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Josef-Thomas Göller
Die Türken sind als einziger NATO-Partner
der USA im Irak unerwünscht
Ankaras Spagat zwischen Brüssel und
Washington
Türken und Amerikaner haben seit der US-Invasion des Irak
im März 2003 ein tiefgehendes Verständnis- und
Wahrnehmungsproblem. Es geht tiefer, als in beiden Ländern
zugegeben wird. Die Folgen für die Türkei sind
offenkundig. Mit dem Quasi-Verlust der amerikanischen Supermacht
als engstem Freund steht die Regierung in Ankara ohne politischen
Verbündeten von Gewicht da. Der Eintritt der Türkei in
die Europäische Union ist immer noch Zukunftsmusik. Und die
jahrzehntelange "Schutzmacht" USA sieht vor allem in Hinblick auf
den Irak in der Türkei seit März 2003 plötzlich eher
eine Belastung. Die Beziehungen beider Alliierten stehen vor einem
historischen Scheideweg. Die Gründe dafür sind zwar
vielfältig, beruhen aber im wesentlichen darauf, dass die
türkische Regierung versucht, ihre Außenpolitik der der
europäischen Hauptakteure wie Frankreich und Deutschland
anzugleichen.
Präsident Bill Clinton nannte die
amerikanisch-türkische Beziehung 1999 noch eine "strategische
Partnerschaft". Als Weltmacht halfen die USA, die
Sicherheitsinteressen der Türkei zu gewährleisten. Obwohl
das Land am Bosporus jahrzehntelang eher diktatorisch als
demokratisch regiert wurde, wurde es 1952, drei Jahre nach
Gründung der NATO, in die westliche Verteidigungsgemeinschaft
aufgenommen. Die Türkei als "Frontstaat" zur kommunistischen
Sowjetunion und ab 1991 als "Frontstaat" zum Irak, erhielt stets
alle militärische und politische Unterstützung
Washingtons, derer es bedurfte. Außerdem beteiligten die USA
in den 90er-Jahren die Türkei als Partner an dem neu
erschlossenen Energie-Korridor aus dem Kaspischen Becken, und sie
traten als mächtiger Lobbyist für die EU-Mitgliedschaft
der Türkei in Brüssel auf.
Im Gegenzug bewies Ankara stets bedingungslose Treue und stellte
mit drei riesigen Flugplätzen - Batman, Diyarbakir und
Incirlik - nach Deutschland gewissermaßen den
zweitgrößten Flugzeugträger der USA für das
Mittelmeer und den Nahen Osten.
Seit 1. März 2003 ist der türkisch-amerikanische
"Honeymoon" indes vorbei. Das türkische Parlament entschied an
diesem Tag, amerikanischen Streitkräften zu untersagen, von
der Türkei aus in den Norden Iraks einzumarschieren. Es war
zwar zu diesem Zeitpunkt kein Geheimnis, dass sich - ebenso wie in
nahezu allen europäischen Ländern - ein Großteil der
Bevölkerung und der Politiker gegen eine amerikanische
Invasion des Irak aussprachen. Vor allem aber war auch den
Kriegsplanern im Pentagon bekannt, dass seit November 2002 die
islamistische "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" die
Regierung in Ankara stellte, und diese machte keinen Hehl daraus,
dass sie sich nicht an einen Angriff gegen ein islamisches Land
beteiligen werde.
Kenner der Türkei sind sich zudem darin einig, dass der
neue Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan damit auch den
massivsten europäischen Kriegsgegnern - Berlin und Paris - ein
Signal übermitteln wollte, in die Richtung, dass die
Türkei auf die Linie der EU-Hauptakteure einschwenke. Die
türkische Verweigerung führte nämlich dazu, dass die
4. US-Infanterie-Division in den entscheidenden ersten drei Wochen
des Krieges nicht in den Irak verlegt werden konnte, und dass sie
bei der Eroberung Bagdads zu spät kam, um die
spektakulären Plünderungen zu verhindern.
Selbst was die Flug- und Überflugrechte für
amerikanische Kampf-Jets anbelangt, zierte sich der
"Flugzeugträger Türkei" bis zum 21. März und war
damit das letzte Nato-Mitglied, das den Amerikanern diese Rechte
einräumte. Der gesamte Invasionsplan der Amerikaner wurde
dadurch nachhaltig beeinträchtigt. Kein Wunder, dass die
Amerikaner auf die Türken nicht mehr sonderlich zu sprechen
sind. Einerseits!
Andererseits glaubt Washington immer noch, auf Ankara als
Partner nicht gänzlich verzichten zu können. Für
Präsident Bush ist die Türkei der moslemische
Vorzeigestaat, wenn es darum geht, zu beweisen, dass Islam und
Demokratie vereinbar seien. Der amerikanische Präsident wird
seit dem Terror-Anschlag am 11. September 2001 nicht müde, den
22 arabischen Nationen mit Demokratisierung zu "drohen".
Insbesondere am türkischen Nachbar Irak soll ein Exempel
statuiert werden: ein demokratischer Staat tief im Herzen der
islamischen Welt, die sich bisher permanent geweigert hat, auch nur
den geringsten Versuch zu unternehmen, in einem ihrer Staaten
demokratische Strukturen zu bilden.
Außerdem spielt die Türkei in der Nahostpolitik der
Amerikaner ein Rolle, wenngleich vorwiegend hinter den Kulissen.
Ankara gilt nämlich als enger Partner Israels und als Gegner
Syriens. Denn Damaskus hat lange die kurdische Terroristenbewegung
mit dem Decknamen Kurdische Arbeiterpartei (PKK) unterstützt
und tut dies möglicherweise erneut. Die PKK hat ihren im
Februar 2000 angekündigten "Waffenstillstand" am 2. September
2003 wieder aufgehoben. Und es gibt zumindest Hinweise aus
Geheimdienstkreisen, dass Syrien - das ja auch die Terrorgruppen
Hamas und Hizbollah unterstützt - den kurdischen Terroristen
ebenfalls wieder Geld und Waffen zufließen lässt.
Wer mit der nahöstlichen "Logik" vertraut ist, dem
erscheint es nicht als paradox, dass Syriens Staatschef Assad
dennoch im Januar 2004 der Türkei einen offiziellen
Staatsbesuch abstattete, den ersten in der Geschichte beider
Staaten. Diese Gespräche passen in die Taktik der
Bush-Regierung, die den gesamten israelisch-palästinensischen
Streit möglichst tiefhängen und Lösungen im
Hintergrund ausarbeiten will. Ankara kommt, zumindest was Syrien
anbelangt, dabei eine nicht unbedeutende Rolle zu. Es geht darum,
Syrien einzuschüchtern: Damaskus soll sich aus dem Irak
heraushalten, seinen Staatsterrorismus aufgeben und in
Verhandlungen mit Israel über die Golanhöhen
eintreten.
Bereits fünf Monate nach der Invasion des Irak bot Erdogan
den Amerikanern 10.000 Soldaten als "Peace Keeper" an.
Präsident Bush, dankbar für jede internationale
militärische Beteiligung an der Besetzung des Irak, hätte
über dieses Angebot einen Luftsprung machen müssen. Denn
mit der Türkei hätte sich erstmals ein moslemisches Land
an der Friedenssicherung im Irak beteiligt. Außerdem
hätten die Türken nach Großbritannien das
größte ausländische Truppenkontingent gestellt. Der
Haken an der Sache offenbarte sich umgehend. Der provisorische
irakische Regierungsrat lehnte einhellig jegliche türkische
Präsenz im Lande entrüstet ab. Und die USA konnten es
sich nicht leisten, den von ihnen eingesetzten Rat zu
brüskieren.
Im Irak sind die Türken nicht nur bei den Kurden im Norden
verhasst, sondern auch bei den Arabern im übrigen Land. Die
Türken werden als die Nachfolger des Ottomanischen Reiches
gesehen, das im Irak mit der üblichen Brutalität von
Eroberern bis 1917 herrschte. Zudem gesellt sich ein "historisches
Langzeitgedächtnis". Im Jahr 1517 wurden alle Araber vom
türkischen Sultan Selim I. vor den Kopf gestoßen, als
dieser das Kalifat von Kairo nach Konstantinopel verlegte und sich
zum Vertreter des Propheten sowie dem Führer aller Sunniten
erklärte.
Tatsache ist, dass die Spannungen zwischen der Türkei und
den irakischen Kurden seit dem Irak-Krieg wieder gewachsen sind, da
Ankara nachweislich Konflikte zwischen den Turkmenen - den so
genannten "türkischen Irakern" - und den Kurden schürt.
Im April 2003 etwa stoppten die Kurden einen Konvoi des
türkischen "Roten Halbmonds" und beschlagnahmten Waffen und
Sprengstoff, eingepackt in Säcken mit der Aufschrift
"Humanitäre Hilfe".
In diesen Konflikt wurden die USA im vergangenen Jahr tiefer
hineingezogen, als ihnen lieb ist: Am 4. Juli 2003 stürmten
100 US-Soldaten ein sogenanntes Verbindungsbüro der
türkischen Armee in der Stadt Sülemaniye im
nordirakischen Kurdengebiet. Elf türkische Offiziere und
Unteroffiziere wurden von den Amerikanern verhaftet und drei Tage
lang verhört. Während der türkische
Ministerpräsident Erdogan entrüstet von einem
"hässlichen Vorfall" sprach, "der unseren Nationalstolz
kränkt", und während die deutsche Presse überwiegend
der türkischen Darstellung breiten Raum widmete, muss vielmehr
davon ausgegangen werden, dass die kurdische und amerikanische
Verlautbarung eher der Wahrheit entspricht: Dieses türkische
"Verbindungsbüro" in Sülemaniye wurde von den Amerikanern
nicht nur verdächtigt, die Turkmenen gegen die Kurden zu
bewaffenen, sondern auch die Ermordung des kurdischen
Bürgermeisters der Stadt Kirkuk geplant zu haben.
Washington ist sich seit letztem Jahr weitgehend
unschlüssig darüber, welche Politik die USA künftig
gegenüber der Türkei einschlagen sollen. Währen zwei
so genannte "Think Tanks" - also Experten - Steven Simon und
Jonathan Stevenson in der jüngsten Ausgabe der renommierten
Fachzeitschrift "Foreign Affairs" die Türkei nassforsch
weiterhin als "einen Haupt-Verbündeten der USA" bezeichnen,
werden in gebildeteren Zirkeln der amerikanischen Hauptstadt andere
Überlegungen angestellt: Die derzeitige amerikanische
Irak-Politik sei nicht hart und konsequent genug, um eine
funktionierende demokratische Regierung aufzubauen. Vielmehr werden
spätestens im nächsten Jahr Präsident Bush oder sein
demokratischer Nachfolger im Irak "den Sieg erklären und
gehen".
Solch eine Situation würde den Kurden in die Hände
spielen, die die ganze Zeit still gehalten und die Amerikaner
unterstützt haben. Die Amerikaner, so die Überlegungen
weiter, werden die loyalen Kurden in ihrer Bestrebung nach
Autonomie weiterhin unterstützen, auch weil Kurdistan
möglicherweise ihre einzige Plattform im Irak bleiben wird,
insbesondere da damit zu rechnen ist, dass im übrigen Irak
zwischen Schiiten und Sunniten bürgerkriegsähnliche
Konflikte ausbrechen werden.
Andererseits hat Ankara die Option, Luft aus dem Kurdenproblem
zu nehmen, mit mehr Autonomie und indem es Handel zwischen den
irakischen und türkischen Kurden fördert; gerade hier
bietet die Europäische Union zahlreich funktionierende
Beispiele. Damit würde die Westintegration der Türkei
einen entscheidenden Schritt vorankommen. Die EU sollte sich nicht
mehr lange zieren, die Türkei aufzunehmen, schon aus
Sicherheitsinteressen. Josef-Thomas Göller
Der Autor berichtet regelmäßig für "Das
Parlament" aus Washington.
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