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Dirk Halm
Migranten: Starke Sympathien für die
Sozialdemokratie
Türken und die deutsche Politik
Zahlreiche Türken sind Mitglieder in deutschen Parteien und
durch die Einbürgerungen der vergangenen Jahre werden sie auch
als potentielle Wähler interessant. Wahlumfragen belegen
durchgängig eine starke Sympathie der Deutschtürken
für die Sozialdemokratie. Rund zwei Drittel der erwachsenen
Türkinnen und Türken würden ihr Kreuzchen bei der
SPD machen - wenn sie denn wahlberechtigt wären.
Eingebürgert ist aber nur ein knappes Viertel der in
Deutschland lebenden Menschen mit familiären Wurzeln am
Bosporus.
Zu einem guten Teil erklären sich diese politischen
Präferenzen aus der Migrationsgeschichte und der heutigen,
noch immer spezifischen Lebenssituation von Migrantinnen und
Migranten in Deutschland. Die politische Sozialisation der
türkischstämmigen Migranten, die in Deutschland in erster
Linie über die Gewerkschaften erfolgte, drückt sich noch
immer in einer Präferenz für die SPD aus, während
die CDU - obwohl sie mit konservativen Gesellschaftsentwürfen
durchaus auf Resonanz bei einem Teil der türkischen
Wähler treffen könnte - nicht punkten kann.
Grundsätzlich ist zu erwarten, dass mit steigender
Verbleibedauer in Deutschland und zunehmender Integration sich auch
die Parteienpräferenz differenziert und sich der Verteilung in
der deutschen Wählerschaft zumindest langsam annähert.
Aber das politische Engagement der Türkischstämmigen in
Deutschland folgt mitunter anderen Interessenlagen als das der
Mehrheitsgesellschaft. Bestimmte Politikfelder, die für
Wähler ohne familiären Migrationshintergrund nur
Randthemen hergeben, sind bei ihnen im Interessenfokus - sei es das
Ausländerrecht, die Regelung der Zuwanderung oder die
Integrationspolitik. Diese Themen haben großes
Mobilisierungspotential für die türkischstämmige
Wählerschaft. Gleiches gilt auch für die Bildungspolitik,
mit den Zuwanderern als Hauptleidtragenden der fehlgelaufenen
Schulpolitik der letzten Jahrzehnte - siehe die PISA-Studie.
Gleichzeitig hat die der Gesamtbevölkerung wichtigste Frage -
nach Wegen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - auch für
sie - weit vor allen anderen Themen - herausragende Bedeutung:
Während die Arbeitslosenstatistik die allgemeine
Arbeitslosigkeit in Deutschland mit etwa 10 Prozent ausweist, ist
unter den Türkischstämmigen von einer Quote von 24
Prozent auszugehen. Die Außenpolitik spielt demgegenüber
für die Wahlentscheidung der Deutschtürken eine eher
geringe Rolle - abgesehen vom Standpunkt der Parteien zur
EU-Mitgliedschaft der Türkei. Die politischen Rezepte, die
durch die Türkinnen und Türken bei Wahlen honoriert
werden könnten, mögen sich wiederum deutlich von den
Präferenzen der deutschen Durchschnittsbevölkerung
unterscheiden - wirtschaftliche Selbsthilfe wird seitens der
Migranten in starkem Maße in der Selbstständigkeit
gesucht, weshalb gerade mit den wirtschaftspolitischen Konzepten
zur Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen
wichtige Punkte gemacht oder auch verspielt werden können.
Inzwischen werden diese Themen innerhalb der deutschen Parteien
durch Türkinnen und Türken adressiert - und das nicht nur
durch den prominenten Grünen-Politiker Cem Özdemir. Sie
beginnen, sich in den deutschen Parteien zu etablieren. Und obwohl
sie keine Klientelpolitik betreiben wollen, ist ihr thematischer
Zugang von dem der Deutschen doch oft merklich unterschiedlich. Zum
Beispiel Mehmet Gürcan Daimagüler: Er ist der erste
Politiker türkischer Herkunft im Bundesvorstand der FDP. Der
35-Jährige vertritt klare Standpunkte zur deutschen
Innenpolitik: Deutschland ist und war schon immer ein
Einwanderungsland. Daher brauche es endlich ein Zuwanderungsgesetz.
Besonders am Herzen liegt ihm zudem die Verbesserung des
deutsch-türkischen, aber auch des
türkisch-europäischen Verhältnisses. Gegen den
Vorwurf, ein Türkei-Lobbyist zu sein, braucht er nicht
anzukämpfen: Er steht dazu. Die Morde von Mölln und
Solingen an Türken wurden für Daimagüler zum Anlass,
1993 die Liberale Türkisch-Deutsche Vereinigung (LTD) ins
Leben zu rufen, deren Vorsitzender er ist. Sie hat etwa vierhundert
Mitglieder und will das Verständnis zwischen Deutschen und
Türken verbessern und vertiefen.
Und in der Lokalpolitik gibt es interessante Pendants zu
Daimagüler. Der gleichaltrige Özcan Mutlu etwa ist zu
einer bedeutenden Stimme des Berliner Bezirks Kreuzberg
aufgestiegen. In seiner Partei, Bündnis 90/Die Grünen,
ist er seit 1990 aktives Mitglied. Im Oktober 1999 wurde er mit
Direktmandat ins Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt, wo er
sich als bildungspolitischer Sprecher für die
Chancengleichheit aller Schülerinnen und Schüler stark
macht. "Die Schule", so meint der Vater von zwei Kindern, "muss ein
Ort zum Lernen und Leben werden, wo Kinder und Jugendliche ihre
sozialen Kompetenzen erwerben." Zudem ist er Mitglied im
Innenausschuss und der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Er
macht Politik für Deutsche und Migranten gleichermaßen -
aber eben zur Abwechslung aus dem Blickwinkel des Zuwanderers. Dirk
Halm
Dr. Dirk Halm ist Redakteur der Zeitschrift "Eurotürk".
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