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Das Parlament
Nr. 39 / 20.09.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Kristin Kupfer

Pekings Sieg auf Zeit und die hausgemachte Niederlage der Demokraten

Die Wahl zum Parlament von Hongkong lässt die künftige Entwicklung der Sonderverwaltungszone im Ungefähren

Der von manchen erwartete Triumph bei den Wahlen zum Hongkonger Parlament ist für das pro-demokratische Lager ausgeblieben. Die Peking-nahen Parteien haben 35 der 60 Sitze errungen. Die Forderung der Bevölkerung nach mehr politischer Mitbestimmung bleibt. Diese will die chinesische Regierung nicht gewähren, sie muss in ihrer Sonderverwaltungszone weiter mit Konflikten rechnen.

Das Ergebnis wurde schnell zur Nebensache. Das Wahlsystem und -management bot allen Beteiligten den Aufhänger für Erklärungen und Analysen. Als die "demokratischste Wahl in der Geschichte Hongkongs" bezeichnete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua die dritten Wahlen zur Legislativversammlung (Legislative Council, kurz LegCo) nach Hongkongs Übergabe. In der Tat wurde nie zuvor die Hälfte der Parlamentarier direkt vom Volk gewählt. Bei den Wahlen unter britischer Herrschaft kam die Bevölkerung erst 1991 zum Zug und durfte für 18 von 60 Sitzen votieren. Nach 1997 erhöhte sich die Zahl auf zuletzt 24 Volksvertreter. Dennoch ist auch das jetzige Wahlsystem nur zweifelhaft-demokratisch.

Neben 30 direkt gewählten Sitzen wird die andere Hälfte von so genannten funktionalen Wahlkreisen überwiegend nach einfacher Mehrheit bestimmt. Diese Wahlkreise bestehen aus einer sehr kleinen Zahl an Vertretern von Berufsgruppen und Verbänden, die unter dem Einfluss der Pekinger Regierung stehen.

Zum Verlierer dieses Wahlmodus wurde das pro-demokratische Lager: obwohl es rund die Hälfte der Stimmen erlangte und zudem die beiden Wahlkreise mit den mitgliederstärksten Berufsgruppen gewann, konnten seine Parteien nur insgesamt sieben Sitze erringen. Auch die von Peking bereits kurz vor der Übergabe initiierte Modus-Änderung für die 30 direkt von der Bevölkerung gewählten Sitze betrachtet das pro-demokratische Lager als Benachteilung: in fünf großen Kreisen werden jeweils vier bis acht Sitze an offene Listen über das Verhältniswahlrecht vergeben. Vor der Änderung galt - wie bei den funktionalen Wahlkreisen noch aktuell - die einfache Mehrheit. 1995 gewannen die Demokraten fast alle Sitze, dieses Mal mussten sie sich mit 18 begnügen. Auch nach Hongkongs Verhältniswahlrecht reicht die Erfüllung einer berechneten Quote, das heißt Stimmenzahl zum Sitzgewinn. Deshalb lohnt es sich, Stimmen auf verbündete Kandidaten aufzuteilen, strategische Absprachen und Kooperation sind wichtig. Auch daran scheiterten die Vertreter der demokratischen Parteien. Das kostete sie mindestens zwei Sitze sowie zukünftige Allianzen. Martin Lee, Gründungsvater der Demokratiebewegung in Hongkong und Kandidat der Demokratischen Partei, sowie Leung Kwok-hung, ein populärer und unorthodoxer Aktivist, wegen seiner Frisur auch "Long Hair" genannt, zogen so viele, für sie de facto überschüssige Stimmen auf sich, sodass zwei andere Kandidaten aus ihrem Lager knapp gegen Pro-Beijing-Leute verloren. "Das war ein egoistischer und dummer Fehler, der viele Freundschaften kosten wird", so Christine Loh, frühere LegCo-Abgeordnete und Chefin des Think Tanks Civic Exchange.

Mangelnde Kooperation ist bezeichnend für das demokratische Lager in Hongkong - außer der gemeinsamen Forderung nach mehr Demokratie vertreten die Parteien und Aktivisten bezüglich des Grades von politischen Reformen sowie bei sozialen und wirtschaftlichen Themen oft unterschiedliche Standpunkte. Jedoch scheint die Überzeugungskraft der bindenden Formel "mehr Demokratie" nachzulassen: zwar werten manche Beobachter die große Unterstützung für Lee und Leung als Sieg und Forderung nach "radikaler Demokratie". Bei einer Wahlbeteiligung von 55,6 Prozent haben immerhin 60 Prozent das demokratische Lager gewählt. In Hongkong ist rund die Hälfte der 6,8 Millionen Einwohner wahlberechtigt.

Die Wahl von unabhängigen Aktivisten wie Leung deutet auf eine wachsende Frustration über die etablierten Politiker hin - Demokraten eingeschlossen. Unter den faulen Äpfeln den besten auswählen, so beschreibt der 21-jährige Student John Siu seine Entscheidung im Wahlkreis Kowloon East. Für andere Wähler ist Demokratie zwar wichtig, aber Stabilität ebenso, manche fürchten eine Auseinandersetzung mit der Zentralregierung in Peking. "Das demokratische Lager muss auch eine Plattform für soziale und wirtschaftliche Belange werden", so Loh, "es muss die Leute von ihrer Regierungsfähigkeit überzeugen".

Für diesen Mangel sind die Parteien allerdings nicht allein verantwortlich. Im Vorfeld der Wahl verdichteten sich Anzeichen für eine massive Einflussnahme Pekings hinter den Kulissen. Zunächst erschütterte eine Reihe von Skandalen das demokratische Lager: James To musste sich gegen offensichtlich fingierte Korruptionsvorwürfe wehren, und Alex Ho wurde wegen angeblichen Umgangs mit einer Prostituierten in der Stadt Dongguan verhaftet und ohne Gerichtsverfahren zu sechs Monaten "Umerziehung" verurteilt. Wähler berichteten, sie hätten den Auftrag erhalten, ihre Stimmzettel zu fotografieren; nur wenn sie Pro-Peking wählen, würde ihnen und ihren Verwandten nichts passieren. Die Organisation Human Rights Watch sprach von einer "giftigen politischen Atmosphäre" und "den besorgniserregendsten Menschrechtsverletzungen seit 1997". Die chinesische Regierung startete eine "Charmeoffensive": neben wirtschaftlichen Anreizen, unter anderem mehr Flüge ins Festland, mehr Touristen nach Hongkong und zollfreie Einfuhr für eine Reihe von Hongkonger Produkten, ließ sie zwei ihrer Goldmedaillengewinner durch Hongkong fahren - wie der erste Taikonaut Yang Liwei sollten sie patriotische Sympathien wecken.

Mit dem Ergebnis kann die chinesische Regierung zufrieden sein. Die Wahlgewinne der demokratischen Parteien halten sich in Grenzen, als Opposition kann sie Verwaltungschef Chef Tung Chee-wa das Leben schwer machen, aber keine Gesetze blockieren. Die Exekutive dominiert das politische Systems: der Chief Executive kann das LegCo auflösen, das zudem kein Recht auf Gesetzesinitiativen besitzt. Dennoch besteht kein Anlass zur Entspannung. Mit dem Bedürfnis nach mehr politischer Mitbestimmung bleiben sowohl der Regierungschef als auch Peking konfrontiert. Die massiven Proteste im Sommer 2003 gegen eine von der Volksrepublik oktroyierte Sicherheitsgesetzgebung haben gezeigt, dass die Hongkonger zum Kampf um demokratische Rechte bereit sind. Das Gesetz wurde vertagt, aber nicht aufgehoben. Die Unzufriedenheit richtete sich hauptsächlich gegen Tungs Regierung, eine Position, die Peking teilt, wird er doch für das Debakel um die verpatzte Implementation des Artikels 23 und die generelle Missstimmung in der Bevölkerung verantwortlich gemacht. Zwar mag Peking mit der Abberufung des Chief Executive Sympathien der Hongkonger gewinnen. Jedoch wäre dies das Eingeständnis einer Fehlbesetzung und würde eine neue Debatte um den Wahlmodus des Verwaltungschefs und auch des LegCos lostreten.

Peking könnte die Schwäche der demokratischen Kräfte nutzen, um durch Zuckerbrot und Peitsche die Hongkonger weiter auf Stabilität und Wirtschaftswachstum einzuschwören. Die Gefahr, dass dies wie im Sommer 2003 nach hinten losgeht, bleibt. Das angeschlagene demokratische Lager zu spalten, um mit den moderaten Kräften und Pro-Peking-Parteien minimale politische Reformen auszuarbeiten, ist für die chinesische Führungsriege ebenfalls gefährlich, auch wegen der Signalwirkung für die eigene Bevölkerung.

Vielleicht wird die Führung einfach abwarten, ihre Einflusskanäle nutzen und insbesondere in krisenhaften Zeiten ausgefeilte Kontrollmaßnahmen anwenden, um direkte und wohlmöglich gewalttätige Einmischung zu vermeiden. Hongkong ist nicht ihr größtes Problem: Die Frage um den Taiwan-Status schwelt, die Lösung kann nicht ewig warten. Kristin Kupfer

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