|
|
Britta Mersch
Eltern fordern und fördern
Neue Formen der Mitarbeit an
Kindertagesstätten und Grundschulen
Die Mitarbeit der Eltern an Grundschulen und
Kindertagesstätten wird zunehmend wichtiger, das haben
pädagogische Einrichtungen längst erkannt. Doch auch wenn
es an Grundschulen und Kindertagesstätten erste Erfolge gibt -
in der Elternarbeit wird noch lange nicht genug getan.
Wenn der Bonner Erziehungswissenschaftler
Volker Ladenthin an den vergangenen Winter denkt, schüttelt er
jetzt noch mit dem Kopf. Ein achtjähriger Schüler
schlitterte bei minus fünf Grad mit Gummistiefeln über
den vereisten Schulhof einer Grundschule. Die Stiefel waren
für die Jahreszeit viel zu dünn, im Unterricht saß
er mit eiskalten Füßen und Zehen. Solche Begebenheiten
sind an Grundschulen kein Einzelfall. "Das Wissen der Eltern
über Kindererziehung reicht nicht mehr aus", klagt der
Pädagoge. Die Konsequenz: Schulen müssen immer mehr
Erziehungsarbeit leisten - für Schüler und
Eltern.
Der klassische Elternabend sei daher eine
Veranstaltung von gestern. "Lehrer sollen mit den Eltern nicht nur
diskutieren, wie das Geld für eine Klassenfahrt zusammen
kommt", fordert Ladenthin. Viel wichtiger sei es, erzieherische
Veranstaltungen für Eltern anzubieten. Ernährung,
Gesundheit, Bewegung - Themen, in denen Eltern von heute
aufgeklärt werden müssen. Eine Meinung, die auch Udo
Beckmann teilt: "Die Erziehungsdefizite werden immer
schwerwiegender", sagt der Landesvorsitzende des Verbandes für
Bildung und Erziehung (VBE) in Nordrhein-Westfalen, der Bedarf an
sozialpädagogischen Fachkräften an Schulen und
Kindertagesstätten werde größer. "Die Schulen werden
mit den Problemen zu stark alleine gelassen", meint Beckmann. Etwa
dann, wenn ein Schüler aus einem sozial schwachen Umfeld
kommt. Aufgrund von Sparmaßnahmen werden
Jugendberatungsstellen geschlossen, akute Probleme der Kinder
können dann nicht mehr rechtzeitig behoben werden. "Das ist
ein wirkliches Problem", so der Experte. Denn Erziehung kann nur
dann funktionieren, wenn die Systeme Familie, Beratung und
Ausbildung miteinander verzahnt werden.
"Der Vorwurf, dass Eltern unfähig sind,
ist nicht gerechtfertigt", kontert Ursula Walther, stellvertretende
Vorsitzende des Bundeselternrates. "Die Lehrer versuchen damit, die
Schuld von sich wegzuschieben." Sie stimmt jedoch zu, dass
zusätzliche Angebote für Eltern prinzipiell sinnvoll
sind. Die Möglichkeiten sind vielfältig: An der
Matthias-Claudius-Schule in Neumünster etwa gibt es eine
Elternschule online. "Mit dem Begriff Elternschule wollen wir
andeuten, dass man sich für das schwierige Geschäft des
Erziehens auch qualifizieren muss, und das Eltern auch Lernende
sind", beschreibt Schulleiter Jochen Korte das Konzept.
"Erkenntnisse aus der Lernpsychologie können sehr hilfreich
sein im Umgang mit Kindern."
"Unsere Eltern müssen nicht speziell
gefördert werden", meint dagegen Marianne Hauth, Leiterin der
Ennertschule in Bonn. "Eltern sind für uns Partner. Wir stehen
in ständiger Kommunikation und unterstützen uns
gegenseitig." Neue Schulordnungen und Modelle werden in Teamarbeit
zwischen Lehrern und Eltern diskutiert; so wird für das neue
Schuljahr eine erste Klasse mit Ganztagsbetreuung eingeführt.
Doris Paschek-Bergmann hat zwei Kinder an der Schule, und ihr
reicht dieses Modell noch nicht. "Ich würde mir wünschen,
dass meine Kinder auch in diese Ganztagsschule gehen könnten,
aber wir beginnen erst mit den neuen Schülern." An der Planung
der Ganztagseinrichtung war sie selbst beteiligt. "Solche
Entwicklungen zielen in die Zukunft", berichtet sie
stolz.
An einigen Grundschulen geht das Interesse an
Schülern und Eltern allerdings immer noch gen null. Der
Unterricht läuft strikt nach Lehrplan, außerschulische
Aktivitäten werden vernachlässigt. Sabine
Schmidt-Häußler hat das an einer Dorfschule in
Baden-Württemberg erlebt. Der Schulhof war trist, einige
Eltern taten sich zusammen, um Geld aufzutreiben für einen
Spielplatz. "Wir haben wohltätige Organisationen angeschrieben
und Schulfeste organisiert, um Geld zu sammeln und der Grundschule
zu helfen", berichtet Sabine Schmidt-Häußler. Rund 8.000
Euro gingen bereits an den Förderverein, die Schulleitung
lehnte das Projekt dann ab. Die zweifache Mutter war fassungslos:
"Wir wurden behandelt wie Aussätzige", so ihre Erfahrung, "wir
wollten doch nur einen schönen Schulhof bauen mit ein paar
Spielgeräten und keine Mittelstreckenraketen." Die Mitarbeit
der Eltern - an dieser Schule leider unerwünscht.
An Kindertagesstätten rückt die
Zusammenarbeit mit den Eltern dagegen verstärkt in den
Vordergrund. Förder- und Forderprogramme für Eltern sind
mittlerweile fester Bestandteil der pädagogischen Konzepte.
"Uns ist es ganz wichtig, dass die Eltern uns vertrauen", sagt etwa
Inge Talhofer, Leiterin der "Rappelkiste", einer
Kindertagesstätte im hessischen Bad Camberg, "deswegen sollen
die Eltern möglichst viel an unserer Arbeit teilnehmen." Ein
intensiver Kontakt zwischen Familie und Kindertagesstätte sei
daher unbedingt notwendig. In der "Rappelkiste" hat das
verschiedene Formen: Es gibt zahlreiche Informationsveranstaltungen
und Kennlernabende für Eltern. Im Kindergartenjahr arbeiten
Eltern und pädagogische Einrichtung Hand in Hand. "Beide
Seiten müssen wissen, welche Erfahrungen das Kind macht",
erklärt die Pädagogin. Der gegenseitige Austausch sei die
Grundlage für eine umfassende Betreuung der Kinder.
Auch die aktive Mitarbeit der Eltern wird in
der "Rappelkiste" begrüßt. Die Eltern hospitieren in den
Gruppen und nehmen an den Erlebnissen ihrer Kinder teil - etwa
dann, wenn die "Rappelkiste" zur Waldwoche in den Bad Camberger
Stadtwald aufbricht. Zusammen mit den Kindern bauen die Eltern
Hütten oder ein Sofa aus Moos. "Ich finde es wunderbar zu
sehen, wie die Kinder ganz spielerisch neue Dinge lernen",
schwärmt Vera Firnhaber, wenn sie ihrer fünfjährigen
Tochter aus der Seesterngruppe so zusieht.
Generell nehmen Eltern derartige Angebote von
Kindertagesstätten allerdings zu wenig an, beklagt Sven Dicke.
Er ist Mitglied des Fördervereins einer Kindertagesstätte
in Wermelskirchen und beobachtet ein geringes Interesse von Eltern
an pädagogischen Einrichtungen: "Beim letzten Kennlernabend
vor dem neuen Kindergartenjahr sind nur rund fünf von 20
Elternpaaren gekommen." Eine Haltung, die er nicht verstehen kann:
"Das ist doch erschreckend. Zum ersten Mal geht es um das Leben der
Kinder, und niemand interessiert sich dafür, was eigentlich
mit ihnen passiert." Diese Einschätzung wird auch in der
Wissenschaft geteilt: "Wenn die Mitarbeit der Eltern gefordert ist,
kommen immer nur die Eltern, die eh schon engagiert sind", so der
Pädagogik-Professor Volker Ladenthin.
Dennoch: Der Trend zur Mitarbeit der Eltern
setzt sich an Grundschulen und Kindertagesstätten immer weiter
durch. Die Mitarbeit der Eltern ist an vielen Schulen mehr als
nötig, schon allein wegen der allgemein knappen Finanzlage an
Schulen. "Als unser Sohn Simon vor zwei Jahren eingeschult wurde,
mussten die Eltern erst einmal auf eigene Kosten den Klassenraum
renovieren", erzählt etwa Sue Pickett von ihren Erfahrungen an
einer städtischen Grundschule in Köln. Wände wurden
frisch gestrichen, Vorhänge gewaschen, und ein neuer Teppich
finanziert und verlegt. "Das ist aber längst noch nicht
alles", berichtet die Mutter weiter, "alle sechs bis acht Wochen
müssen die Eltern eine Grundreinigung im Klassenzimmer machen,
weil der von der Stadt beauftragte Putzdienst nur einmal kurz
durchwischt."
VBE-Sprecher Udo Beckmann ist über diese
Forderungen von Schulen an Eltern jedoch nicht glücklich.
"Eltern können sich zwar an Schulprojekten beteiligen, und
wenn ein Vater handwerklich geschickt ist, kann er auch mitmachen,
wenn etwas Neues benötigt wird", räumt Udo Beckmann ein,
"aber das ist eigentlich nicht Aufgabe der Eltern. Der
Schulträger darf sich hier nicht der Verantwortung entziehen."
Sue Pickett jedenfalls hat nichts gegen diese Extraaufgaben. Sie
überlegt kurz und sagt dann: "Eigentlich finde ich das gar
nicht so schlimm."
Britta Mersch ist freie Journalistin in
Köln.
Zurück zur Übersicht
|