hier
soll nach eigenem Bekunden die Politik des Senats, der dringenden
Handlungsbedarf erkannt hat, ansetzen. Publik wurde dieses von
mehreren Behörden als Querschnittsaufgabe verstandene Ziel
erstmals 2002, als die (seinerzeit noch nicht von der CDU alleine,
sondern gemeinsam mit Schill-Partei und FDP gebildete) Regierung
mit ihrem Leitbild "Metropole Hamburg - Wachsende Stadt" in die
Öffentlichkeit ging. In dieser 73 Seiten starken Drucksache
kündigte der Senat unter Bezugnahme auf die verheerenden
Ergebnisse der empirica-Studie an, die Abwanderung ins Umland mit
effektiven Maßnahmen deutlich zurückführen zu
wollen. Motto: "Die Menschen sollen nicht nur in Hamburg arbeiten,
sondern auch in der Stadt wohnen."
Genau zwei Jahre sind seitdem verstrichen.
Und tatsächlich hat die Regierung inzwischen ein großes
Paket an zukunftsweisenden Maßnahmen geschnürt, die zum
größten Teil indes noch in der Entwicklungsphase sind.
Beispiel Flächenpolitik: Unmittelbar auf den Weg gebracht
wurde ein "Sofortprogramm Wohnbauflächen", das dazu beitragen
soll, Familien mit Kindern bei der Verwirklichung ihres Traums vom
Eigenheim mit Garten im Grünen zu helfen - innerhalb der
Stadtgrenzen, versteht sich. Auf den 19 Flächen dieses
Sofortprogramms werden rund 3.250 Wohneinheiten, davon etwa 2.400
Einfamilienhäuser, errichtet. Die Planungen laufen,
Gestaltungswettbewerbe wurden ausgeschrieben und zum Teil bereits
entschieden. Insgesamt liegt das Bauvolumen bei mehr als 25.000
Wohneinheiten, die sich indes überwiegend am Stadtrand
befinden. Doch auch im Herzen Hamburgs, wie Claudia Eggert von der
Behörde für Stadtentwicklung bekräftigt, sollen
künftig wieder mehr Familien ein attraktives Lebensumfeld
finden. Beispiel HafenCity: Das ehrgeizige und europaweit einmalige
Projekt eines vollkommen neuen Wohn- und Arbeitsviertels, das
derzeit in exponierter Wasserlage auf 155 Hektar Gesamtfläche
im Süden der Hamburger Innenstadt entsteht, soll in nur 800
Meter Entfernung vom Rathaus 5.500 Wohnungen für bis zu 12.000
Einwohner offerieren. "Davon", so Eggert, "orientieren sich mehr
als 50 Prozent an den Bedürfnissen von Familien, und zwar zu
bezahlbaren Konditionen."
Wünschbare Perspektive
Ein Leben am Wasser, inmitten von
Hightechfirmen und mit Blick auf gigantische Ozeandampfer - ist das
visionäre Träumerei oder wirklich eine realistische, gar
wünschbare Perspektive für das Aufwachsen von Kindern?
Ist das die spezifische Lebensqualität, die Hamburgs Eltern
bisher so oft vermisst haben? "Eine autofreiere Zone finden Sie in
der gesamten Stadt nicht", argumentiert die Sprecherin der
Stadtentwicklungsbehörde und hat damit nicht ganz Unrecht. Wie
ernst der Beust-Senat es mit seinen Plänen meint, beweist der
jüngst gefasste Beschluss, auf dem futuristisch anmutenden
Gelände der HafenCity sogar eine Grundschule entstehen zu
lassen. Außerdem soll (wie bei anderen Neubauprojekten auch)
für ausreichend Spielflächen gesorgt sein. Da aber solche
städtebaulichen Maßnahmen nur eine, wenn auch besonders
entscheidende Komponente des Politikfelds "Familie" sind, wurden
sämtliche Behörden, deren Aufgabenfelder Bezug zu Kinder-
und Familienthemen haben, an einen Tisch geholt, um in einer
Arbeitsgemeinschaft "Familien- und kinderfreundliches Hamburg" alle
relevanten Politikentscheidungen daraufhin zu überprüfen,
ob sie auch wirklich geeignet sind, die Lebensbedingungen von
Familien in Hamburg zu verbessern. In der Behörde für
Soziales und Familie wurde außerdem ein Bündel an
flankierenden Maßnahmen auf den Weg gebracht, das die
Attraktivität Hamburgs für junge Familien zusätzlich
erhöhen kann. So kommt 2005 zum Beispiel der "Familienpass".
Eltern und Nachwuchs dürfen damit kulturelle Angebote wie
Theater, Konzert, Sport und Ferienreisen kostenlos oder zu stark
reduzierten Preisen nutzen. Hintergrund: Die Entscheidung für
Kinder soll aufgrund der damit verbundenen finanziellen Bürden
nicht zu einer gravierenden Benachteiligung gegenüber
kinderlosen Erwachsenen bei der Teilnahme am kulturellen und
sozialen Leben führen.
Eine weitere Entlastung: Seit 1. August
bekommen alle berufstätigen Paare ein Betreuungsangebot
für ihre Kinder. Und ebenfalls seit diesem Jahr haben mehr
Familien als bisher die Möglichkeit, mit öffentlichen
Zuschüssen ihren Urlaub zu finanzieren: Die Einkommensgrenze
liegt nun beim Zweifachen des Sozialhilfesatzes. Doch
Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) warnt vor dem
Irrglauben, der Staat könne Familienfreundlichkeit quasi "von
oben" verordnen. Es liege letztlich in der Verantwortung aller
Bürger, in Hamburg eine Atmosphäre entstehen zu lassen,
die es den Familien leicht macht, sich für ein Leben in der
Metropole zu entscheiden.
Florian Kain ist freier Journalist in
Hamburg.
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