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Nora Miethke
Baby und Beruf sind vereinbar
Arbeitgeber halten Fachkräfte - und sparen
noch Kosten
Franklin gähnt, als seine Mutter ihn auf den Arm nimmt. "Er
hat heute kaum geschlafen", sagt die Krippenerzieherin zu seiner
Mutter Elly Tanaka. Es ist 15 Uhr und der sieben Monate alte Junge
geht jetzt nach Hause. Da nimmt ihn eine ältere Dresdnerin in
Empfang, damit seine Mutter noch einmal für zwei Stunden ins
Labor gehen kann. Elly Tanaka ist Stammzellenforscherin und
arbeitet im Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie
und Genetik an Erkenntnissen darüber, wie verloren gegangene
Zellen beim Menschen nachwachsen könnten. Die 38 Jahre alte
Amerikanerin ist im Januar 2001 nach Dresden gekommen. "Ich hatte
damals noch keine Kinder, wusste aber, dass ich welche wollte",
sagt sie. Deshalb spielte bei ihrer Entscheidung eine
familienorientierte Personalpolitik eine große Rolle.
Darunter versteht Tanaka vor allem die Freiheit, für ihre
Arbeit verantwortlich zu sein und selbst planen zu dürfen, in
welcher Zeit sie sie erfüllt. "Wichtig ist aber auch, dass die
Kollegen und vor allem die Vorgesetzten sich freuen, wenn man ein
Kind hat", sagt sie. Bei Beförderungen dürften Frauen und
Männer nicht nach gleichen Kriterien beurteilt werden. "Es
muss berücksichtigt werden, wenn Frauen Kinder haben", fordert
Tanaka. So könne sie im ersten Jahr nach der Geburt ihres
Sohnes nicht zu internationalen Konferenzen fliegen, was ihren
Status als Wissenschaftlerin beeinflusse.
In Sachsen findet die Amerikanerin, die in ihrem Institut eine
von 24 Forschungsgruppenleitern ist, ihre Vorstellungen
erfüllt. Das Dresdner Max-Planck-Institut hat mit dem 100
Meter entfernten Kindergarten "Parkhaus" einen Kooperationsvertrag
geschlossen, nach dem "Max-Planck-Kinder" dort bevorzugt einen
Platz erhalten; aktuell sind es 15 von insgesamt 66 Kindern. In der
Institutskantine wird für alle kleinen "Parkhaus"-Bewohner
gekocht. Die Wissenschaftler zahlen auch mal den Bus zum Zoo oder
zur Sauna. Das Besondere an dieser Zusammenarbeit ist jedoch, dass
extra eine "Stillgruppe" mit derzeit sechs Babys eingerichtet
wurde, die von zwei Erzieherinnen betreut werden. Franklin war
zwölf Wochen alt, als er dazu stieß. In den ersten
Monaten kam seine Mutter zwei Mal am Tag zu vereinbarten Zeiten
vorbei, um ihn zu stillen. Hatte er früher Hunger, riefen die
Erzieher Elly Tanaka an. "Ich fühlte mich als Mutter etwas
besser, weil ich nicht mit dem Stillen aufhören musste", sagt
sie.
Familienfreundliche Atmosphäre
"Wenn Forscherinnen ein Jahr oder gar anderthalb Jahre zu Hause
bleiben, ist ihre Karriere beendet", sagt Florian Frisch,
Pressesprecher des Dresdner Max-Planck-Instituts. Derzeit sind 45
Prozent der dort beschäftigten Forscher Frauen,
Durchschnittsalter 30 Jahre. Die Verfügbarkeit von
Kindergartenplätzen und Stillgruppe ist nicht das einzige, was
das Institut seinen insgesamt 280 Mitarbeitern bietet. Man ist
bemüht, eine familienfreundliche Atmosphäre zu schaffen.
Es gibt keine Stechuhr, die Arbeitszeit ist völlig flexibel.
Bei Betriebsfeiern sind immer auch die Kinder eingeladen. "Erst
kürzlich begleitete mein Chef seine Tochter auf einem
Schulausflug. Es war ganz selbstverständlich, dass er an
diesem Tag keine Termine hatte", erzählt Frisch.
Die Geschäftsführung hat erkannt, dass
Familienfreundlichkeit ein großer Standortvorteil im
Wettbewerb um internationale Fachkräfte ist. Ohne
Betreuungsmöglichkeiten für ihr Kind wäre Elly
Tanaka vielleicht längst in die USA zurückgekehrt. Dort
sei die Kinderbetreuung auch sehr gut organisiert, aber fünf
Mal so teuer für die Eltern. "Weiter zu stillen, wenn man
wieder arbeitet, ist da aber überhaupt nicht üblich",
berichtet sie.
Vielleicht hätte sie aber auch wie viele deutsche
Akademikerinnen auf ihren Kinderwunsch verzichtet. Nach Angaben des
Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) sind 42 Prozent der
Akademikerinnen des Jahrgangs 1965 in Westdeutschland bis heute
kinderlos geblieben. Das ist weltweit der höchste Anteil unter
allen Altersgenossinnen. Ursachen sind auch die unzureichenden
Möglichkeiten, Familie und Karriere unter einen Hut zu
bringen. Nach Ansicht von Sandra Hartig, die bis vor kurzem
Referentin für "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" beim
Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) war, findet jedoch
in den Unternehmen "ein Umdenkungsprozess" statt. Das zeige sich
auch daran, dass die ersten 6.000 Stück der von ihr gemeinsam
mit dem Bundesfamilienministerium verfassten Broschüre
"Familienorientierte Personalpolitik. Ein Checkheft für kleine
und mittlere Unternehmen" innerhalb von vier Wochen vergriffen
waren. Hartig hat die Erfahrung gemacht, mittelständische
Unternehmen verfolgen keine bestimmte Strategie, sondern reagieren
im konkreten Fall und das meist flexibler als Konzerne. Das
Hauptproblem sei vor allem die Kinderbetreuung in Westdeutschland.
"Diese muss der Staat verbessern, Unternehmen können das nicht
schultern. Sie können sie nur unterstützen", betont
Hartig.
Die Firmenmanager lesen nicht nur Broschüren, sie tun auch
etwas für ihre Beschäftigten, wie eine Umfrage des IW im
vergangenen Sommer unter 878 Betrieben zeigte. Danach praktizieren
rund 77 Prozent der Unternehmen flexible Arbeitszeiten oder bieten
Telearbeit an. Vier von zehn Firmen unterstützen ihre
Beschäftigten bei der Betreuung von Kindern oder anderen
Familienangehörigen. Fast 13 Prozent kümmern sich mit
Gesundheitsangeboten um das Wohlergehen der Belegschaft. Fast
genauso viele Firmen erleichtern ihren angestellten Müttern
oder Vätern mit Einarbeitsprogrammen den Wiedereinstieg. In
jeweils zwei Prozent der Firmen gibt es einen Betriebskindergarten
oder eine Betriebskinderkrippe.
Dazu gehört die Firma "Komsa Kommunikation Sachsen AG" in
Hartmannsdorf bei Chemnitz. Der Telekommunikationsdistributor, der
seinen Kunden alles rund ums Telefon, Internet und elektronischen
Handel verkauft, hat im vergangenen November einen
Betriebskindergarten eröffnet, der derzeit 15 Kinder betreut.
Der Hauptgrund war die Struktur der Belegschaft. 60 Prozent der 400
Beschäftigten sind Frauen, der größte Teil zwischen
25 und 30 Jahre alt. "Wir haben eine geringe Fluktuation, die es zu
erhalten gilt. Deshalb bieten wir die Möglichkeit, sich nach
dem Mutterschutz schnell wieder zu integrieren", sagt
Komsa-Sprecher Uwe Bauer. Außerdem will sich die Firma
angesichts des Fachkräftemangels für "gute Leute
interessant machen", indem ein attraktives familiäres Umfeld
geschaffen wird. Da sei der Kindergarten nur ein Mosaikstein. So
wird die Mitarbeiterzeitung nach Hause geschickt, um die Familie
einzubinden. Kinder und Lebenspartner sind auch hier auf
Betriebsfeiern willkommen, die Arbeitszeit basiert auf Vertrauen.
Bauer erläutert das am Beispiel des Vertriebs. Das Call-Center
sei von 7 bis 20 Uhr zu erreichen. Die Mitarbeiterinnen seien in
kleine Teams eingeteilt, in denen die Arbeitszeit nach Absprache
selbst festgelegt werde. Auch Teilzeitarbeit werde gern
gewährt. Konflikte der Natur, dass Kollegen meinen, zugunsten
teilzeitbeschäftigter Mütter mehr arbeiten zu
müssen, gebe es nicht. "Das ist ein selbstregulierender
Prozess. Den einen ist das Geld wichtiger, deshalb arbeiten sie
länger. Die anderen wollen aus familiären Gründen
lieber länger zu Hause bleiben", berichtet Bauer von den
Erfahrungen.
Komsa hat bisher noch keine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse
seiner Personalpolitik gemacht. Klar ist, dass der
Betriebskindergarten ein Zuschussgeschäft ist. Doch eins steht
fest: "Unterm Strich gehen wir davon aus, wenn die
familienfreundlichen Maßnahmen in höhere Motivation
umschlägt, macht sich das im steigenden Absatz unserer
Produkte und Dienstleistungen bemerkbar", sagt der Komsa-Sprecher.
Er ist sich sicher: "Wir ernten die betriebswirtschaftlichen
Früchte." Die Bilanz scheint ihm Recht zu geben. Mit einem
Umsatz von etwa 300 Millionen Euro gehört Komsa zu den 100
umsatzstärksten ostdeutschen Unternehmen.
Nach den ökonomischen Beweggründen
familienorientierter Personalpolitik befragt, geben die meisten
Firmen an, durch einen niedrigeren Krankenstand und eine geringere
Fluktuation der Mitarbeiter Kosten zu senken. Wieviel genau sie
einsparen können, hat die Prognos AG 2003 im Auftrag des
Bundesfamilienministeriums untersucht - anhand der Controllingdaten
von zehn Betrieben. Ihr Fazit: Mittelgroße Unternehmen
können durch familienfreundliche Maßnahmen mehrere
100.000 Euro im Jahr einsparen. Denn je länger Mütter zu
Hause bleiben, desto teurer wird ihre Wiedereingliederung. So
würde eine Rückkehr nach 36 Monaten 75 Prozent einer
Neueinstellung kosten.
Unter den analysierten Firmen war die B. Braun Melsungen AG.
Für sie wurde das jährliche Einsparpotenzial auf 350.000
Euro beziffert. "Freiwillige Familienfreundlichkeit lohnt sich auch
für mein eigenes Unternehmen", freut sich denn auch
Vorstandschef und DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun. Nora
Miethke
Nora Miethke ist Wirtschaftsredakteurin bei der Sächsischen
Zeitung in Dresden.
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