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Sabina Janssen
Pendeln zwischen Kinderzimmer und
Konferenzsaal
Unternehmen: Flexiblere Arbeitszeiten und
Familienfreundlichkeit
Das Problem ist bekannt, in der Diagnose sind
sich die Experten einig: Die niedrige Geburtenrate stellt die
Bevölkerungspyramide auf den Kopf, die Deutschen werden immer
weniger und immer älter. Den Sozialkassen droht der Kollaps,
auf dem Arbeitsmarkt werden die jungen, qualifizierten
Arbeitskräfte knapp. Und solange sich die deutschen Frauen
weiterhin zunehmend weigern, Kinder zu bekommen, wird sich an
diesem Szenario wenig ändern.
Rund 42 Prozent der Akademikerinnen
entscheiden sich in Westdeutschland bereits gegen Kinder, bei den
Absolventinnen mit Volks- und Hauptschulabschluss sind es 21
Prozent. Abgesehen davon, dass die "Reproduktionsrate" bei beiden
Frauengruppen zu gering ist, um in Deutschland ein Gleichgewicht
zwischen Jung und Alt zu wahren, zeigt die Differenz ein
grundlegendes Problem: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
bleibt für das weibliche Geschlecht schwierig, gerade bei
höherqualifizierten Tätigkeiten mit
Führungsverantwortung. Frauen sind in den obersten Chefetagen
eh nur mit mageren sechs Prozent vertreten, Mütter als
Firmenbosse haben absoluten Seltenheitswert. Auf der
Karriere-Leiter Kinder mitzuschleppen ist offensichtlich
beschwerlich und hinderlich, wenn nicht gar unmöglich. Vor
allem qualifizierte Frauen verzichten deshalb bewusst auf
Kinder.
Arbeitszeit-Vielfalt im Kommen
Aber vielleicht gibt es für die Frauen -
und auch Männer - in der Zwickmühle zwischen Kinderzimmer
und Konferenzsaal Anlass zur Hoffnung, denn es scheint sich etwas
zu bewegen in deutschen Landen. Die Debatte rund ums Kinderkriegen
und die Erwerbstätigkeit von Frauen hat eine ökonomische
Dimension bekommen - und findet als solche endlich Beachtung. In
großem Umfang in Bildung und Ausbildung zu investieren, um das
"Humanpotenzial" nicht mehr zu nutzen, wenn es plötzlich den
Stempel "Eltern" trägt - das kann Deutschland sich schlicht
nicht mehr leisten. Unternehmen sind zunehmend offen für
Flexibilisierungen, und zwischen Vollzeit und Teilzeit, von
Telearbeit über Gleitzeit, Job Sharing, Sabattical und
Arbeitszeitkonten bis hin zur Vertrauensarbeitszeit und den
individuell vereinbarten Arbeitszeiten macht sich eine bunte
Zeit-Vielfalt breit. In einer Studie des Instituts der deutschen
Wirtschaft gaben im vergangenen Jahr 58 Prozent der Betriebe an,
flexible Tages- und Wochenarbeitszeiten anzubieten, sodass die
Beschäftigten ihre Anwesenheit im Unternehmen auch nach den
Öffnungszeiten von Kindergärten und Schulen richten
können. Laut Hertie-Stiftung wird sogar in 84,8 Prozent der
Firmen bereits mit flexiblen Zeiten gearbeitet.
Während Telearbeit, bei der die
Beschäftigten zu Hause arbeiten und über Telefon und
Internet mit Kunden und Kollegen kommunizieren, nach einer Studie
des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) erst des zögerlich
von nur acht Prozent der Unternehmen genutzt wird, ist die
Teilzeitbeschäftigung stark im Kommen. 1997, so das
Statistische Bundesamt, gab es in Deutschland 4,7 Millionen
Teilzeitstellen, 2003 waren es bereits 7,2 Millionen. Zu einem
überwiegenden Teil von rund 85 Prozent stecken Frauen hinter
den Teilzeitbeschäftigten, die im Erwerbsleben reduziert
arbeiten, verdienen und nebenher - so die Zeitbudgeterhebung des
Statistischen Bundesamtes - noch rund
31 Stunden pro Woche an unbezahlter
Hausarbeit, Kindererziehung oder Angehörigenpflege erledigen.
Um all das unter einen Hut zu bringen, wünschen sich die
Frauen noch mehr Teilzeitstellen: In einer Emnid-Studie gaben 80
Prozent der Befragten an, dass fehlende Teilzeitstellen Mütter
vom Wiedereinstieg in den Beruf abhielten.
Handfeste wirtschaftliche
Gründe
Die Unternehmen erkennen diese Zeichen der
Zeit. Sie wissen, dass bei den Mitarbeitern zwischen Mitte 30 und
Mitte 40 der Anteil derjenigen wächst, die Zeit für ihre
Familien einfordern. Die Betriebe zeigen sich aus handfesten
wirtschaftlichen Gründen zunehmend familienfreundlich. Denn
ein kinderkompatibles Betriebklima ist nicht nur nett, sondern hat
nachweisbare Vorteile. Flexible Arbeitszeiten lassen sich auf den
Bedarf des Unternehmens zuschneiden und sparen in Krisenzeiten
Personalkosten. Familienfreundliche Regelungen senken die
Personalkosten durch niedrigen Krankheitsstand, geringe
Fluktuation, hohe Motivation und höhere
Produktivität.
Die großen Firmen machen das mit den
unterschiedlichsten Modellen schon seit längerem vor: Beim
Kölner Autohersteller Ford gibt es seit gut drei Jahren einen
Notfall-Kindergarten. Bei Betreuungsengpässen bietet "Ford
Pänz" den Kindern der Mitarbeiter kurzfristig die
Möglichkeit, in der Nähe von Mamas oder Papas
Arbeitsplatz den Tag zu verbringen. Teilzeit- und Telearbeit ist im
Konzern möglich; prinzipiell auch auf der Management-Ebene.
Bei der B. Braun Melsungen AG hat sich Konzernchef Ludwig Georg
Braun, der auch als Präsident des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages Einsatz für die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf zeigt, so einiges einfallen lassen: Im gewerblichen
Bereich 16 verschiedene Schichtmodelle in mehr als 100 Varianten,
Gleitzeit bei den Angestellten, Telearbeitsplätze, bei denen
die Mitarbeiter zwischen Home-Office und betrieblichem Arbeitsplatz
wechseln oder auch Babykost aus der Betriebskantine, die mit nach
Hause genommen werden kann.
Individuelle Arbeitszeiten
Was die großen Unternehmen in
formalisierten Programmen und Leitlinien festschreiben, haben die
kleinen und mittleren weiter verfeinert und in flexiblen
Einzelfalllösungen geregelt. Arbeitszeiten werden dabei oft
individuell mit jedem Mitarbeiter vereinbart. Die TMS
Unternehmensberatung AG erlaubt ihren
20 auf Köln und Hamburg verteilten
Beschäftigten regelmäßiges ebenso wie spontanes
Home-Working, die Verkürzung auf eine Vier-Tage-Woche oder
auch die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit. Die Chefin
selber übt sich im täglichen Spagat zwischen Familie und
Beruf: Vorstandssprecherin Birgit Felden hat zwei Nachmittage der
Woche für ihre vierjährige Tochter Carolin reserviert.
Dann steht statt Rating-Beratung Schwimmbad oder Zoo auf dem
Terminplan. "Die Stunden mit meiner Tochter werden - für alle
Mitarbeiter sichtbar - als feste Termine in meinen Wochenplan
eingetragen und respektiert", sagt Felden. Und sie ist davon
überzeugt, dass sich Flexibilisierung für das gesamte
Unternehmen lohnt. "Wann und wo jemand seine Arbeit erledigt, wird
im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel zweitrangig. Ein
zufriedener Mitarbeiter bringt sicher eine höhere
Arbeitsqualität als jemand, der am Schreibtisch sitzt und
hadert, weil zu Hause ein Kind krank ist. Weil wir so flexibel auf
die Wünsche unserer Beschäftigten eingehen, können
wir gute Leute im Unternehmen halten." Die Kehrseite der Medaille:
Die Arbeitswoche der Unternehmensleiterin hat immer noch gut 50
Stunden. Ohne Omas, Freunde und ihren arbeitszeitmäßig
ebenfalls flexiblen Mann wäre das kaum machbar. Denn auf die
öffentlichen Angebote zur Kinderbetreuung können
berufstätige Eltern nicht wirklich zählen. Emnid
gegenüber wiesen 72 Prozent der Befragten darauf hin, dass es
der Mangel an Möglichkeiten zur Kinderbetreuung ist, der ihnen
den Zugang zum Erwerbsleben versperrt. Unzureichend - auch im
internationalen Vergleich - ist die Betreuung für Kinder unter
drei Jahren, ebenso wie die Über-Mittag- und
Nachmittagsbetreuung der Kindergartenkinder. Einen Hortplatz
für ein schulpflichtiges Kind zu ergattern ist mancherorts
ebenso wahrscheinlich wie ein Lottogewinn.
Die Defizite in der öffentlichen
Kinderbetreuung auszubügeln kann nicht Aufgabe der Betriebe
sein. Betriebskindergärten sind toll, aber keine
flächendeckende Lösung. Vielleicht sollten auch
Länder und Kommunen ökonomischer denken: Das
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und das Deutsche
Institut für Wirtschaftsforschung haben nachgewiesen, dass
eine umfassendere institutionelle Kinderbetreuung nicht nur zu
einer höheren Erwerbsbeteiligung der Mütter führt,
sondern auch zu einer höheren Qualität der
Erwerbstätigkeit. Für den Staat rechnet sich das, da die
berufstätigen Mütter entsprechend Steuern und
Sozialabgaben zahlen. Die Universität Bielefeld hat es genau
ausgerechnet: Ein Euro für einen Kindergarten bringt durch
höheres Familieneinkommen, mehr Steuereinnahmen und
zusätzliche Beiträge für die Sozialversicherung
volkswirtschaftlich das Drei- bis Vierfache für die
Gesellschaft.
Sabina Janssen arbeitet als Journalistin in
Köln.
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