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Kurt Hahlweg und Yvonne von Wulfen
Triple P - Ein Programm gibt Eltern und Kindern
Hilfe
Vorbeugen ist besser als Therapie
Eltern produzieren sie, ohne Risiken und
Nebenwirkungen zu bedenken, und nach neun Monaten werden sie frei
Haus geliefert - ohne Gebrauchsanweisung. Dann sind sie da, die
süßen Kleinen - aber leider sind nicht alle Kinder so
pflegeleicht, wie man sich das vorgestellt hatte. Im
Entwicklungsverlauf wird es in den meisten Familien zumindest hin
und wieder Krisen geben. Ein erheblicher Prozentsatz von Eltern
sind im Hinblick auf ihre Erziehungsaufgaben unsicher und zweifeln,
ob sie sich richtig verhalten.
Auch ein Blick auf die Ergebnisse der
psychologischen Forschung macht deutlich, dass eine positive
kindliche Entwicklung keineswegs selbstverständlich ist. Die
Prävalenzrate für psychische Störungen bei Kindern
und Jugendlichen liegt je nach Literaturübersicht zwischen 17
und 27 Prozent (Anderson & Werry, 1994). Externale
Störungen (oppositionelles, aggressives und dissoziales
Verhalten) treten häufiger bei Jungen auf, internale
Störungen (sozialer Rückzug, ängstlich/depressive
Befindlichkeit, körperliche Beschwerden) und Essstörungen
häufiger bei Mädchen. Insbesondere aggressives Verhalten
scheint über den Entwicklungsverlauf sehr stabil zu sein, das
heißt viele der betroffenen Kinder behalten diese
Auffälligkeiten von der Kindheit bis in das frühe
Erwachsenenalter bei.
Um Fehlentwicklungen vorzubeugen, Eltern und
Erzieher zu entlasten sowie die beträchtlichen Folgekosten
jugendlicher Verhaltensauffälligkeiten in den Griff zu
bekommen, wird es immer wichtiger, präventiv zu arbeiten und
nicht erst dann zu handeln, wenn das Kind bereits in den Brunnen
gefallen ist. Ein Programm, mit dem in Australien seit Jahren
erfolgreich präventiv gearbeitet wird und das seit 1999 rasch
auch in Deutschland Verbreitung findet, ist Triple P.
Positives Erziehungsprogramm
Triple P (Positive Parenting Program) wurde
in Brisbane, Australien, von Matthew Sanders und seinen
Mitarbeitern an der Universität von Queensland am dortigen
Parenting and Family Support Center als positives
Erziehungsprogramm entwickelt (Sanders, 1998, 1999). Ziel ist es,
Eltern günstiges Erziehungsverhalten nahe zu bringen und
dadurch kindliche Verhaltensprobleme zu reduzieren beziehungsweise
zu verhindern und vor allem die Entwicklung einer positiven
Eltern-Kind-Beziehung zu unterstützen.
Unterschiedliche Eltern benötigen
unterschiedliche Unterstützung, deshalb sind spezifische, auf
die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittene Interventionen
wichtig. Triple P umfasst verschiedene Interventionsangebote mit
steigendem Intensitätsgrad, von Informationsbroschüren
und -gesprächen über intensivere Beratungen,
Elterntrainings bis hin zu therapeutischen Angeboten. Dabei wird
ein präventiver Erziehungsansatz verfolgt mit dem Ziel, die
Kindesentwicklung zu fördern und mit kindlichem Verhalten in
einer konstruktiven und nicht verletzenden Art und Weise umzugehen.
Grundlage dafür ist eine gute Kommunikation und viel positive
Zuwendung, um das Kind in seiner Entwicklung zu unterstützen.
Kinder und Jugendliche, deren Erziehung sich an den Prinzipien der
positiven Erziehung orientiert, haben eine größere
Chance, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ein positives
Selbstbild aufzubauen. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit
geringer, dass sie ernsthafte Verhaltensauffälligkeiten oder
psychische Probleme entwickeln.
Fünf Prinzipien bilden die Grundlage
für eine positive Erziehung:
1. Für eine sichere und interessante
Umgebung sorgen.
Unfälle zu Hause sind eine der
häufigsten Ursachen für Verletzungen bei kleinen Kindern.
Eine sichere Umgebung bedeutet, dass Eltern entspannter sein
können, während ihr Kind ohne die Gefahr einer Verletzung
"auf Entdeckungsreise" geht. Die Wohnung sollte für das Kind
sicher sein (etwa gefährliche Dinge außer Reichweite
stellen). Kinder brauchen eine interessante Umgebung, die viele
Möglichkeiten zum Entdecken, Erforschen, Ausprobieren und zur
Entwicklung ihrer Fähigkeiten bietet. Kinder brauchen
angemessene Beaufsichtigung. Dies bedeutet, zu jeder Zeit zu
wissen, wo sich das Kind aufhält, mit wem es zusammen ist und
was es tut.
2. Eine positive, anregende Atmosphäre
schaffen.
Eltern müssen für ihre Kinder da
sein. Dies bedeutet nicht, ununterbrochen mit dem Kind zusammen zu
sein, sondern da zu sein, wenn es Unterstützung und Zuwendung
braucht. Wenn sich das Kind an ein Elternteil wendet, sollte man
seine Tätigkeit - wenn möglich - unterbrechen und mit ihm
Zeit verbringen. Das Kind sollte beim Lernen ermutigt werden, Dinge
selbständig auszuprobieren.
3. Konsequentes Erziehungsverhalten
zeigen.
Wenn Eltern in ihrer Erziehung konsequent und
vorhersehbar reagieren, lernen Kinder, die Verantwortung für
ihr eigenes Handeln zu übernehmen, die Bedürfnisse
anderer zu erkennen und Selbstdisziplin zu entwickeln. Konsequenz
bedeutet, konstant zu handeln, sofort auf unangemessenes Verhalten
zu reagieren und Kindern angemessenes Verhalten zu vermitteln. Die
Individualität des Kindes kann so gewahrt bleiben.
Verhält sich das Kind provozierend, sollten Eltern versuchen
ruhig zu bleiben.
4. Realistische Erwartungen (an das Kind und
sich selbst) aufbauen.
Kinder sind Individuen, die sich
unterschiedlich schnell entwickeln können. Sie müssen
einen gewissen Entwicklungsstand erreicht haben, bevor sie neue
Fertigkeiten, wie das selbständige Anziehen oder Essen,
erlernen können. Probleme können auftreten, wenn Eltern
zu früh zu viel erwarten oder wenn sie glauben, ihr Kind
müsste perfekt sein. Alle Kinder machen Fehler. Die meisten
Fehler sind unbeabsichtigt.
Es ist für Eltern ebenso wichtig,
realistische Erwartungen an sich selbst zu haben. Natürlich
sollte man versuchen, das Beste zu geben, aber das Streben nach
Perfektion wird lediglich zu Frustration und Überforderung
führen.
5. Auch die eigenen (elterlichen)
Bedürfnisse erfüllen.
Gute Eltern sein bedeutet nicht, dass man
immer für die Kinder da sein muss. Wenn die eigenen
Bedürfnisse nach Intimität, Partnerschaft, Erholung und
Zeit für sich alleine erfüllt sind, kann man selbst
ausgeglichener und geduldiger sein.
Erste Auswertungen
Kontrollierte Untersuchungen an der
Universität Brisbane belegen die universelle Wirksamkeit von
Triple P in seinen verschiedenen Angeboten. Es ließen sich
positive Veränderungen innerhalb der Familie nachweisen. Es
zeigten sich im Vergleich zu Wartelistenkontrollgruppen signifikant
weniger beobachtete und berichtete Verhaltensprobleme der Kinder,
ein geringeres Ausmaß an ungünstigem Erziehungsverhalten,
eine höhere Erziehungskompetenz der Eltern sowie eine hohe
Zufriedenheit mit dem Programm.
Die Ein- und Zwei-Jahresnachuntersuchungen
zeigten auf, dass die Veränderungen im Verhalten der Kinder
stabil blieben. In der Untersuchung des Gruppenprogramms wurde in
einer Studie an N = 1673 Familien in East Perth (Westaustralien)
der Anteil verhaltensauffälliger Kinder aus sozial schwachen
Gebieten durch das Training um 50 Prozent gesenkt (Sanders,
1999).
Derzeit wird in einem breit angelegten, aus
Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten
Forschungsprojekt an der TU Braunschweig die Effektivität von
Triple P in Deutschland untersucht. Erste Auswertungen zeigen
beispielsweise eine hohe Zufriedenheit mit dem Programm, einen
durch das Programm verringerten Anteil an klinisch auffälligen
Kindern, Verbesserungen im kindlichen Verhalten (ängstliches,
unsicheres, aggressives oder oppositionelles Verhalten) sowie einen
Rückgang des ungünstigen und eine Zunahme günstigen
Erziehungsverhaltens. Insgesamt schätzen 90 Prozent der Eltern
die Qualität des Trainings als gut bis hervorragend ein und 82
Prozent empfinden das Angebot als hilfreich bis sehr hilfreich.
Neben der positiven Bewertung des Kursangebots geben die Eltern
auch Veränderungen durch das Training an. Über 90 Prozent
meinen, dass das Programm ihnen dabei geholfen habe, besser mit dem
Verhalten ihres Kindes umzugehen und mehr als zwei Drittel der
Eltern schätzen das Verhalten ihres Kindes im Vergleich zu
vorher als positiv verändert ein.
Insgesamt existiert mit Triple P ein
wirksames Programm zur Unterstützung von Eltern bei der
Kindererziehung und damit zur Prävention von
Verhaltensproblemen. Alleine im vergangenen Jahr haben mehr als
25.000 Eltern deutschlandweit an einem Triple P Kurs teilgenommen,
und die Nachfrage wächst stetig - viele empfehlen die Kurse
begeistert weiter.
Kurt Hahlweg ist Professor für Klinische
Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik an der TU Braunschweig.
Yvonne von Wulfen ist Diplom-Psychologin, und Triple-P-Ausbilderin
beim PAG Institut für Psychologie AG in
Münster.
Weitere Informationen im Internet unter
www.triplep.de oder bei der PAG Institut für Psychologie AG,
Nordstraße 22, 48149 Münster, Tel. 02 51/51 89
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