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Das Parlament
Nr. 39 / 20.09.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Imke Rosebrock

In den Clubs findet die Industrie die Impulse

Nach der Clubkultur kommt der Pop: Deutschlands größte Musikmesse, die Popkomm, zieht nach Berlin
Manche Hits sind unvergänglich: "Schubi dubi du wop, New York, London, Paris, Munich - everybody talk about pop music..." Das ist die Textzeile eines Songs, der schon 1979 weltweit die Hitparaden stürmte und noch heute in zumindest einem Punkt höchst aktuell ist: Alle reden über Popmusik. Dass Berlin auf der Liste der Städte, in denen über Pop verhandelt wird, inzwischen ganz weit oben steht, konnte der Songwriter damals nicht ahnen. Einen Mauerfall, mehrere Krisenjahre der Musikindustrie, diverse legale und illegale Download-Plattformen im Internet und unzählige Klingeltöne fürs Mobiltelefon später - ist Berlin heute für viele große und kleine Labels und Clubs die Heimat. Und Gastgeber der Popkomm, eine der größten internationalen Musikmessen.

Die Popkomm war in Köln 15 Jahre lang zu Hause. Doch der Messe blieben zuletzt die Fachleute weg, Aussteller und Besucherzahlen schrumpften. In Berlin soll alles anders werden. Größer wird es in jedem Fall: Über 800 Aussteller wollen zwischen dem 29. September und 1. Oktober in den Hallen am Funkturm dabei sein. Das ist Rekord. Auf drei Säulen steht das Konzept: Messe, Kongress und Festival.

In Köln gab es parallel zur Popkomm das Ring-Fest. Buden- und Bühnenzauber, fässerweise Kölsch und unbekannte Popsternchen, die hier vor den Zuschauern ihre Feuertaufe bestehen mussten. Das wird es in Berlin nicht geben: Man wolle keine Open Air Bühnen vor dem KaDeWe aufstellen und die Leute beim Einkaufen beschallen. Dirk Schade, zuständig für das Popkomm-Festival, betont: "Wir wollen die Musik und das Festival dort etablieren, wo es hingehört: In die Clubs, die traditionelle Keimzelle der Musik."

Berlin ist bekannt für seinen Underground, aus dem Trends werden. Die besondere Situation nach dem Mauerfall hatte gerade im Berliner Osten für einen Boom gesorgt. Clubs, Bars und kleine Klitschen machten sich in leer stehenden Gebäuden, Kohlenkellern und Hinterhofgaragen breit. "Berlin war ein unbeschriebenes Blatt", beschreibt Olaf Kretschmar diese Zeit. Er ist selbst Clubbetreiber und zudem Sprecher der Club-Commission Berlin, einem Zusammenschluss von über 50 Clubs, Bars und Veranstaltern. Kurz nach Mitternacht an einem Freitagabend sitzt Olaf Kretschmar in seinem Laden, dem "Oxymoron" in Berlin-Mitte. Neben der Bühne, auf der ein DJ alte Soul- und House-Klassiker auflegt, erzählt er von der Zeit nach der Wende: Die Stadt war offen, geistig wie räumlich, Leute aus aller Welt kamen her. Jemand, der unter anderen Umständen vielleicht Physiker oder irgendetwas anderes "seriöses" geworden wäre, hat sich damals in die umtriebige Szene eingebracht. Quereinsteiger und schräge Vögel: sie haben der Clubkultur ihren Stempel aufgedrückt.

Die Zeiten haben sich gewandelt. Die Clubszene sei etablierter und kommerzieller geworden, räumt Olaf Kretschmar ein. Aber ein Club ist noch immer keine Disco. Ein Club ist kleiner, musikalisch anspruchsvoller, persönlicher.

Die Impulse aus dem Underground locken nicht nur das Partyvolk an, sondern auch die Musikindustrie. Für die geht es zur Zeit aber weniger um den Spirit als um ziemlich viel Geld: Seit Jahren sinken die Umsätze. Um fast 20 Prozent im vergangenen Jahr, rechnet der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft vor. Die wirtschaftliche Lage ist insgesamt schlecht, aber es gibt einen weiteren Grund für die Rekordverluste: Immer mehr Musik wird illegal aus dem Internet runtergeladen. 600 Millionen Musikstücke allein im vergangen Jahr. Die Industrie reagiert vor allem mit Kampagnen, die das Raubkopieren stärker kriminalisieren. Gleichzeitig bringt man legale Downloadportale ins Netz, wo einzelne Songs für wenig Geld heruntergeladen werden können. Apples iTunes, Sony-Connect oder Popfile vom Major-Label Universal gehören dazu. Major-Label, das ist die Bezeichnung für eine große Plattenfirma. Die fünf Großen im Geschäft sind Universal Music, Bertelsmann Music Group (BMG), Sony Music, EMI und schließlich Warner Music. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben sie Laut "Financial Times Deutschland" gut 85 Prozent des Musikmarktes ausgemacht.

Die schicken Zentralen von Universal und des Musiksenders MTV an der Spree sind gleich um die Ecke von dem kleinen Büro in Kreuzberg, in dem der Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen (VuT) sitzt. Was für die Großen gilt, gilt auch für die kleinen Musiklabels: Wollen sie überleben, müssen sie sich was einfallen lassen. Mit einem eigenen Kongress will der VuT die Independents über den Vertrieb per Internet informieren und mit dem technischen und juristischen Know-How ausrüsten. "Kleine Labels haben auch in dieser Krise eine Chance, wenn sie ihre Nischen finden, die die Majors nicht mehr besetzen wollen oder können", sagt Eva Kiltz, Geschäftsführerin des VuT, der an die 900 Mitglieder in Deutschland hat. "Manche haben nur vier oder fünf Künstler im Repertoire, sind dafür aber breiter aufgestellt und kümmern sich um alles, um ihre Künstler richtig auf dem Markt zu positionieren."

Die Musikwirtschaft ist im Umbruch. Seit Universal, MTV und nun die Popkomm hergezogen sind, sprechen viele Medien schon von der Musikhauptstadt Berlin. Bei etwa 60 Prozent lag im letzten Jahr der Anteil der Berliner Musikwirtschaft am gesamtdeutschen Umsatz, so die Zahlen des Wirtschaftssenats. Gerade auf dem internationalen Parkett kommt Berlin gut an. Eine vielfältige Szene, vergleichsweise geringe Mieten und Förderprogramme der Politik lock-ten in den letzten Jahren auch deutsche Musiker und Firmen nach Berlin.

Aber der große Umzugsboom lässt langsam nach, glauben viele aus der Branche. Auch Andrea Rothaug, Geschäftsführerin von RockCity Hamburg, beobachtet: "Berlin ist eine sehr spannende Stadt, aber einige kommen wieder zurück." RockCity ist ein Verein, der seit 15 Jahren Musiker unterstützt und die Vernetzung vorantreibt. Hier holt man sich Rat, wenn es um Verträge oder Steuern geht, oder leiht günstig einen Tourbus. An die 600 Bands sind dabei, nicht nur aus Hamburg. Andrea Rothaug sieht keine Konkurrenz zwischen den Städten, sondern die jeweilige individuelle Note, die eine Stadt auszeichnet. So hat Hamburg eben einen Kiez, Berlin viele. "Das hat alles Vor- und Nachteile, man muss das jeweils mögen", sagt sie. In Hamburg könne man zum Beispiel sehr konzentriert arbeiten, so ihre Erfahrung. Und jemanden zufällig treffen. Der Berliner dagegen weiß: In seiner Stadt geht ohne Verabredung meist gar nichts.

Städte und Regionen haben eine eigene, gewachsene kreative Struktur. Die persönlichen Verbindungen, die Netzwerke sind wichtig für die Künstler und das Business drumherum. So hip Berlin in vielerlei Hinsicht auch sein mag, Städte wie München, Köln, Mannheim, Frankfurt entwickeln ihren eigenen Stil. Berlin macht vor allem mit Techno und elektronischer Musik von sich reden, Hamburg ist bekannt für deutschen HipHop oder auch die "Hamburger Schule", also den so genannten intelligenten Gitarrenpop. Und in ein paar Jahren kann das alles schon wieder ganz anders aussehen.

Ende September aber dreht sich vor allem in Berlin alles um die Musik. Und das nicht nur in den Clubs und Messehallen, sondern auch im Bundestag. Am Eröffnungstag der Popkomm findet hier eine Anhörung zum Thema "deutsche Quote" im Radio statt. Obwohl nach Angaben der Phonografischen Wirtschaft deutsche Künstler noch nie so erfolgreich waren wie im letzten Jahr, fühlen diese sich im Programm der Radiosender unterrepräsentiert. Dabei waren im Jahr 2003 über 50 Prozent der Singles in den deutschen Charts Produktionen aus dem Inland. Die Quote sei dringend nötig, sagen die einen. Bloß keine Jägerzäune mehr, sagen die anderen, Pop ist nun einmal international.

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