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Sabine Gries
Es ist eine Harmonie auf Biegen und Brechen
In Frauenheftromanen folgen
Familiendarstellungen eigenen Gesetzen
Um es vorwegzunehmen: Die ewig währende
romantische Liebe ist im trivialen Frauenheftroman durchaus nicht
das höchste Ziel, das von der Heldin angestrebt wird. Ihr
wahres Ziel lässt sich am besten mit dem Begriff "Leben in
Harmonie" umschreiben. Dabei bedeutet dieses Leben in Harmonie ein
von Problemen und Sorgen ungestörtes Dasein, das in krassem
Gegensatz zu eben jenen Schwierigkeiten und Anfechtungen steht, mit
denen die Romanfiguren sich im Laufe der Handlung auseinandersetzen
müssen. Diese Probleme sind durchaus nicht harmlos und
wären in der Realität nur schwer zu bewältigen oder
zu lösen.
Im Frauenheftroman jedoch gibt es kein Leid,
das nicht zu überwinden wäre. In einer willkürlichen
Auswahl von Heften, die in den vergangenen Monaten erschienen sind,
sahen sich die Heldinnen unter anderem mit folgenden
Lebenskatastrophen konfrontiert:
- Mordversuch an der ehemaligen
Lebensgefährtin im Beisein der gemeinsamen Tochter (Chirurgin
Barbara Waldner Nr. 87);
- Entführung eines todkranken
Fünfjährigen durch die leibliche Mutter und deren
Liebhaber zwecks Lösegelderpressung, der mögliche Tod des
Kindes wurde beiläufig in Kauf genommen (Chirurgin Barbara
Waldner Nr. 78);
- Kindesverschleppung mit dem Ziel der
Organentnahme (Chefarzt Dr. Holl Nr. 1315);
- Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung
(Notärztin Andrea Bergen Nr. 835);
- Kindesmisshandlung durch den Stiefvater
(Chefarzt Dr. Holl Nr. 1330. In demselben Heft tritt eine weitere
Familie auf, in der der Verlobte der Heldin deren
siebenjährige Tochter missbraucht.);
- prügelnder Ehemann (Chirurgin Barbara
Waldner Nr. 97);
- krimineller Lebensgefährte, der seine
Freundin und deren Kind in Lebensgefahr bringt (Der Bergdoktor Nr.
1149);
- Zerstörung der glücklichen
Zweitehe der Ex-Ehefrau (Mami Nr. 2088);
- jahrelange Verfolgung und Bedrohung der
Ehefrau und der gemeinsamen Tochter durch psychopathischen Mann
(Kinderschwester Angela Nr. 215);
- Vertreibung der schwangeren Stiefmutter
durch Lügengeschichten eines intriganten Kindes (Der
Bergdoktor Nr. 1188).
Weitere Probleme, die relativ häufig in
den Romanheften angesprochen werden, sind unvollständige
Familien, uneheliche Geburt, Krankheit, Behinderung, Tod nahe
stehender Menschen, unfreiwillige Kinderlosigkeit, ausgesetzte
Kinder, Arbeitslosigkeit, Vermögensverlust und Armut mit all
ihren Folgeerscheinungen, soziale Ausgrenzung, Vorurteile und alle
Arten von Beziehungsschwierigkeiten vom Liebeskummer bis zum
Vertrauensbruch. All diese Beeinträchtigungen werden durchaus
real bedrohlich geschildert. Sie werden aber auf die eine oder
andere Art im Verlaufe der Romanhandlung gelöst, sodass das
jeweilige Ende der Geschichte wirklich nur als "glücklich"
bezeichnet werden kann.
Dem Ziel, ein Lebens in Harmonie, wird im
Frauenheftroman alles andere untergeordnet, notfalls sogar die
"große Liebe". Unumgänglich für ein harmonisches
Leben ist dabei die Einbettung der Heldin in eine ideale Familie.
Selbst junge Frauen, deren Geschichte mit der Hochzeit endet,
definieren sich häufig über ihre Mutterrolle. Sie sagen
gerne Sätze wie: "In einem Jahr sind wir hoffentlich schon zu
dritt." Oder, und dabei blicken sie hinaus in den Schlosspark:
"Bald werden hier unsere Kinder herumtollen." Häufig zeigt die
an sich abgeschlossene Geschichte in einem Anhang die Geburt des
ersten Kindes; denn ein Baby in der Wiege ist im Frauenheftroman
ein Beweis für eine glückliche Ehe und eine Belohnung
für die Anstrengung bei der Lösung allfälliger
Schwierigkeiten.
Die Gesellschaft im zeitgenössischen
trivialen Frauenheftroman hat ihre eigene Sozialstruktur, die sich
von derjenigen Deutschlands vor allem dadurch unterscheidet, dass
die Mehrzahl der Protagonisten den beiden obersten Sozialschichten
angehören. Im Heftroman sind das die obere Mittelschicht und
eine spezifische, für den Frauenheftroman typische
Oberschicht. Der oberen Mittelschicht sind Akademiker zuzurechnen,
Bankiers, mittelständischer Unternehmer oder nichtadelige
Gutsbesitzer. Die Oberschicht wird ausschließlich durch
Adelige vertreten.. Politiker oder Unternehmer von internationaler
Bedeutung spielen zumindest im deutschen Frauenheftroman keine
Rolle.
Die ideale Familie des Frauenheftromans lebt
glücklich und mit möglichst mehreren Kindern ohne
finanzielle Probleme in einem geräumigen Haus in idyllischer
Lage. "Angela dachte: Wie in einem Bilderbuch: Efeu, ein
hübscher Garten. Richtig schmuck." (Arzt-Roman Nr. 693, S.
59). Da nicht davon auszugehen ist, dass die Romanheftverlage sich
als Propagandisten der Mehrkind-Familie verstehen, muss diese
Schilderung genau das sein, was die Leserinnen erstreben und in
ihrem realen Leben meist vermissen. Diese Grundstruktur findet sich
in Romanheften, die in den vergangenen Wochen auf den Markt kamen,
ebenso wie in solchen, die bereits 50 Jahre alt sind.
Konkret wünscht sich die Romanheldin
einen fürsorglichen Mann, der gleichzeitig ein zärtlicher
Liebhaber und ein guter Vater ist. Dazu kommen zwei oder drei
wohlgeratene Kinder, deren Lebensmittelpunkt zwar die Mutter ist,
die ihr aber niemals mit störenden Ansprüchen zur Last
fallen. Dabei ist der Lebensspielraum überraschend klein und
eng gefasst. Obwohl die Helden selten älter als 35 Jahre sind
(die Heldinnen meist sieben bis acht Jahre jünger), sind sie
zumeist bereits Vollwaisen und haben auch keine Geschwister. Ihre
eigenen Kinder kennen also im Allgemeinen weder Onkel und Tanten
noch Großeltern. Zudem dürfen Held und Heldin in einer
Notsituation auf keinerlei verwandtschaftlichen Rückhalt
rechnen. Leben die Großeltern noch, so sind sie oft entweder
feindselig, weit fort oder uralt und kränklich.
Berufstätigkeit wird von den Heldinnen
des trivialen Frauenheftromans zumeist nur geschätzt, wenn
keine Kinder zu betreuen sind. Ausnahmen bilden in der Regel nur
Künstlerinnen und solche Frauen, deren Berufstätigkeit
nicht schnödem Gelderwerb, sondern karikativem Einsatz dient.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Frauen trotz ihres
fordernden Berufes nie müde oder missgelaunt sind, Zeit
für alle möglichen anderen Aktivitäten haben, von
verständnisvollen Ehemännern und einsichtigen Kindern
umfassend unterstützt werden und ihnen für alle
häuslichen Routinearbeiten geschultes Personal zur
Verfügung steht. Dass durch Arbeit Geld verdient wird und in
Grenzen unabhängig macht, wird kaum einmal
erwähnt.
Prüfstein: Kinderliebe
Die Romanheldin ist aber nicht nur Mutter
meist mehrerer Kinder, sie hat auch eine wichtige Aufgabe als
Erzieherin ihres männlichen Gegenübers. Viele Helden
benehmen sich über weite Strecken der Romanhandlung hinweg
ihren Mitmenschen gegenüber erstaunlich arrogant, kaltherzig,
boshaft und bisweilen schlicht unerträglich. Oder aber sie
sind feige und entscheidungsscheu, bequem und verantwortungslos.
Dabei unterwirft die Heldin sich zumeist allen, auch den
verschrobensten Wünschen des Helden aus Liebe; es sei denn,
sie sind kriminell oder richten sich gegen das Wohl eines Kindes.
"‚Ferdl, ich mein es sehr ernst', sagte sie leise und
eindringlich. ‚Wenn du bei dieser Meinung bleibst, dann werde
ich zu meiner Schwester fahren. Ich lass mir net mein Kind nehmen.
Von niemandem. Auch net von dir.'" (Der Bergdoktor Nr. 1188, S.
53).
Die Liebe ist zwar allmächtig, aber die
Liebe zu Kindern wird letzten Endes höher eingeschätzt
als die zum altersadäquaten Partner. Jede liebende Frau wird
ihrem Mann einen Ehebruch verzeihen, aber nicht die
Vernachlässigung seines Kindes. Egoistische Männer, die
nicht durch die Liebe einer edlen Heldin geläutert werden
können, entlarven sich durchweg durch ihre mangelnde
Kinderliebe; zum Partner der Heldin eignen sie sich nicht,
mögen sie auch noch so reich, kultiviert, zärtlich,
weltmännisch, tolerant und als Liebhaber zu empfehlen sein.
Kinderliebe ist der Prüfstein, der gute und weniger gute
Menschen voneinander scheidet.
In der Regel gelingt aber die Umerziehung des
Helden. Die Heldin macht aus einem unerträglichen, arroganten
Widerling einen Mann, der sich ihrer würdig erweist - allein
kraft ihrer Liebe, die sich zumeist in Opfern, weniger in Taten
zeigt. Das ist ein gefährlicher und auch gefährdender
Anspruch, weil er Frauen vorspiegelt, die Opferrolle sei ihnen
nicht nur angemessen, die Größe der Liebe zeige sich
vielmehr vor allem in der Größe des Opfers. Ein solches
Denken führt zur Hilflosigkeit gegenüber jedem noch so
unangemessenen Anspruch und bisweilen sogar zu einer verqueren Art
von Stolz auf die eigene Leidensfähigkeit. Viele Heldinnen
zeigen sich dabei hilflos wie Kinder, vor allem dann, wenn ihnen
persönlich ein Unrecht geschieht oder wenn sie haltlosen
Anklagen des Helden ausgesetzt sind.
Wenn der Held sich letzten Endes dazu
herablässt, sein Unrecht einzusehen, und die Heldin endlich
für ihre oft übermenschlichen Anstrengungen und Opfer
belohnt wird, ist sie dankbar wie ein nach langen Leiden endlich
durch Mutterliebe erlöstes Kind. "Er sah die geliebte Frau an.
‚Verzeih...' Dorothea ließ ihn nicht ausreden.
Zärtlich legte sie einen Finger auf seine Lippen. ‚Es
ist vorbei, Volker', flüsterte sie. ‚Für immer
vorbei. Jetzt sind wir zu Hause.' Ihre Hände fanden sich und
ließen sich nicht mehr los" (Fürstenroman Nr. 1033, S.
64).
Obwohl in trivialen Frauenheftromanen
Scheidungen heute durchaus üblich sind und auch nicht generell
moralisch verurteilt werden, endet im Regelfall die Trennung des
Heldenpaares mit einer Versöhnung; es ist recht erstaunlich,
was dem abtrünnig gewordenen Ehepartner (in der Mehrzahl der
Fälle dem Helden) dann alles verziehen wird. Die
trennungswilligen Partner schrecken etwa nicht davor zurück,
gemeinsame Kinder zwischenzeitlich längerfristig in ein Heim
zu geben oder ihre Geliebte in der ehelichen Wohnung schalten und
walten zu lassen, während die Ehefrau schwer verletzt im
Krankenhaus liegt. So kommt es zu grotesken Situationen: Ein Mann
verlässt seine hochschwangere Frau und seine beiden noch nicht
schulpflichtigen Kinder. Die Verlassene ist voller Verständnis
und schämt sich ihrer Verzweiflung. "Silvia wischte sich die
Tränen fort. Seit dem schrecklichen Nachmittag weinte sie fast
ununterbrochen. Dabei hatte sie Jonas versprechen müssen,
tapfer zu sein und nicht zu weinen. Aber wie stellte er sich das
nur vor? Ach, Jonas, warum musstest du gehen, warum hast du mir
nicht noch eine Chance gegeben?" (Dr. Monika Lindt Nr. 130, S. 6).
In dieser Art verzeihender Liebe üben die Heldinnen sich
früh. Bereits Kinder werden in trivialen Frauenheftromanen auf
dieses Ziel hin erzogen.
Diese Kinder werden häufig auffallend
zwiespältig geschildert: einerseits erwachsen und
vernünftig (hilfsbereit, selbständig), andererseits
kindlich und hilflos (dankbar, gehorsam). Dabei kennt die
erwachsene Vernunft - sobald das Kind zu sprachlicher Kommunikation
fähig ist - keine Altersgrenze nach unten.
Ebenso wenig kennt die kindliche
Hilflosigkeit eine Altergrenze nach oben (Beschreibung einer
Sechzehnjährigen in Dr. Monika Lindt Nr. 232: "Beatrix hockte
wie ein Häuflein Elend auf die Knie gestützt am Boden,
als der Vater endlich gegangen war und die Familie Lindt sich
erleichtert im Wohnzimmer versammelte. Ihre Schultern bebten von
heftigem Weinen ... ‚Aber das wollte ich nicht. Was soll denn
jetzt aus mir werden? Ich wollte den Streit mit Papa nicht. Was
mache ich denn jetzt?'").
Romankinder sind sich in ihren
Verhaltensweisen erstaunlich ähnlich, unabhängig davon,
ob das jeweilige Kind zwei oder elf Jahre alt ist, ob es sich um
ein Mädchen oder um einen Jungen handelt, ob es in einem
Zigeunerwagen oder einem Fürstenschloss aufwächst. Sie
sollen bei aller kindlichen Dankbarkeit, bei allem
widerspruchslosen Gehorsam und bei aller Einsicht darein, dass Held
und Heldin am besten wissen, was für ein Kind gut,
förderlich und richtig ist, stets auf erwachsene Weise
vernünftig denken und handeln, und sie verhalten sich in der
Regel auch so. Jedes andere Benehmen und jeder andere Anspruch
könnten die ersehnte Harmonie der Romanfamilie trüben,
die zwangsläufig am Ende des Romans stehen wird.
Wie wichtig diese Harmonie für die
Protagonisten der Romanhefte ist, zeigt sich an den Opfern, die
gebracht werden, um letztlich ein harmonisches Zusammenleben zu
erreichen. Nach dem Unfalltod ihres tyrannischen Ex-Ehemannes
reagiert die Heldin so: "Cornelius, ich kann dir gar nicht sagen,
wie erleichtert ich bin, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht.
Jetzt bin ich wirklich frei. Ich bin frei - frei für dich,
frei für Chrissie und unser neues, wundervolles Leben."
(Kinderschwester Angela Nr. 215, S. 64.).
Meist sind es böse Gegenspieler, die das
Ende des Romans nicht erleben, aber manchmal müssen auch
Kinder sterben, um die zerbrechliche Idylle nicht zu
gefährden. Keine Verlogenheit wird gescheut: Ehebrüche
werden lächelnd verziehen, ebenso eklatante
Vertrauenslosigkeit, offensichtliche Lügen oder ein Verhalten,
das zuvor die ganze Familie in Not und Elend stürzte. Die
Heldin ist stets bereit, ungewöhnliche Opfer zu bringen, um
die Familienidylle zu erhalten oder ihr den Weg zu
ebnen.
Die Zwangsläufigkeit einer harmonischen
Lösung aller Konflikte und Schwierigkeiten führt dazu,
dass jedes den Heldenfiguren während des Romanverlaufs
zustoßende Unglück oder begegnende Leid umkehrbar sein
muss. Zerbrechende Ehen führen zur Bildung neuer,
glücklicherer Partnerschaften; Gestorbene werden - bisweilen
sogar überstürzt schnell - durch ebenso geliebte andere
Menschen ersetzt; charakterliche Schwächen und
Persönlichkeitsstörungen des Helden verschwinden durch
die liebevolle und opferbereite Anteilnahme der Heldin binnen
kurzer Zeit spurlos; Behinderungen heilen auf wunderbare Weise. Die
alltägliche Erfahrung, dass es Probleme gibt, die sich nicht
lösen lassen, dass das Leben dennoch gemeistert werden kann,
findet im Frauenheftroman keinen Raum. "Sie lagen sich in den
Armen, wollten sich gar nicht wieder loslassen und aufhören
sich zu küssen. ‚Siehst du', sagte der Großvater zu
seinem Enkel. ‚Irgendwie wird immer alles gut, wenn man nur
will! Bloß manchmal dauert's eben…'" (Der Bergdoktor Nr.
1129, S. 64).
Sabine Gries ist Sozialwissenschaftlerin und
Dozentin an der Ruhr-Universität Bochum.
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