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Nr. 39 / 20.09.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Böhmische Giganten vor der Haustür

Der internationale Wettbewerb holt die deutschen Heilbäder ein
Tourismus. Den ersten gewaltigen Umbruch haben sie bemerkenswert gut überstanden. Vor acht Jahren schien den deutschen Kur- und Heilbädern das Totenglöcklein zu läuten, als die Krankenkassen die Kostenübernahme bei Kuren drastisch reduzierten. Doch Not macht erfinderisch, und die klassischen Badeorte meisterten die Herausforderung mit neuen Angeboten für betuchte Privatzahler. Die Wellness wurde erfunden und geschickt vermarktet. Jetzt droht allerdings neues Ungemach. Nachdem die ersten Krankenkassen die Kosten für Kuren deutscher Patienten in den östlichen Nachbarstaaten übernehmen wollen, könnten sich Schleusen öffnen. Denn was die Kostenseite angeht, sind Karlsbad und Co. unschlagbar.

Der Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages hat sich vergangene Woche dieses Themas angenommen und dazu zunächst Sachverständige um Auskunft gebeten. Im renommierten Bad Füssing in Niederbayern beurteilten geladene Experten am 13. September die Situation in einer öffentlichen Anhörung. Thema: Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf deutsche Kur- und Heilbäder.

Der Präsident des Deutschen Heilbäderverbandes, Professor Manfred Steinbach, machte deutlich, dass Versorgungsverträge der deutschen Krankenkassen mit Anbietern aus Tschechien oder Ungarn zu einem "Wettbewerbsfaktor" werden können. Schon jetzt sind Bäder jenseits der deutschen Grenze nach den Worten Steinbachs zu 50 Prozent und mehr mit deutscher Kundschaft belegt, die ihre Kur allerdings selbst bezahlen. "Die Belegung mit Gästen aus dem sozialen Leistungsrecht ist zur Stunde mit Unterschieden noch moderat, aber der Preis wird auf Leistungsträger seine Faszination ausüben und zur Belegung verleiten - dann wird Wohnortnähe nicht mehr so wichtig sein." Steinbach rechnet damit, dass sich der Trend zur Kur im billigeren Ausland verstärken wird.

Der Vorsitzende des Bayerischen Heilbäderverbandes und frühere Füssinger Bürgermeister Franz Gnan berichtete, dass sich das Verhältnis zwischen Kassenpatienten und so genannten Selbstzahlern bei den Kurgästen seit den Einschnitten vor acht Jahren umgedreht hat. Seien damals 70 Prozent Kassenpatienten und 30 Prozent Selbstzahler gewesen, so sei es jetzt umgekehrt. Solange es nicht gelinge, in Europa vergleichbare Qualitätsstandards herzustellen, werden die deutschen Kurorte Probleme haben. Allein in Bayern seien in den letzten zehn Jahren 450 Millionen Euro für die Verbesserung der Qualität ausgegeben worden.

Hoffen auf die Prävention

In der EU gibt es rund 1.100 Heilbäder und Kurorte, davon rund 190 in den neuen Mitgliedstaaten. In Tschechien, der Slowakei und Slowenien seien die Strukturen ähnlich wie in Deutschland, so Gnan. Auch dort stünden Arzt, Theraupeut und ortsgebundene Heilmittel im Vordergrund. In Ungarn spiele dagegen der Wellness-Gedanke eine größere Rolle. Die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland habe dazu geführt, dass die Zahl der Anträge auf Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen sowohl bei den gesetzlichen Krankenversicherungen als auch bei den Rentenversicherungsträgern daramatisch gesunken ist. Falsch sei es zu glauben, Wellness-Angebote könnten diese negative Entwicklung etwas abmildern, sagte Gnan. Er setzt auf die Prävention und auf die Prognose, dass die Medizin in 30 Jahren zu 80 Prozent aus Prävention bestehen wird. In der Diskussion um ein Präventionsgesetz in Deutschland sollten daher die Wünsche der Kurorte und Heilbäder beachtet werden - ein Anliegen, das auch die übrigen Sachverständigen unterstützten.

Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Kurbeherbergungsbetriebe Deutschlands, Bernd Schmeink, kritisierte scharf die Praxis der Kostenerstattung von Kuren deutscher Patienten in den Beitrittsstaaten durch deutsche Krankenkassen. So bezahle die AOK Baden-Württemberg Kuren im tschechischen Marienbad bis zur Höhe von 1.000 Euro, ohne die Qualität zu prüfen. Damit würden in einem rechtsfreien Raum unkontrolliert Kosten erstattet. Es werde auch nicht geprüft, ob der Leistungserbringer eine Zulassung hat. Schmeink nannte auch das Beispiel eines Maurers, der in Tschechien in acht Wochen zum Masseur umgeschult worden sei, während Masseure in Deutschland eine dreijährige Lehrzeit absolvieren müssten.

Der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Ostbayern, Georg Steiner, wies auf die große Tradition der tschechischen Bäder hin, deren Ausbildungssystem sich entwickele. "Wir dürfen nicht in unserem System verharren", sagte er. Die Konsequenzen müssten lauten: Ausbau der Infrastruktur, Imageförderung, Qualität.

Rudi Weinberger, Kurdirektor in Bad Füssing, sieht die Zukunft zum Großteil in der Prävention mit ärztlicher Begleitung. Der Wellness-Bereich könne nicht die klassische Kur- und Bäderkompetenz ersetzen. Der Vizepräsident des österreichischen Heilbäder- und Kurorteverbandes, Adolf Weber, hält die Folgen der EU-Osterweiterung für die österreichischen Bäder für nicht absehbar. Er räumte aber ein, dass es im Alpenstaat eine Angst vor künftigen Billiganbietern gibt.

Für den Vorsitzenden des Tourismusausschusses, Ernst Hinsken (CDU/CSU), selbst ein Niederbayer, ist klar, dass man sich in den rund 320 deutschen Kurorten und Heilbädern angesichts solch klangvoller Namen wie Karlsbad, Marienbad und Franzensbad "warm anziehen" wird müssen. Schließlich entfällt fast jeder vierte Arbeitsplatz im deutschen Tourismusgewerbe auf das Kur- und Bäderwesen.

Die Tourismuspolitiker machten sich von der "bayerischen Thermenlandschaft" - so der neue Werbeslogan - direkt auf ins böhmische Bäderdreieck, nach Marienbad und Karlsbad. Der Kontrast war augenfällig: Hier das schmucke, aufgeräumte Bad Füssing, ein in den sechziger Jahren am Reißbrett entworfenes Kurstädtchen. Dort die Badeorte der Kaiser und Könige, auf jedem Meter den morbiden k.u.k.-Charme prunkvoller Häuserfassaden und Hotelpaläste versprühend. Der Blick in die Katakomben einiger dieser Hotels, in die Bäder, Saunen, Therapie- und Fitnessräume, rief den Tourismuspolitikern ins Bewusstsein, dass diese böhmischen Giganten sowohl bei der Ausstattung mit Apparaten als auch beim Know-how des Personals mithalten können, wenn nicht gar überlegen sind. Und das zu - aus deutscher Sicht - Schnäppchenpreisen. Allerdings dürfte die Mehrwertsteuererhöhung von fünf auf 19 Prozent in Tschechien im kommenden Jahr hier einen Preisschub bewirken.

Sachsen setzt auf Kurorte

Vom westdeutschen Vorzeige-Kurort über die böhmischen Traditionsbäder in die Sächsische Schweiz, nach Bad Schandau. Der Geschäftsführer des Sächsischen Heilbäderverbandes, Helfried Böhme, berichtete, Sachsen schließe sich der allgemeinen Tendenz in Deutschland, Kurorte eher zu schließen und abzuwickeln, nicht an. Hier werde die Bestrebung der Gemeinden, möglichst Kurort zu werden, gepflegt, weil die Kurorte zum Tourismus beachtlich beitrügen. Probleme gebe es bei den Kindereinrichtungen und den Mutter-Kind-Kuren. Problematisch sei auch die Vergütung physiotherapeutischer Leistungen, bei denen im Osten nur 70 Prozent der westdeutschen Vergütungssätze erstattet würden, sodass kaum wirtschaftlich gearbeitet werden könne.

Die Betreiber der Kureinrichtungen hätten sich schon früh nach Alternativen wie der privaten Kur sowie Gesundheits- und Wellnessangeboten umgesehen. Nachteilig sei, dass es in Sachsen an hochwertigen Kur- und Wellnesshotels fehlt. Böhme rief dazu auf, den Tourismus zu einer Pflichtaufgabe der Gemeinden zu machen. Was die Konkurrenz zu den benachbarten tschechischen Bädern angehe, so beobachte man die Entwicklung genau, arbeite aber auch zusammen. Im Hinblick auf das Preisniveau habe man zwar schlechte Karten, setze jedoch auf die hohe Qualität der Einrichtungen.

Die tourismuspolitischen Sprecher aller Fraktionen sprachen sich dafür aus, die deutschen Kur- und Heilbäder künftig besser zu vermarkten. Dazu wollen sie die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) auffordern, im Zuge ihrer Werbung im Ausland für den Deutschlandurlaub zunehmend auch die Kur- und Heilbäder ins Szene zu setzen. Dabei müsse allerdings auch die Privatwirtschaft mitwirken. Brunhilde Irber (SPD) empfahl den Badeorten, vermehrt auf Qualität zu achten. Wenn die Krankenkassen Mutter-Kind-Kuren nur restriktiv genehmigten, könne die Politik dies zwar ansprechen, aber nicht ändern. Dies gelte auch für die Vergütungssätze der Physiotherapie, die vom gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen festgelegt würden.

Klaus Brähmig (CDU/CSU) bezeichnete die Kurorte und -einrichtungen als Flaggschiffe in den jeweiligen Regionen, was die Arbeitsplätze betrifft. Man müsse sich bemühen, die Wettbewerbsverzerrungen zwischen Deutschland und den neuen EU-Mitgliedstaten abzubauen und Qualitätsstandards zu vereinheitlichen. Brähmig appellierte an die DZT, die neuen Länder intensiver zu vermarkten. Der Anteil ausländischer Gäste im Osten liege bei vier bis sechs Prozent, während er in den westlichen Ländern zwölf bis 14 Prozent betrage. Undine Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) plädierte dafür, die Kur- und Heilbäder über ihre Qualität zu definieren, und Ernst Burgbacher (FDP) unterstrich die Bedeutung gleicher Wettbewerbschancen, etwa im Steuersystem. Wenn deutsche Krankenkassen Patienten zur Kur nach Österreich schickten, so müssten umgekehrt österreichische Krankenkassen auch Patienten nach Deutschland entsenden. vom

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