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Alexander Weinlein
Der anständige Deutsche
Damals... vor 35 Jahren am 5. März 1969:
Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten gewählt
Neun Stunden tagte die Bundesversammlung am 5. März 1969 in
der Berliner Ostpreußenhalle, bis das neue Staatsoberhaupt
gewählt war. Erst nach dem dritten Wahlgang stand der
Nachfolger von Heinrich Lübke im Amt des
Bundespräsidenten fest: Gustav Heinemann.
Die Mehrheitsverhältnisse waren denkbar kompliziert in der
Bundesversammlung, die sich aus 518 Abgeordneten des Deutschen
Bundestages und 518 Delegierten der Landtage zusammensetze: 475
Stimmen entfielen auf CDU/CSU, 443 auf die SPD, 83 auf die FDP und
22 auf die NPD. Somit war klar, dass beide Bewerber - Heinemann
trat für die Sozialdemokraten an, Bundesverteidigungsminister
Gerhard Schröder war von der Union nominiert worden - sich
schwer tun würden, im ersten oder zweiten Wahlgang die
erforderliche Mehrheit von 519 Stimmen auf sich zu vereinigen.
Selbst im dritten und entscheidenden Wahlgang - hier genügte
die einfache Mehrheit der Stimmen - fiel das Ergebnis denkbar knapp
aus. Für Heinemann votierten 512 Mitglieder der
Bundesversammlung, 506 für Schröder, fünf enthielten
sich der Stimme.
Aber nicht nur die Wahl selbst verlief spannend, auch ihre
außenpolitischen Begleitumstände gestalteten sich extrem
spannungsgeladen. Die Staaten des Ostblocks legten massiven Protest
gegen die Wahl des westdeutschen Staatsoberhauptes im geteilten
Berlin ein. So sah sich Bundestagspräsident Kai-Uwe von
Hassel, der die Bundespräsidentenwahl leitete, genötigt,
klärende und deutliche Worte zu sprechen: "Die 5.
Bundesversammlung ist nicht zusammengetreten, um irgend jemanden zu
provozieren. Wer uns dennoch Provokation vorwirft, übersieht
oder verschweigt, dass wir nichts beanspruchen, was uns nicht
zusteht." Und weiter: "Ob, wann und in welcher Weise wir hier in
Berlin zusammentreten und unsere Rechte wahrnehmen, das entscheiden
wir allein; danach dient es es der Freiheit und dem Lebensrecht
Berlins und der Berliner."
Vier Monate später, am 1. Juli 1969, trat Gustav Heinemann
sein Amt als Bundespräsident mit der Vereidigung vor dem
Bundestag an: "Ich trete das Amt in einer Zeit an, in der die Welt
in höchsten Widersprüchlichkeiten lebt. Der Mensch ist im
Begriff, den Mond zu betreten, und hat doch immer noch diese Erde
aus Krieg und Hunger und Unrecht nicht herausgeführt. Der
Mensch will mündiger sein als je zuvor und weiß doch auf
eine Fülle von Fragen keine Antwort." Mehr innerstaatliche
Demokratie, Aussöhnung mit den Nachbarn nach den Schrecken des
Zweiten Weltkrieges und den Dialog mit der Ende der 60er-Jahre
rebellierenden deutschen Jugend nannte er als Schwerpunkte der vor
ihm liegenden Arbeit.
Heinemann hatte bis dahin schon eine bewegte politische Laufbahn
absolviert: Als Christdemokrat bekleidete er die Ämter des
Oberbürgermeisters in Essen (1946 - 49) und des
Justizministers in NRW (1947 - 49). Am 9. Oktober 1950 trat der
überzeugte Pazifist als Bundesinnenminister im Kabinett
Adenauer aus Protest gegen die Wiederbewaffnung zurück. Nach
der erfolglosen Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei
zusammen mit Helene Wessel wechselte er 1957 zur SPD, wurde erneut
Bundestagsabgeordneter und 1966 Justizminister in der Großen
Koalition.
Wie keiner seiner Vorgänger blieb Heinemann als
Bundespräsident von Kritik verschont: im Inland galt er als
wahrer "Bürgerpräsident", im Ausland bertrachtete man ihn
als "Aushängeschild eines anständigen Deutschen", wie die
britische Zeitung "Daily Telegraph" schrieb. Das
Selbstverständnis Heinemanns lässt sich vielleicht am
besten an einer Verfügung für sein eigenes Begräbnis
ablesen: "Zu einem etwaigen Staatsakt sollen auch eingeladen
werden: Schwer Kriegsbeschädigte, zum Beispiel Blinde,
Kriegerwitwen, körperlich Behinderte, Soldaten,
Zivildienstler, Gastarbeiter." An seinem Grab wollte er nur
Familienangehörige und Freunde wissen, es sollten keine Reden
von offizieller Seite gehalten, und das Geld für Kränze
sollte an die Hilda-Heinemann-Stiftung gespendet werden. Als
Begleiter auf seiner letzten "Reise" wünschte er sich Beamte
des Bundesgrenzschutzes: "Er bewacht mich bei Lebzeiten, deshalb
möge er auch den Sarg tragen."
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