David Schraven
"Flanke auf Altintop"
Das Problemfeld Fußballplatz - Zoff in den
unteren Ligen
An was denken Sie, wenn Sie über Türken auf dem
Fußballplatz reden? Haben Sie einen staubigen Ascheplatz vor
Augen, auf dem elf "Schwarzköpfe" gestikulierend durcheinander
rennen? Oder erinnern Sie sich an den 2. August 2003 - damals, als
Hamit Altintop das spektakuläre 2:0 gegen Dortmund schoss?
Beides sind Bilder vom türkischen Fußball in Deutschland.
Zum Beispiel die Kicker der FH Soccer in Bochum. Die Mannschaft
spielt in der untersten Spielklasse, die es in Deutschland gibt. 15
Türken in der zweiten Hobbyliga.
Ali hat den Ball im Mittelkreis angenommen und rennt auf das
Tor. Sein rotes Trikot flattert aus der Hose. Er schaut auf den
Ball und versucht ins lange Eck zu schlenzen. Der Ball trudelt weit
am Pfosten vorbei. "Spiel doch mal ab", brüllt ein Mitspieler
und winkt enttäuscht ab. "Für uns ist vor allem
Freundschaft beim Fußball wichtig", sagt Osman Batgün,
der Trainer und Manager der Truppe, "weniger das Ergebnis." Die FH
Soccer studieren an der Bochumer Fachhochschule, alle sind
Türken, alle kommen aus Einwandererfamilien.
Der Publizist und Fußballforscher Uwe Wick erklärt,
warum ausländische Kicker sich vor allem in "mono-ethnischen"
Vereinen organisieren. "Da wird ein Stück Heimat und
Lebensgefühl mitgenommen." Man hat die gleichen Probleme,
versteht sich gut - ohne viel erklären zu müssen, sagt
Wick. Obwohl das organisierte Balltreten die einzige Weltsportart
sei, würde das Mannschaftsspiel doch das Beharren im eigenen
Milieu fördern. "Um Integration in eine andere Gesellschaft
geht es beim Fußball nur mittelbar", meint Wick, "dann, wenn
man den Gegner auf dem Platz respektiert." Batgün von den FH
Soccern sieht es ähnlich. "Was soll Integration schon sein?
Muss ich Schweinefleisch essen und Bier trinken? Es geht darum,
sich gegenseitig zu akzeptieren. Ich muss keine andere Kultur
übernehmen."
Von Beginn an prägten Ausländer den deutschen
Fußball. Jede neue Einwanderergeneration brachte ihre Kicker
mit. Anfang der 20er-Jahre bildeten polnische Vereine eine eigene
Liga. In den Schalker Siegermannschaften bis 1940 dribbelten mehr
als 30 Spieler mit polnischem Hintergrund.
Die Karriere der Türken in der höchsten deutschen
Spielklasse beginnt dagegen relativ spät mit Arkoc Özcan.
Der türkische Nationalkeeper kam 1967 über eine
Zwischenstation in Wien zum HSV und blieb dort bis 1975,
später wurde er sogar für eine Saison Trainer bei den
Hamburgern. Doch erst die Stürmer Erdal Keser und Ilyas
Tüfekci konnten türkische Fans für die Bundesliga
begeistern. Der aus Hagen stammende Keser lief zwischen 1980 und
1986 mehr als 100 mal für Borussia Dortmund auf. Tüfekci,
sein Sturmpartner in der türkischen Nationalelf, spielte 1980
beim VfB Stuttgart und wechselte zwei Spielzeiten später zu
Schalke 04. Die beiden Kicker wurden zum Idol einer türkischen
Fußballgeneration. Jugendliche begannen sich für den
deutschen Fußball zu interessieren - bislang waren vor allem
Spieler in der Bosporus-Liga für sie prägend. In den
Fankurven der Revierclubs wehten türkische Fahnen. Schalke und
Dortmund wurden zu Begriffen, neben Fenerbahce und Galatasaray.
Größtenteils wurden die neuen Fans integriert. Vor
allem in der Schalker "Gelsenszene" gab es schnell einen
türkischen Block.
Aber auch bei den Hooligan-Zusammenstößen in den
80er-Jahren waren Türken aktiv beteiligt. Nach einem
Auswärtsspiel in Berlin berichtete ein türkischer
Jugendlicher aus der Gelsenszene dem Autor, wie er einen fremden
Fan zusammengeschlagen habe. "Wir sind mit allen Schalkern auf den
drauf. Deutsche - Türken egal. Der war Hertha." In anderen
Hooligan-Szenen wurden die Auseinandersetzungen rassistisch
aufgeladen. Die Dortmunder "Borussenfront" stützte sich auf
einen harten Kern rechtsradikaler Skinheads. Es gab
Schlägereien mit ausländischen Fans. Zu einem traurigen
Höhepunkt kommt es im Dezember 1985. Der junge Türke
Ramazan Avci wird bei einem Heimspiel des HSV von Skinheads
erschlagen.
Seither versuchen Sozialpädagogen bereits im Vorfeld
Auseinandersetzungen zu verhindern. Mit Erfolg. Die Gewalt in den
Stadien konnte mit den Fanprojekten und
Präventionsmaßnahmen in den 90er-Jahren weitgehend
eingedämmt werden. Rassistische Gruppen wurden mit
polizeilichen Mitteln aus den Fanblocks gedrängt.
In den unteren Ligen sind Schlägereien auf dem Platz aber
immer noch ein akutes Problem. In einer Studie kommt der
Sportwissenschaftler Gunter Pilz von der Universität Hannover
zu dem Schluss, dass vor allem Provokationen mit teils
rassistischem Hintergrund Ursache für Tätlichkeiten
junger Ausländer seien. Allein im Niedersächsischen
Fußballverband sei es zu rund 2.600 Sportgerichtsverfahren
gekommen, in denen vor allem junge Türken bestraft worden
seien. Zum Teil seien Mannschaften mit ausländischen Spielern
bewusst von deutschen Mannschaften provoziert worden, um schon
verlorene Spiele noch zu gewinnen, bemerkte Pilz in der Studie
"Ethnische Konflikte im Jugendfußball". Als Ursachen für
die harten Auseinandersetzungen macht Pilz eine Art
"Stellvertreterfunktion" des Wettkampfes auf dem Platz für den
Kampf um soziale Anerkennung und Gleichbehandlung aus. "Der Sport
ist ein Austragungsort eines sozialen Konfliktes, in dem
Mehrheitsgesellschaft und Migranten um die Veränderung der
sozialen Rangordnung, die Verteilung von Ressourcen und die
Anerkennung kultureller Normen kämpfen."
Die hohe Sensibilität der Migranten gegenüber
jeglicher Form der Nichtachtung persönlicher Integrität
erklärt sich für Pilz angesichts ungleicher Chancen und
der herrschenden Fremdenfeindlichkeit. Dabei werden die Konflikte
auf dem Platz härter, je länger die ausländischen
Jugendlichen in Deutschland leben. Anfangs würden
Eingliederungsprobleme noch hingenommen. Diese Toleranz schwinde
jedoch, je länger die jungen Türken unter sozialen
Nachteilen leiden müssten.
Pilz lässt einen Vater in seiner Studie ausführlich zu
Wort kommen, dessen Sohn in einer deutschen Mannschaft gespielt
hat: "Ich gehe auf keine Kompromisse ein. Wäre ich in meinem
Leben auf Kompromisse eingegangen, dann hätte mich die
Gesellschaft vernichtet. Jetzt kommen ein paar schlaue Leute und
sagen mir, was für meinen Sohn gut ist. Ich sage, es ist gut
für meinen Sohn, für sein Selbstwertgefühl und
für seine weitere Entwicklung, wenn er spielt und nicht auf
der Bank sitzt. Da könnt ihr mir erzählen, was ihr wollt.
Was hat die Türkei für uns getan? Was tut die
Bundesrepublik Deutschland für uns? Wir werden doch
überall ausgenutzt." Laut Pilz führen diese Konflikte mit
ausländischen Jugendlichen innerhalb deutscher Vereine dazu,
dass mono-ethnische Clubs stärkeren Zulauf bekommen. Die Kluft
zwischen deutschen Teams einerseits und türkischen
Mannschaften andererseits werde immer größer.
Auch Osman Batgün von den FH Soccer aus Bochum kennt diese
Probleme. Bei einem Hallenturnier seien seine Leute immer wieder
gefoult und beleidigt worden. "Als wir gefragt haben, was soll das,
hat der Schiedsrichter das Spiel abgebrochen." Dabei reißt
Batgün die Arme auseinander und schiebt die Brust vor. "So
haben wir gemacht, das war alles." Der Schiri sah das als
Bedrohung. "Wir müssen mit Vorurteilen kämpfen. Immer
heißt es, die Schwarzköpfe sind Schläger und spielen
Foul. Wir müssen fairer sein als alle anderen, um keine
Probleme zu kriegen."
Der Deutsche Fussballbund (DFB) hat die Probleme erkannt. "Es
ist nicht alles eitel Sonnenschein", gesteht Harald Stenger vom
DFB. Fußball sei zwar eine "ideale Plattform" für die
Integration von Türken, aber es gelte, die Schwierigkeiten
nicht zu verschweigen, sondern offensiv anzugehen. Gerade in den
Landesverbänden bemühten sich die Verantwortlichen,
Probleme zu bekämpfen. Der Geschäftsführer des
Fußball- und Leichtathletikverbandes Westfalen, Carsten
Jaksch, sagt, über 30 Problemlotsen würden eingesetzt, um
ethnische Konflikte einzudämmen.
Mit Yildiray Bastürk und den Brüdern Hamit und Halil
Altintop rückt eine neue Generation türkischer Starkicker
in die erste Reihe. Nach Ansicht des DFB-Mannes Stenger können
diese "Identifikationsfiguren" helfen, "Vorurteile und Schranken im
Kopf" abzubauen. Die Spieler kommen aus Deutschland - Bastürk
wurde in Herne groß, die Altintops sind in der Nähe des
Gelsenkirchener Bahnhofs aufgewachsen. Bastürk spielt in der
türkischen Nationalelf, die Altintops sind auf dem Sprung in
die erste Mannschaft.
Auch Osman Batgün von den FH Soccern will Erfolg. Dabei
kann der Fußball ihm helfen, sagt er. Im Sport gehe es darum,
zu bestehen - wie im Leben. "Als Türke in Deutschland musst du
immer ein wenig mehr leisten als alle anderen, sonst wirst du
überhaupt nicht wahrgenommen." In der Schule hätte man
ihm geraten, kein Abi zu machen. Eine Lehre würde reichen.
"Ich musste mich mit zwölf Jahren durchsetzen", sagt
Batgün. Das habe er auf dem Platz gelernt. Jetzt studiert der
24-jährige Diplom-Mechatronik und will in der Autoindustrie
einen Job finden. "Ich will ein Vorbild für die Türken
daheim im Sauerland sein. Und zeigen, dass man alles erreichen
kann, wenn man den Willen und ein Ziel hat." David Schraven
Der Autor lebt als freier Journalist im Ruhrgebiet.
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