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Gülcin Wilhelm
Ein hochgeschätzter Künstler, der sich
in keine Schublade pressen lässt
Türkische Intellektuelle - der
Schriftsteller Murathan Mungan als Beispiel
Er ist ein schöner Mann. Und ein galanter und kultivierter
dazu. Gegenüber denjenigen, die darüber lästern, er
würde so oft in den Frauenzeitschriften abgebildet, zeigt er
keine falsche Bescheidenheit: "Mein gutes Aussehen ist ein Vorteil
jenseits der Literatur. Die Baustellen wimmeln von tausenden, den
ganzen Tag vor sich hin singenden kurdischen Arbeitern, aber nur
einer wird zum Ibrahim Tatlises." Er spielt so auf das gewisse
Etwas zum Starwerden an. Und er ist einer in der Türkei.
Murathan Mungan, Jahrgang 1955, ist Poet, Dramaturg,
Stückeschreiber, Romanautor und Essayist. Er erreicht mit
seinen Büchern sechsstellige Verkaufszahlen. Paare, die
aufgrund eines Gedichts von Mungan die Liebe zueinander entdeckt
hatten, erzählen ihm auf dessen Lesungen, dass sie ihr Kind
nach ihm benant haben. Der Verlag in Griechenland, bei dem einige
seiner Bücher erschienen sind, wählte ihn für das
Projekt "Global Novel" als einen der 18 Schriftsteller aus 18
Ländern aus, die gemeinsam einen Roman schreiben sollen. Die
anderen heißen Yasmina Khadra, Pavel Kohout, Michael Ondaatje
oder Annie Proulx.
Namhafte Sängerinnen und Sänger in der Türkei
nehmen derzeitig mit seinen Texten eine Art Tribute-Album auf.
Seine Zeilen kursieren als Handy-Kurzmitteilungen, bevor der
entsprechende Gedichtband überhaupt auf den Markt kommt. Mit
seinen geistreichen Werken, seiner Persönlichkeit sowie seinem
Intellekt sticht Mungan aus anderen Stars in einem Land hervor, in
dem Starbiographien ohne jegliche Qualifikationen möglich
sind.
Das Publikum in Deutschland konnte ihn bislang nur durch die
Inszenierung seiner Uminterpretation der türkischen Sage
"Dumrul und Azrail" kennenlernen. Mungan verleiht Dumrul, dem
Helden, der für sein eigenes Überleben einen anderen
töten muss, ein neues Bewusstsein und somit einen neuen
Charakter: Er ist nicht mehr auf der Opfersuche wie in der
Ursprungsfassung, sondern fängt an, das Leben zu
schätzen.
Absolvent der Theaterwissenschaften, sorgt Mungan beim Schreiben
der Stücke dafür, dass er die mythologischen
Erzählungen mit seinen eigenen Motiven und Erlebnissen
überarbeitet, sie dabei mit Persönlichem durchsetzt, so
dass sie dadurch von ihm einer Modernisierung unterzogen werden.
Ein anderes Werk von ihm wurde als Ergebnis zweijähriger
Verhandlungen inzwischen im März 2004 als erstes Stück
von einem Autor aus der Türkei in Nordgriechenland
uraufgeführt. Im vorigen Jahr erfuhr ein weiteres
erfolgreiches Stück des Autors eine andere Art von Premiere im
Südosten der Türkei: ein Theaterstück wurde zum
ersten Mal in der kurdischen Übersetzung inszeniert.
Mungan ist überhaupt eine öffentliche Person, die sich
über die Rechte des kurdischen Volkes Gedanken macht. Und
für diese auch aktiv wird und wurde. Und das in den Zeiten, in
denen dieses Engagement Mut erforderte. Er gehörte 2002 zu den
Unterzeichnern einer Deklaration, mit der die Intellektuellen des
Landes die Wähler aufriefen, die linke kurdische Partei DEHAP
zu wählen. Er klagt den Staat an, die kurdische Realität
erst dann anerkannt zu haben, nachdem diese 30.000 Tote gefordert
hat.
Zu Mungans Berühmtheit trägt die Tatsache bei, dass er
sich auch für andere Minderheiten in seinem Lande einsetzt,
zum Beispiel für Homosexuelle. So möchte er selber aber
nicht bezeichnet werden. Nachdem vor einigen Jahren ein Journalist
ihn mit den Worten "Ich bin ein Homosexueller" zitierte, wurde er
von Mungan korrigiert. Er erklärte der Presse, dass er nicht
homosexuell, aber schwul sei.
Giftige Sprache
Gleichgeschlechtliche Orientierung würde nur eine Form der
Sexualität definieren, dagegen schwul zu sein, sei eine
Lebensart. Es gäbe in der Türkei Millionen von Menschen,
die homosexuell seien, aber nie das Schwulsein auslebten. Mungan
erkennt zwar die Existenz einer Schwulenliteratur an, die sich mit
den Problemen sowie der Identität der Schwulen befasst, er
bewertet diese jedoch für sein eigenes Schaffen als
einschränkend.
Seinen ersten Roman "Hohe Absätze", Teil einer Trilogie und
ein Bestseller in der Türkei, schrieb er aus der Perspektive
einer Frau. Anhand des Verhaltens eines fünfjährigen
Mädchens, das sich durch seine Mutter bereits in den
frühen Jahren die Rolle der Weiblichkeit angeeignet hat,
beschreibt Mungan meisterhaft und mit giftiger Sprache die Frau um
das Jahr 2000. Diese sei klug, böse und erfolgreich,
entgegnete er nach der Veröffentlichung seinen Kritikerinnen,
die den Roman zwar frauenfeindlich fanden, aber gleichzeitig
zugeben mussten, dass sie sich mit diesem etwas anderen
"Frauenbuch" doch irgendwie identifizieren konnten.
Primär bekannt ist Murathan Mungan mit seinen Gedichten,
die 14 Bände umfassen. Er sagt, er habe eine besondere
Vorliebe für Spiritualität. Und er beklagt, dass der
allmähliche Verlust dieses Einflusses den
zeitgenössischen Dichtern gar nicht guttun würde. Dieser
Geist würde ersetzt durch Reproduzierbarkeit und eine
zunehmende Technisierung beim Dichten, was wiederum dazu
führe, dass die dunklen Seiten der Seele, die einen erst
wirklich zum Künstler machten, langsam abhanden kommen
würden.
In einer der letzten Publikationen von Mungan geht es um das
Lesen. Als Herausgeber dieser Sammlung mit dem Titel "Der
Schreibtisch" präsentiert er eine Reihe Essays von
verschiedenen internationalen Schriftstellern wie Canetti, Orwell,
Handke sowie Ionesco zu dem Thema.
Sein Hauptinteresse richtet sich vor allem auf Rituale der
Religion und des Glaubens, die einerseits mit Repressalien
verbunden sind, andererseits grundsätzliche Richtigkeiten
enthalten. Er sei stets neugierig auf Auswirkungen dieser Rituale
für die Menschen, auf die Verbindung zwischen Glaube und
Unterdrückung.
Einige seiner Bücher werden in deutscher Sprache im Herbst
2005 beim Unionsverlag erscheinen. Man kann auf den hiesigen Erfolg
gespannt sein. Er sagt auf jeden Fall von sich: "Mein
größter Erfolg besteht darin, dass ich in so einem Land
wie in der Türkei, das mit Schlachthäusern gefüllt
ist, ein guter Mensch geblieben bin." Gülcin Wilhelm
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