Andrea Riemer
Der Flugzeugträger Zypern im politischen
"Great Game"
Geteilt in die Europäische
Union?
"Es gibt keinen Plan B - es gibt nur diesen
einen Plan oder keinen", betonte Kofi Annan während der
Verhandlungen zur Lösung der Zypernfrage im Schweizer
Bürgenstock. In der Nacht zum 1. April mussten die Verhandler
feststellen, dass die Gespräche gescheitert waren. Die
Aussichten auf eine Akzeptanz des von Annan vorgeschlagenen
Friedensplans durch die griechischen und türkischen Zyprer
waren gering. Somit musste man annehmen, dass der "Worst Case" -
eine geteilte Insel wird EU-Mitglied - eingetreten war.
Zypern stand am Beginn seiner Entwicklung im
hellenischen und venezianischen, danach im osmanischen und
britischen Wirkungskreis. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die
Insel zum Spielplatz für Kämpfe zwischen den
Großmächten; überlagert wurden diese Kämpfe von
inneren Zerwürfnissen zwischen den beiden Volksgruppen und von
Ambitionen der Mutterländer Griechenland und Türkei. Ab
Mitte der 50er-Jahre stiegen die Spannungen auf der Insel. Nach
schwierigen Verhandlungen gelang 1959/60 die Schaffung einer
vorübergehend gemeinsamen Grundlage zur Streitbeilegung mit
den Verträgen von London und Zürich. Zwischen 1960 und
1963 funktionierte das Machtteilungssystem relativ gut. Danach
beschnitt Regierungschef Makarios sukzessive die
türkischzyprischen Minderheitsrechte. Die als Reaktion darauf
folgenden blutigen Unruhen zwischen den Volksgruppen zu Weihnachten
1963 bildeten den Auftakt für die Segregation. Diese wurde mit
den bekannten Ereignissen von 1974 (Juli und August) zementiert.
Binnen weniger Tage eroberte die Türkei mit fast 40.000
Soldaten nahezu 37 Prozent der Insel. Die Annexion des Nordteils
war zum Faktum geworden. Die türkische Invasion zwang etwa ein
Drittel der griechischzyprischen Bevölkerung (circa 200.000
Menschen) zur Flucht in den Süden, während fast alle
Türken in den Nordteil übersiedeln mussten (circa
65.000). Danach siedelte die türkische Regierung eine
große Zahl anatolischer Bauern in der besetzten Zone
zwangsweise an und vertrieb gleichzeitig systematisch die sich
legal in der Zone aufhaltenden griechischen Zyprioten. Im September
1974 reorganisierte sich eine provisorische
türkischzypriotische Regierung unter dem Titel "Autonome
Türkischzyprische Administration". Im Februar 1975
erklärte sich der Nordteil der Insel zum "Turkish Federated
State of Cyprus" (TFSC). Aus ihm entstand im November 1983 dann die
"Turkish Republic of Northern Cyprus" (TRNC). Bereits ab 1975 gab
zwar eine Reihe von Abkommen und Gespräche unter
UN-Vermittlung, die aber letztlich alle scheiterten.
Heute wird die Bedeutung der Insel sehr oft
auch aus strategischer Sicht gedeutet. Von Zypern aus lässt
sich der Nahe Osten militärisch kontrollieren - für die
türkische Armee eine nicht unbedeutende Perspektive. Ferner
werden in naher Zukunft vor Zyperns Küste eine Reihe an
Erdgas- und Erdölpipelines aus dem Irak und dem Kaukasus
verlaufen. Die Türkei hat mit Ceyhan einen Terminal zur Gas-
und Ölverladung, dessen Bedeutung und Qualität sie seit
Jahren immer wieder in das "Great Game" einbringt. Dies zeigte sich
in den jahrelangen Bestrebungen, die Pipeline Baku-Ceyhan zu
errichten - bislang erfolglos, da die USA nicht bereit waren, die
enorm hohen Kosten zu tragen und die Pipeline zusätzlich durch
unruhiges Gebiet laufen würde. Seit dem Irakkrieg hat sich die
amerikanische Position, das Projekt nicht zu unterstützen,
verstärkt. Zypern bleibt aber dennoch eine Art "strategischer
Flugzeugträger" im Mittelmeer. Auf diesem Flugzeugträger
befindet sich eine Mannschaft mit höchst unterschiedlichen
Interessen.
Alle beteiligten Akteure auf Zypern haben
eine Fülle von grundsätzlichen Differenzen, die bislang
alle Verhandlungen erschwerten oder zum Scheitern brachten - so
auch den Annan-Plan. Für die Republik Zypern gelten die
Erhaltung des Status quo ante 1974 (Schaffung eines Bundesstaates
mit einer starken, von der griechischen Mehrheit entscheidend
beeinflussten Zentralgewalt; dies wird bei einem Anteil an der
Gesamtbevölkerung von rund 800.000 bei 80 Prozent
verständlich), mit ethnisch bestimmten, in der Hoheitsgewalt
auf enge Bereiche der Selbstverwaltung begrenzten Teilstaaten
für Zyperntürken und Zyperngriechen und die erst ab 2002
vorhandene Akzeptanz einer politischen Gleichberechtigung der
beiden Volksgruppen als Kernelemente für Gespräche. Im
Zentrum steht ein Gesamtstaat, der rechtlich die Fortsetzung von
1960 darstellt.
Griechenland betrachtet Zypern als Teil
seines Staates. Ein Grossteil seiner Außenpolitik ist auf das
Feindbild Türkei ausgerichtet, wobei die Zypernfrage ein
Instrument des griechischen Nationalismus ist. Daran hat sich -
wenngleich der Ton etwas moderater wurde - auch in der
Annäherungsphase seit 1999 nichts geändert. Die Erhaltung
des Status quo ante 1974 ist Kernelement der griechischen
Position.
Die türkisch-zypriotische Seite (TRNC)
fordert die Abschaffung des Status quo ante 1974, das heißt
Schaffung eines Bundes zweier grundsätzlich
gleichberechtigter, mit weitgehenden politischen Rechten
ausgestatteter Staaten, die durch eine schwache, mit wenig klar
begrenzten Funktionen ausgestattete Zentralinstitution verbunden
sind. Träger der Souveränität bleiben aber die
beiden Partnerstaaten. Anstatt einer Rücksiedlung sollen
Entschädigungszahlungen für griechische Zyprioten
geleistet werden. Auswärtige Mächte, zu denen in jedem
Fall die Türkei gehört, garantieren die Sicherheit der
Insel (Beibehaltung des Garantievertrages von 1960).
Die Türkei sieht sich als alleinige
Schutzmacht für die Zyperntürken. Die TRNC wurde bislang
nur von ihr anerkannt. Die Türkei will den Status quo ab 1974
(Teilung) unbedingt erhalten. Sie versuchte in den vergangenen
Jahren, die TRNC durch eine gezielte Vertragspolitik stark zu
binden, wobei eine Totalintegration (de facto und de iure) in die
Türkei nicht ausgeschlossen werden kann. Bemerkenswert ist,
dass gerade die Türkei eine sehr aktive Rolle in den letzten
Verhandlungen einnahm - wohl auch, weil man sich daraus eine
positive Stimmung für die eigenen EU-Beitrittsambitionen
versprach.
Die Rollen der drei Akteure USA - NATO -
Großbritannien fließen ineinander. Die USA leisteten in
den vergangenen Jahren wertvolle Vermittlerdienste. Eine
Lösung der Zypernfrage wäre für die USA ein
wesentlicher Schritt zur Beruhigung der Region und hätte auch
für andere Konfliktherde Symbolwirkung. Großbritannien
hat eine Doppelfunktion - NATO-Mitglied und Garantiemacht. Zypern
hat dabei einen besonderen Stellenwert, war doch die Insel
jahrelang Teil des Commonwealth und hatte eine wichtige
strategische Bedeutung. Bisherige Vermittlungsversuche waren nur
wenig erfolgreich.
Die EU steht 2004 vor einem Dilemma. Aufgrund
der jahrelangen Politik der Nicht-Involvierung und der
Instrumentalisierung seitens Griechenlands ist man mit einer
unlösbaren Lage konfrontiert. So wurde man von einer
Vermittlerpartei zur betroffenen Fraktion und ist somit nicht
unbedeutender Teil des Problems. Lösungen lassen nach wie vor
auf sich warten, denn die "halbe Aufnahme" kann keine Lösung
sein. Mangelnde strategische Fähigkeiten und eine
unzureichende Einschätzung der Lage seitens der EU sind ein
wesentlicher Teil des vorliegenden Problems. Darüber hinaus
hat die Union nie eine eigene Position erarbeitet, wie aus ihrer
Sicht die Lösung aussehen sollte. Hier wurde eine historische
Chance verpasst.
Die Vereinten Nationen sind aufgrund des
UN-Kontingents bereits seit den 60er-Jahren in das Geschehen auf
Zypern involviert. Der letzte einer Reihe von UNO-Versuchen ist der
Annan-Plan. Trotz größter Verhandlungsbemühungen
scheiterte Annans Plan vorläufig im März 2003. Im
Dezember 2003 tat sich nach den Wahlen im Nordteil Zyperns ein
nochmaliges "window of opportunity" auf. Gegner und
Befürworter eines EU-Beitritts und einer Lösung erhielten
nahezu gleich viele Stimmen; für die Befürworter war dies
dennoch ein Sieg nach Jahrzehnten des Mauerns. Die Wahlen wurden zu
einem Votum für eine umfassende Lösung.
Die USA erkannten dies und drängten alle
Beteiligten, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen - auch
im Hinblick auf die von ihnen vorgeschlagene Befriedung der
Großregion im Rahmen der "Greater Middle East". Vor allem nach
dem Irak-Krieg hat jede Konfliktlösung in diesem Gebiet eine
Katalysatorfunktion. Dies gilt auch für Lösungen auf dem
Balkan (zum Beispiel Kosovo).
UN-Generalsekretär Annan stellte seinen
Plan mit Ergänzungsvorschlägen am 10. Februar 2004
für neuerliche Gespräche zur Disposition. Man vereinbarte
ein dreistufiges Verfahren. Sollte es bis 22. März 2004 nicht
gelingen, auf bikommunaler Ebene zu einer Lösung zu kommen, so
würden bis 31. März 2004 Vertreter der beiden
Mutterstaaten beigezogen. Sollten auch diese zu keiner
tragfähigen Lösung kommen, so würde Kofi Annan
einschreiten und die Lösung vorgeben. Diese würde am 24.
April 2004 der Bevölkerung im Rahmen eines Referendums
vorgelegt werden. Die Verhandlungen waren von Beginn an von
großer Zögerlichkeit und Blockaden charakterisiert. In
der ersten Runde wollten weder Denktasch noch Papadopoulos als
diejenigen dastehen, die die Verhandlungen zum Scheitern brachten.
In der zweiten Runde signalisierte man auf der Ebene der
Garantiestaaten die Verhandlungsspielräume. Der Plan in seiner
vierten und letzten Fassung umfasste rund 200 Seiten mit einer
Annexe von etwa 9.000 Seiten mit 131 Gesetzen und 1.134
Verträgen, die für den neuen Staat bindend
sind.
Für die Aufteilung der Macht wurde eine
lose Föderation nach Schweizer Vorbild vorgeschlagen; die
Vereinigte Republik Zypern wird als ein unabhängiger Staat in
der Form einer "unauflöslichen Partnerschaft" definiert. Sie
besteht aus zwei gleichberechtigten Teilstaaten mit weitgehenden
Befugnissen; diese dürfen in Übereinstimmung mit der
Verfassung eigene wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen mit
dem Ausland pflegen. Das Parlament des Gesamtstaates besteht aus
zwei Kammern, einem Senat und einem Abgeordnetenhaus mit je 48
Mitgliedern. Dem Senat gehört eine gleiche Anzahl von
griechischen Zyprioten und türkischen Zyprioten an. Das
Abgeordnetenhaus setzt sich proportional zur Bevölkerung der
beiden Teilstaaten zusammen, wobei jeder Teilstaat mindestens einen
Viertel der Sitze innehabt. Für Entscheidungen reicht in
beiden Kammern die einfache Mehrheit. In speziellen Fällen ist
eine Mehrheit von zwei Fünfteln der Senatoren jedes Teilstaats
notwendig. Die Exekutive bildet ein für fünf Jahre vom
Parlament gewählter Präsidialrat.
Die Frage der Entmilitarisierung ist für
die griechische Seite von größter Bedeutung, sind doch
seit 1974 im nördlichen Teil 35.000 türkischen Soldaten
stationiert. Laut Vorschlag darf die Stärke der
türkischen und der griechischen Truppe bis 2011 je 6.000 Mann
nicht überschreiten. Nach einem möglichen Beitritt der
Türkei zur EU liegt die Obergrenze für die griechischen
Truppen bei 950 Mann, für die türkischen bei 650. Ein
weiterer delikater Punkt sind die territorialen Rückgaben. Der
türkisch-zypriotische Inselteil umfasst etwa 37 Prozent des
Territoriums bei einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent. Nach
griechischen Angaben verbleiben dem türkischen Teilstaat
gemäss dem letzten Vorschlag noch 29 Prozent. Damit
müssen acht Prozent an die griechischen Zyprioten
übergeben werden, und zwar in einem Zeitraum von 42 Monaten
(unter UN-Aufsicht). Heiß diskutiert wurden auch die
Bewegungs- und die Niederlassungsfreiheit. In die
zurückgegebenen Gebiete können etwa 90.000 griechische
Zyprioten zurückkehren - falls sie wollen. Die dort wohnhaften
Türkischzyprioten müssten umgesiedelt werden.
Mittlerweile scheint klar, dass - falls alle
Mitglieder ratifizieren - de iure Gesamtzypern, de facto aber nur
der Südteil aufgenommen wird. Damit würde die Insel
ethnisch geteilt, und die EU-Grenze wäre mitten durch einen
Mitgliedstaat gezogen. Damit käme es zur absurden Situation,
dass ein Mitgliedstaat von einem Nicht-Mitglied und gleichzeitigem
Beitrittswerber völkerrechtswidrig militärisch besetzt
wäre. Somit sind alle Verlierer. Neben Zypern würde dies
vor allem auf die Türkei zutreffen. Wie kann die EU mit der
Türkei Verhandlungen führen, wenn sie eines ihrer
Mitglieder nicht anerkennt (trotz der durchaus positiven Rolle, die
die türkische Delegation in der letzten Phase der
Verhandlungen spielte)? Stabilisiert ein geteiltes Zypern die
Großregion?
Gleich wie die Entwicklung geht - sie wird
für alle Beteiligten eine große Herausforderung - denn
auch ein Zusammenleben will gelernt werden. Dies wird Generationen
dauern - mit und ohne EU.
Andrea Riemer ist Professorin für
Völkerrecht in Wien.
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