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Jutta Witte
Eine bessere Infrastruktur hilft den Eltern und
der Wirtschaft
In der Kinderbetreuung haben die neuen
Bundesländer die Nase vorn
Kinderlosigkeit gilt in Deutschland als das demographische
Problem schlechthin. Über fehlende finanzielle
Unterstützung können sich deutsche Familien mit Kindern
zwar kaum beklagen. Dennoch stagniert die Geburtenrate bei 1,29 in
den alten und 1,2 Kindern in den neuen Bundesländern. Damit
gehört die Bundesrepublik zu den Schlusslichtern in Europa.
Eine neue politische Strategie, weg von der überwiegend
monetären Förderung hin zu Dienstleistungen, die wie in
Dänemark oder den Niederlanden Eltern eine bessere
Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Frauen eine frühere
Rückkehr ins Arbeitsleben ermöglichen, ist nach Ansicht
der Experten überfällig.
Dreh- und Angelpunkt ist hierbei die Kinderbetreuung, und dies
nicht nur, um der individuellen Lebensplanung Rechnung zu tragen,
sondern auch unter harten volkswirtschaftlichen Aspekten: Rund
sechs Millionen Euro pro Jahr könnten die
Sozialhilfeträger sparen, rechnet das Deutsche Institut
für Wirtschaftsforschung vor, wenn 1.000 allein erziehende
Mütter aufgrund einer besseren Betreuungssituation arbeiten
könnten. 1.000 arbeitslose Akademikerinnen, die in den
Arbeitsmarkt integriert werden könnten, würden dem Fiskus
rund sieben Millionen Euro und der Sozialversicherung rund zehn
Millionen Euro mehr im Jahr einbringen. Die Liste ließe sich
beliebig fortsetzen. Die Einnahme- und Einspareffekte einer
besseren Infrastruktur in der Kinderbetreuung bezeichnet das
Institut in seinem Gutachten von 2002 jedenfalls als
"erheblich".
Sachsen-Anhalt an der Spitze
Obwohl sich die meisten Bundesländer den geforderten
Paradigmenwechsel mittlerweile auf die Fahnen geschrieben haben,
bedeutet Kinderbetreuung in der Regel nicht mehr als die Garantie
eines Kindergartenplatzes. Ganztagsbetreuungsplätze und
Betreuungsangebote für unter Dreijährige und Schulkinder
jedoch sind vor allem in den alten Bundesländern Mangelware.
In der so genannten Platz-Kind-Relation haben die ostdeutschen
Länder im Krippen- und Hortbereich und bei Ganztagsangeboten
eindeutig die Nase vorn. So liegt nach Angaben des Statistischen
Bundesamtes bei der Versorgung mit Krippenplätzen
Sachsen-Anhalt mit 57 Prozent an der Spitze, gefolgt von
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. In weiter Ferne kommen mit
zehn und 13 Prozent die Stadtstaaten Hamburg und Bremen. Die
Flächenstaaten im Westen erreichen magere Werte zwischen drei
und fünf Prozent.
"Sachsen-Anhalt verfügt über eine Kinderbetreuung mit
Spitzenqualität", betont der dortige Sozialminister Gerry
Kley. Und dies liegt nach Überzeugung des FDP-Politikers nicht
nur an einer aus DDR-Zeiten ererbten Infrastruktur, über die
alle neuen Bundesländer nach der Wende verfügen konnten,
sondern an einer bewussten politischen Schwerpunktsetzung auf die
Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Seit
März 2003 stellt ein Kinderförderungsgesetz
Kinderbetreuung auf hohem Niveau sicher. Sachsen-Anhalt garantiert
einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung von null bis 14 Jahre.
Sind beide Eltern berufstätig, umfasst der Anspruch zehn
Stunden am Tag, andernfalls fünf Stunden.
Für Kinder im Krippenalter kann der Rechtsanspruch auch
über Tagesmütter sichergestellt werden. Dabei geht es
Kley nicht nur um die Quantität der Betreuung, sondern auch um
die Qualität: "Kindertagesstätten sind Orte
vorschulischer Bildung", betont der Minister. So schreibt das
Gesetz zudem verbindliche Qualitätsanforderungen für die
Bildung im vorschulischen Bereich fest. 123,5 Millionen Euro hat
das Land 2003 in die Kinderbetreuung investiert. "Das
Kinderförderungsgesetz hat sich in der Praxis bewährt",
bilanziert Kley mittlerweile. Das Angebot werde zunehmend
angenommen. Für September ist bereits eine Novellierung
geplant. Danach soll der Rechtsanspruch auf eine ganztägige
Betreuung auf Kinder in Notsituationen und Frauen im Mutterschutz
ausgedehnt werden. "Damit tragen wir dem Wunsch vieler Mütter
Rechnung, in dieser für sie nicht immer einfachen Zeit,
stärker entlastet zu werden."
Dass das Beispiel Sachsen-Anhalt mittlerweile auch in den alten
Bundesländern Schule macht, zeigt das CDU-regierte Hamburg.
Hier liegt die Platz-Kind-Relation im Krippenbereich bei 13 und im
Hortbereich bei
18. "Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein vorrangiges
Ziel des Senats", erklärt Sozialsenatorin Birgit
Schnieber-Jastram. In der Hansestadt einigten sich Stadtregierung
und die Bürgerinitiative "Mehr Zeit für Kinder" im April
auf ein gemeinsames Kindergartengesetz, das nicht nur die
Erweiterung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz auf
fünf Stunden, inklusive Mittagessen, festschreibt, sondern
seit 1. August auch einen Rechtsanspruch auf eine
Kindertagesbetreuung in öffentlichen Einrichtungen oder in
Tagespflege für unter 14-Jährige, wenn die Eltern
arbeiten oder sich in der Ausbildung befinden. Wie in
Sachsen-Anhalt regelt das Gesetz außerdem die Betreuungs- und
Bildungsqualität in den Tagesstätten verbindlich.
"Hiermit sorgen wir dafür, dass sich jüngere Menschen
nicht mehr zwischen Kindern und Karriere entscheiden müssen",
betont der Sprecher der Volksinitiative Olaf Scholz.
Rare Hortplätze im Westen
Während die Stadtstaaaten Hamburg, Bremen und Berlin bei
der Versorgung mit Hort- und Krippenplätzen mittlerweile
relativ gut abschneiden, geht die Entwicklung in den westlichen
Flächenstaaten nur schleppend voran. Auch im sozialliberalen
Rheinland-Pfalz sind Krippen- und Hortplätze nach wie vor rar.
Dafür forciert das Land ein flächendeckendes
Ganztagsschulangebot, das bis 2006 300 allgemeinbildende Schulen
von der Grundschule bis zum Gymnasium umfassen soll.
SPD-Kultusministerin Doris Ahnen erhofft sich von diesem
"gesamtgesellschaftlichen Ansatz" die übergreifende
Lösung von pädagogischen, sozialen und
Betreuungsproblemen. Insgesamt 160 Millionen Euro will das Land bis
2006 in das Projekt stecken. 163 Ganztagsschulen gibt es
mittlerweile in Rheinland-Pfalz, die durchaus positiv angenommen
werden: Bei einer POLIS-Umfrage vom Mai diesen Jahres zeigten sich
drei Viertel von 1.550 befragten Eltern mit der Organisation und
dem pädagogischen Angebot sehr zufrieden oder zufrieden. Jutta
Witte
Die Autorin ist freie Journalistin in Wiesbaden.
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