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Bert Schulz
Der letzte Stein ist gesetzt
Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche nahezu
abgeschlossen
Was sagen Zahlen? Können sie ausdrücken, welche
Bedeutung ein (Bau-)Werk hat? In Dresden wurde in der vergangenen
Woche in der bedrohlichen Höhe von 78 Metern über dem
Neumarkt ein exakt 80 mal 60 mal 35 Zentimeter großer und fast
eine Tonne schwerer Sandstein verbaut. Diese Maße wird man
sich wahrscheinlich nicht merken können, vielleicht noch nicht
einmal wollen, denn die kleinen Zahlen verschwinden vor dem
großen Ganzen: Der massive, aber letztlich doch so winzige
Block, der aus den Brüchen des Elbsandsteingebirges stammt,
war der letzte Stein, der noch fehlte beim Wiederaufbau der
Dresdner Frauenkirche. Was 1945 zu einem Trümmerhaufen
zerbombt wurde und anschließend Jahrzehnte lang als Mahnmal
vor sich hin ruhte, steht jetzt wieder. Die Maurer können
gehen.
Sie waren emsig und arbeiteten schneller, als viele hoffen
konnten: Zwölf Monate früher als geplant, nach nicht ganz
zehn Jahren mühsamer Arbeit, setzten zwei Bauarbeiter am 13.
April den Schlussstein. Dahinter wurde eine Kassette eingemauert
mit einer Urkunde, einem Gedicht und der Liste der etwa 200
Bauleute, die die Frauenkirche neu erschufen. "Das war ein langer
Weg", resümierte Baudirektor Eberhard Burger, der sich an die
Anfänge der Rekonstruktiion erinnerte. "Ein bisschen Wehmut
ist schon dabei, weil es zu Ende geht." Ganz so fix geht es jedoch
nicht, weswegen Burger auch von einem "Etappenziel" sprach: Zur
Vollendung fehlt dem großen Symbol gegen den Krieg und
für den Aufbruch aus der DDR-Diktatur noch die Turmhaube. Am
22. Juni soll die kupferbedeckte Holzkonstruktion mit dem
vergoldeten Kreuz aufgesetzt werden. Dann reckt sich die
Frauenkirche wieder auf 91 Meter.
Aber es war ein wichtiges Etappenziel. Diskussionen über
einen Wiederaufbau des Gotteshauses waren bereits kurz nach dessen
Zerstörung durch amerikanische und britische Bombenangriffe in
der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 aufgekommen. Doch die
politischen Verhältnisse ließen die Umsetzung dieses
ehrgeizigen Ziels nicht zu. Mit der Wende 1989 änderte sich
auch das: Bereits im November jenes Jahres gründete sich ein
Bürgerinitiative, 1993 wurde nach vielen schwierigen Debatten
schließlich mit der Enttrümmerung begonnen. Am 27. Mai
1994 wurde im Ostflügel der erste Sandstein gesetzt, über
eine Million weitere sollten folgen. Darunter waren exakt 3.634
Steine, die aus den Schuttresten der Kirche geborgen und wieder
aufgearbeitet wurden. Sie sind dunkler als die neu gebrochenen
Sandsteine und nehmen deutlich sichtbar in der Außenwand ihre
alten Plätze wieder ein. So enthält das neue, alte
Bauwerk auch einige Stücke des Originals, das 1726 bis 1743
nach Plänen des Ratszimmermeisters George Bähr entstanden
war.
Gearbeitet wurde, damals wie jetzt, wie es in einem alten
Volkslied heißt: "Stein auf Stein." Während die Arbeiten
anfangs für Beobachter fast quälend langsam vor sich
gingen, weil der Fortschritt der Bauleute kaum wahrnehmbar war,
schritten sie in den vergangenen Monaten wie im Zeitraffertempo
voran. Hauptsims, Glockentürme und die "Steinerne Glocke"
wuchsen scheinbar unaufhörlich. Erster Höhepunkt: Im
September 2003 wurde die weltberühmte Steinkuppel vollendet,
die historische Silhouette Dresdens vervollständigt.
Der Fortschritt der Bauarbeiten war aber nur die eine
Besonderheit dieser einzigartigen Wiederbelebung. Die andere,
vielleicht bedeutsamere, war die Bereitschaft der Menschen in aller
Welt, gerade auch in den USA und Großbritannien, dieses
besondere Projekt finanziell zu unterstützen. Die Gesellschaft
zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden, ein
Verein, der aus der Bürgerinitiative hervorging, hat heute
nach eigenen Angaben über 6.300 Mitglieder aus 23
Ländern, darunter zahlreiche prominente Persönlichkeiten.
Die Fördergesellschaft sowie regionale Förderkreise
bilden eine der größten kulturellen
Bürgerinitiativen Europas. Zudem haben Hunderte der verbauten
Steine einen "Paten". So wurde ein wesentlicher Teil jener 121
Millionen Euro zusammengetragen, die nach Aussagen der
Finanzdirektion bereits in den Wiederaufbau investiert wurden. Das
sind Zahlen, die letztlich so bedeutsam sind wie das Bauwerk
selbst.
In den kommenden Monaten steht der Innenausbau auf dem Plan. Bis
zum 30. Juni wird der Fußboden mit Sandstein belegt. Im Juli
sollen die letzten Außengerüste fallen. Die farbliche
Fassung des Altars dauert noch bis 2005. Dann soll auch eine
Nachbildung der verlorenen Silbermann-Orgel eingebaut werden. Zur
Eröffnung und Weihe der Kirche im Oktober 2005 werden die New
Yorker Philharmoniker auftreten.
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