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O. Ulrich Weidner
Editorial
Es gab Zeiten, als den Mitteleuropäer es nichts anging,
wenn in der fernen Türkei die Völker aufeinander
einschlugen - diese Zeiten sind aber längst vorbei.
Globalisierung, erdballumspannender Terrorismus, wirtschaftliche
Abhängigkeit führen zur "Weltinnenpolitik". Am Vorabend
der EU-Osterweiterung stellt sich die Frage nach den weiteren
Beitrittskandidaten - am 20. April hat die EU-Kommission dem
Europäischen Parlament empfohlen, den Beitrittsverhandlungen
mit Kroatien zuzustimmen. Ferner stehen Rumänien und Bulgarien
sprungbereit. Und die Frage nach der Türkei ist nicht nur
für die rund 2,5 Millionen hier lebenden Türken oder
türkischstämmigen Deutschen von Interesse - politisch
gehen die Meinungen in der Republik ziemlich weit auseinander.
In dieser Ausgabe werfen wir einen Blick auf die Türkei als
Beitrittskandidat, aber auch auf die hier lebende Minderheit. Ist
die Türkei "europareif", gehört sie überhaupt zu
Europa, in ein vereintes Europa? Die Menschenrechtsbeauftragte der
Bundesregierung, Claudia Roth (Bündnisgrüne), sagt ein
klares Ja, während der Vorsitzende des Ausschusses für
auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlamentes,
der Unions-Abgeordnete Elmar Brok, als Alternative für eine
"privilegierte Partnerschaft" zwischen EU und Türkei wirbt
(Seite 2).
Einem Blick auf die derzeitigen politischen Verhältnisse in
Ankara und auf die Lage der Minderheiten im Lande (Seite 3) folgen
Berichte über den Kopftuch-Streit, den es auch am Bosporus
gibt, und über die sich verbessernde Lage der Kurden, die aber
noch nicht einen Durchbruch kennzeichnet (Seite 4).
Die Türkei als beliebtes Urlaubsland stellen wir auf Seite
5 vor, Istanbul als faszinierende Stadt und eine Reise auf den
Spuren der Bagdadbahn, die mit Hilfe der Deutschen Bahn wieder
aufgebaut werden soll - so wie seiner Zeit unter deutscher Leitung
zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Seite 6). Vural Öger, Chef des
bekannten Reiseimperiums und Spitzenkandidat der Sozialdemokraten
zur anstehenden Europawahl macht sich im Interview Gedanken, wie
man den Wohlstand im Lande erfolgreich verteidigen kann. Welche
politischen Präferenzen Deutschtürken haben und wie
ältere Türken der ersten Einwanderergeneration ihren
Lebensabend in der Bundesrepublik verbringen, wird auf Seite 7
geschildert. Türken sind nicht nur als
Dönerbuden-Besitzer oder fliegende Gemüsehändler
erfolgreich in Deutschland - türkischstämmige Designer
und Moderatoren werden zunehmend bekannter (Seite 8). Tarkan und
Multi-Kulti sind die Themen der folgenden Seite - "Gegen die Wand",
der Film, der zwischen Hamburg und Istanbul spielt und in Berlin
den Goldenen Bären gewann und für den Deutschen Filmpreis
nominiert wurde, ist Beispiel, wie zwischen Kulturen hin- und
hergesprungen werden kann.
4:1 gewann die deutsche Fußballelf 1954 das Vorrundenspiel
gegen die Türkei, als die Kicker um Fritz Walter
schließlich auch Weltmeister wurden. Dass Fußball nicht
nur völkerverbindend ist, sondern besonders in den unteren
Ligen Ressentiments bis hin zum Hass den DFB beschäftigen, ist
auf Seite 10 nachlesbar, ebenso die nicht immer ganz
unproblematische Lage der Medien in der Türkei.
Als Mittler zwischen den Kulturen versteht sich das Essener
Zentrum für Türkeistudien. Das bisweilen heftig
getrübte Verhältnis zu Griechenland und überhaupt
das poltische Verhältnis zu seinen Nachbarn wird auf Seite 11
beleuchtet - und schließlich auch das Verhältnis der
Türkei zu Russland und den USA. Zu den Amerikanern ist das
Verhältnis nach dem Irak-Krieg nicht mehr das beste, zumal man
in Washington argwöhnt, Ankara wolle sich zwischen den USA und
Europa zugunsten Brüssels entscheiden.
Dass der Direktor des Zentrums für Türkeistudien,
Professor Faruk Sen, für den EU-Beitritt der Türkei
wirbt, versteht sich von selbst (siehe nebenstehend). O. Ulrich
Weidner
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