"Nur weil der Bauch wächst, schrumpft nicht
das Gehirn"
Im Gespräch: Silvana Koch-Mehrin
MdEP
Das Parlament
Frau Koch-Mehrin, offenbar sind Sie der Typ Frau, der vieles
bewältigen kann. Sie sind Unternehmerin, frisch gewählte
EU-Parlamentarierin, junge Mutter und Lebensgefährtin eines
irischen Anwalts. Wie bekommen Sie diese Rollen unter einen
Hut?
Silvana Koch-Mehrin Bislang klappt das, weil ich große
Unterstützung von meinem Partner James erhalte. Wichtig ist
mir dabei, dass ich mich auf meine jeweilige Tätigkeit
konzentrieren und sie mit Engagement und Leidenschaft ausüben
kann. Tagsüber ist meine einjährige Tochter Mila bestens
betreut, so kann ich mich hundertprozentig der Arbeit widmen. Ist
Mila dann am Nachmittag wieder daheim, bin ich ausschließlich
für sie und James da. Meine Arbeit als Unternehmerin lasse ich
allerdings für die nächsten fünf Jahre ruhen. Diese
Tätigkeit lässt sich weder zeitlich noch inhaltlich mit
meiner Funktion als Parlamentarierin kombinieren.
Das Parlament
Sie geben Ihre Tochter Mila sehr früh zur Betreuung und
Förderung in fremde Hände. Sind Sie froh, dass Sie als
Deutsche in Belgien leben und Krippen und Kindergärten dort
nicht als Abschiebeort für berufstätige Eltern betrachtet
werden?
Silvana Koch-Mehrin Ich lebe vor allem gern in Brüssel,
weil ich hier beruflich Fuß gefasst habe, die Europapolitik
dort stattfindet und ich mich auch ansonsten in dieser Stadt wohl
fühle. Dazu kommt, dass sowohl in Belgien als auch in
Frankreich eine exzellente Kinderbetreuung aufgebaut wurde, die es
berufstätigen Eltern ermöglicht, sich sowohl für die
Familie als auch für den Job zu entscheiden. Eltern
können ihre Kinder bereits ab dem vierten Monat in eine
Kinderkrippe bringen, wo sie mit gut ausgebildeten Erzieherinnen
und Erziehern sowie gleichaltrigen Kindern den Tag verbringen, mit
Essen versorgt werden und auch Mittagsschlaf halten. Meine Tochter
geht gerne in die Krippe. Wenn ich sie morgens dort hinbringe,
strahlt sie jedes Mal über das ganze Gesicht, wenn sie die
Betreuerinnen sowie ihre kleinen Freunde erblickt.
Das Parlament
Es heißt, Belgien sei kinderfreundlicher als die
Bundesrepublik Deutschland. Wie erleben Sie diese Haltung und war
sie mitentscheidend für Ihren Familienzuwachs?
Silvana Koch-Mehrin Meine Familienplanung hängt nicht von
solchen äußeren Umständen ab. Sowohl James als auch
ich wollten schon immer Kinder. Ich selbst habe noch zwei
Brüder, James sogar vier Schwestern und einen Bruder. Für
uns beide gehören Kinder somit zu einem richtig
ausgefüllten Leben dazu. Richtig ist aber, dass natürlich
die familienfreundliche Politik in Belgien uns einiges erleichtert.
Hier ist es einfach normal, dass beide Elternteile arbeiten und die
Kinder währenddessen anderweitig versorgt werden.
Das Parlament
Ihr Lebensgefährte James ist Ire, passt auf Ihr gemeinsames
Kind auf und kümmert sich um den Haushalt. War das eine
selbstverständliche Entscheidung oder haben Sie miteinander
gerungen, wie das Leben beider beziehungsweise von allen dreien
zukünftig gestaltet werden soll?
Silvana Koch-Mehrin Natürlich haben wir darüber
geredet, aber es war keine hitzige Diskussion, in der jeder um
seine vermeintlichen Besitzstände kämpfen musste. Die
Arbeitszeiten von James sind planbarer als meine, außerdem
kann er auch vieles von daheim erledigen. Uns beiden war von Anfang
an bewusst, dass meine Tätigkeit mir sehr großen
persönlichen Einsatz abverlangen und die Arbeit auch mit
vielen Reisen verbunden sein würde. Und noch eines: James ist
mein Verbündeter, der mich nie in Frage stellt, mir immer den
Rücken stärkt.
Das Parlament
Sie sind sozusagen eine multinationale Familie. Ihre Tochter hat
drei Pässe, in Ihrer Partnerschaft stoßen, so vermute
ich, zwei Kulturen aufeinander. Wie macht sich das im Familienleben
bemerkbar? In welcher Sprache unterhalten Sie sich?
Silvana Koch-Mehrin James und ich sprechen Englisch miteinander.
Mit Mila reden wir in unserer jeweiligen Muttersprache, das
heißt von James lernt sie Englisch, von mir Deutsch. In der
Kinderkrippe wird Französisch geredet. Ansonsten erlebt Mila
trotz der unterschiedlichen Nationalitäten ihrer Eltern ein
ganz normales Familienleben, so groß ist der Unterschied
zwischen uns nämlich nicht. Zum Essen sitzen wir am Tisch,
speisen mit Messer und Gabel und versuchen, uns wie zivilisierte
Europäer zu benehmen.
Das Parlament
Junge Mütter in der Politik sind keine Seltenheit mehr,
aber gewiss nicht die Regel. Wie reagieren Ihre politischen
Mitstreiter auf Ihre Mutterschaft?
Silvana Koch-Mehrin Ich habe mich sehr gefreut, als ich
schwanger war, und habe das auch nicht verborgen. Natürlich
habe ich dann vermeintlich gut gemeinte Angebote erhalten,
nämlich meine Funktionen und Ämter zu übernehmen,
angeblich um mich zu entlasten. Aber darauf habe ich mich nicht
eingelassen. Es ist eine Frage von Organisation und
Prioritätensetzung. Und klar ist: Mein Kind ist das
Wichtigste. Alles andere steht dahinter zurück. Wer das nicht
akzeptieren kann, setzt in meinen Augen seine eigenen
Prioritäten falsch.
Das Parlament
Ist eigentlich der Eindruck richtig, dass Menschen Müttern
nicht mehr so viel berufliche Power zutrauen wie vorher als Single?
Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Silvana Koch-Mehrin Leider stimmt Ihr Eindruck. Die beruflichen
Vorbehalte fangen schon oft nach Bekanntwerden der Schwangerschaft
an und hören mit der Geburt des Kindes auch nicht auf. Nur
weil der Bauch wächst, schrumpft nicht gleichzeitig das
Gehirn. Mutter zu werden, wird Frauen im Job häufig zum
Nachteil, weil Arbeitgeber und Kollegen immer noch der Meinung
sind, dass eine Mutter nicht mehr belastbar ist oder sich nicht
mehr auf die ihr gestellten Aufgaben konzentrieren kann. Das ist
falsch. Das Gegenteil ist meist sogar richtig. Eine Frau, die sich
für Kind und Beruf entscheidet, ist in den meisten Fällen
die perfekte Managerin. Sie kann bestens planen und organisieren,
sich auf den Punkt konzentrieren, setzt die richtigen
Prioritäten und verrennt sich selten in
Nebensächlichkeiten. Sie arbeitet zügig und
zielorientiert. Mich nervt, dass die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf vor allem als Frauenthema bezeichnet wird. Es ist ein
Elternthema!
Das Parlament
Was bedeutet Ihnen Familie und haben Sie einen Tipp für
junge, gut ausgebildete Frauen, wie sie den Wunsch nach Familie und
beruflichem Erfolg am besten vereinbaren können?
Silvana Koch-Mehrin Ich habe als Kind Familienleben bewusst
erlebt und habe auch heute einen engen und liebevollen Kontakt
sowohl zu meinen Eltern als auch zu meinen Brüdern. Bei ihnen
kann ich sein wie ich bin, auch wenn ich mal nicht so gut drauf
bin. Nun habe ich vor über einem Jahr meine eigene Familie
gegründet, ohne auf meine Berufstätigkeit verzichten zu
müssen. Mir ist das wichtig, denn ich kann mir für mich
nicht vorstellen, nur Hausfrau und Mutter zu sein. Mein Rat an alle
jungen Frauen: Verzichten Sie nicht auf Kinder zugunsten des Jobs
oder umgekehrt. Es geht beides. Gleichberechtigung fängt zu
Hause an, dazu gehört, die neue Verantwortung gemeinsam zu
tragen, und alles, was da an Aufgaben anfällt. Organisieren
Sie gemeinsam eine Kinderbetreuung. Und: begraben Sie ein
mögliches schlechtes Gewissen. Ich glaube: Nur wenn eine Frau
mit ihrem Leben wirklich zufrieden ist, funktioniert auch das
Familienleben.
Das Parlament
Eine letzte Frage an die Politikerin: Welche Bedeutung messen
Sie der Familienpolitik auf europäischer Ebene zu?
Silvana Koch-Mehrin Wenn Europa wirtschaftlich stark sein
möchte, kann es weder auf das Know-how der heute sehr gut
ausgebildeten Frauen noch auf zukünftige Generationen
verzichten. Deshalb müssen wir auf europäischer Ebene
alles dafür tun, dass Eltern nicht vor die Entscheidung
gestellt werden: Karriere oder Kinder. Die Angebote für
Kinderbetreuung sind dabei genauso wichtig wie flexible
Arbeitszeitmodelle und steuerliche Vergünstigungen für
Familien. Vor allem aber: Es muss gesellschaftlich akzeptiert oder
sogar als vorbildlich gesehen werden, wenn man beides unter einen
Hut bekommt. Gerade Deutschland hat hier noch einen großen
Nachholbedarf.
Das Interview führte Ines Gollnick.
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