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Marianna Butenschön
Ölterminals vor Zarenschlössern
An Russlands Ostseeküste ist das
"Hafenfieber" ausgebrochen
Das Städtchen Lomonossow liegt 40 Kilometer
westlich von St. Petersburg am Südufer der Newa-Bucht, dort,
wo der umstrittene Damm endet, der seit 1980 in Bau ist und St.
Petersburg einmal vor Überschwemmungen schützen soll. Bei
gutem Wetter kann man von Lomonossow aus die Festung Kronstadt auf
der Insel Kotlin erkennen, die den Damm in zwei Teile teilt.
Den Namen des russischen Universalgelehrten
Michail Lomonossow trägt die Stadt, Standort einer
berühmten Porzellanfabrik und Geburtsort des Komponisten Igor
Strawinsky, seit 1948. Davor hieß sie Oranienbaum, so wie
heute wieder die Haltestelle der Vorortbahn, die vom Baltischen
Bahnhof in St. Petersburg an Schlössern und Sommerhäusern
der Zaren und des russischen Adels vorbei nach Kalischte
fährt. Und so heißt auch das einmalige Schloss- und
Parkensemble aus dem 18. Jahrhundert, das von der UNESCO zum
Weltkulturerbe erklärt wurde.
Die Stadt mit ihren 46.000 Einwohnern, von
denen zu Sowjetzeiten viele in längst geschlossenen
Forschungsinstituten der Rüstungsindustrie gearbeitet haben,
könnte auch vom Tourismus leben. Sie ist zu Wasser und zu
Lande ein ideales Ausflugsziel von St. Petersburg aus. Doch statt
auf Tourismus und Naturschutz setzen die Verantwortlichen auf die
industrielle Erschließung der Uferzone. Als erste errichtete
die finnische Firma Neste einen Terminal samt Lager für
Ölprodukte. Eigentlich sollten die schweren Tanklaster der
Firma die Umgehungsstraße benutzen. Statt dessen fahren sie
mitten durch die stille kleine Stadt, vorbei an Russlands erster
Gemäldegalerie, die jedesmal vibriert, wenn sie ein
Zisternenwagen passiert, vorbei auch am Großen Palast des
Fürsten Menschikow. Direkt an der Einfahrt des halb
verfallenen Kanals, durch den einst die Zaren und ihre Gäste
auf Ausflugsbooten bis zum Großen Palast fuhren, soll ein
Bitumen-Terminal entstehen, dessen Fertigstellung sich allerdings
hinzieht. Gegen den Bau hatte die Stadt sich gewehrt, dann aber dem
Druck aus St. Petersburg nachgegeben.
Das Bitumen soll aus Schweden importiert
werden, der Rohstoff dafür kommt aus Venezuela. Die Physikerin
Olga Senowa, Vorsitzende der Öko-Gruppe "Kinder der Ostsee",
die auch die Erziehung zum Umweltschutz zu ihren Aufgaben
zählt, findet diese Art Investitionspolitik wenig sinnvoll.
"Warum produzieren wir nicht selbst Bitumen für unsere
Straßen", fragt sie, "wir haben doch genug Öl!" Statt
eigene Technologien zu entwickeln, nutze Russland sein Territorium
"als Umschlagplatz für fremde Technologien, fremden Rohstoff
und fremde Importwaren".
Nun soll gleich beim Bahnhof auch noch ein
Metallhafen gebaut werden. Dafür müsste ein Teil der
Bucht aufgeschüttet werden. Um möglichen Protesten von
Bevölkerung und Umweltschützern vorzubeugen, hat die
Betreiberfirma der Stadt, die keine Kläranlagen besitzt und
ihre Abwässer in die Newa-Bucht leitet, angeboten,
Kläranlagen zu bauen. Olga Senowa findet den Preis zu hoch.
"Dieses Gelände werden wir nie zurückbekommen", sagt sie.
"Niemand wird die Bucht wieder ausheben. Der Tourist, der in eine
Stadt am Meer kommt, kriegt das Meer nicht zu sehen."
Die Umweltschützerin lässt auch das
Argument nicht gelten, dadurch komme Geld in die Stadt. "Die
Steuern fließen in den Moskauer Haushalt." Ebenso wenig
bringen die Terminals neue Arbeitsplätze, die der
Bevölkerung in der Regel versprochen werden, weil die
(zumeist) westlichen Investoren ihre eigenen Leute mitbringen,
für die dann auch noch knapper Wohnraum bereitgestellt werden
muss.
Dabei sind die Ökologen keineswegs gegen
die industrielle Erschließung der verarmten Küstenregion.
Diese dürfe aber nicht auf Kosten der empfindlichen Umwelt und
der Einheimischen gehen, sagt Olga Senowa. Ihre Organisation, die
einzige ihrer Art in Lomonossow, wird zwar zu den vorgeschriebenen
"Öffentlichen Anhörungen" eingeladen, wenn der Stadt ein
neues Investitionsprojekt vorgelegt wird. Doch die Kräfte der
Ökologen sind zu schwach, um den Rat von Fachleuten
einzuholen, und in der Regel trifft die Einladung so spät ein,
dass nicht genug Zeit zu fachmännischer Vorbereitung bleibt.
"Die Stadtväter leben nur für den heutigen Tag, sie
denken nicht an die Zukunft und nicht an künftige
Generationen!"
Lomonossow ist keine Ausnahme. Seit die
eisfreien Häfen des Baltikums im Ausland liegen, ist an der
gesamten russischen Ostseeküste "Hafenfieber" ausgebrochen,
das den Umweltschützern Sorgen bereitet. "Die baltischen
Häfen wurden gebaut, als Litauen, Lettland und Estland Teil
der Sowjetunion waren", sagt Oleg Bodrow, Vorsitzender der
"Grünen Welt" in Sosnowyj Bor, "die russische Regierung
betrachtet diese Länder als politische Gegner, auf die
ökonomischer Druck ausgeübt werden muss. Deshalb wurde
beschlossen, deren Häfen nicht weiter zu nutzen, sondern
eigene an der Ostsee zu bauen." Damit hat Russland vor allem den
Öl-Export in eigene Regie genommen, und die Ostsee ist zum
Haupttransportweg für russisches Öl und andere Rohstoffe
geworden.
Bedrohte Natur
Doch an der Küste zwischen Ustj-Luga im
Westen und Wyborg im Nordwesten von St. Petersburg machen im
Frühjahr und im Herbst Zehntausende Wasservögel auf ihrem
Weg in die Arktis wie auf ihrem Rückweg in südliche
Gefilde mehrere Wochen Station. Deshalb stehen dort große
Flächen unter dem Schutz der Ramsar-Konvention, eines
internationalen Abkommens über den Erhalt von Feuchtgebieten,
das auch Russland unterzeichnet hat. "Die Ramsar-Territorien werden
zerstört", sagt Oleg Bodrow, "weil Russland den politischen
Beschluss gefasst hat, am Ufer der Ostsee eigene Häfen zu
bauen."
Ustj-Luga ist als Öl-, Kohle-, Holz-,
Düngemittel- und Aluminium-Hafen vorgesehen, aber auch als
Verladestelle für abgebrannten Nuklearbrennstoff aus dem
Westen, den Russland wiederaufbereiten und endlagern will. Wieviel
von den insgesamt 20.000 Tonnen, die bis 2010 importiert werden
sollen, auf Ustj-Luga entfallen, ist nicht bekannt. Die
Umweltschützer am Finnischen Meerbusen schlagen Alarm, zumal
das strahlende Material auch noch ins Landesinnere transportiert
werden muss. Überdies unterstützt das Ministerium
für Wirtschaftsentwicklung die Idee, im künftigen
Großhafen Ustj-Luga eine Freihandelszone zu errichten, die
eine Fährverbindung nach Baltijsk (Pillau) im Gebiet
Kaliningrad erhalten soll. Ustj-Luga aber liegt unmittelbar neben
der Kurgal-Halbinsel, die unter dem Schutz der Ramsar-Konvention
steht.
Auch auf der Karelischen Landenge im Norden
Petersburgs nehmen die mächtigen Ölgesellschaften auf die
Natur nur wenig Rücksicht, obwohl die Landenge die wichtigste
Erholungszone für die 4,5 Millionen-Metropole ist. "Die Stadt
kann nicht als Steinwüste leben", sagt der Physiker Alexander
Sutjagin, der in Petersburg für die "Grüne Welt" arbeitet
und gelegentlich für die "Bellona"-Zeitschrift "Recht und
Ökologie" schreibt. "Sie muss Grünzonen haben, in denen
ihre Bewohner sich erholen können. Warum werden
ölverarbeitende Fabriken und Terminals ausgerechnet in einer
Erholungszone errichtet? Wer fährt zur Erholung an einen Ort,
wo eine Fabrik gebaut wird?"
Doch die beiden neuen Ölhäfen
Primorsk und Wysozk, die auch direkt neben einem
Ramsar-geschützten Territorium und einem Naturschutzgebiet
gebaut wurden, sollen noch erweitert werden, denn Russland verdient
gut am Öl. Das Baltische Pipelinesystem BTS der Staatsfirma
Transneftj, die das schwarze Gold aus Westsibirien an die Ostsee
transportiert, wurde statt in vier in nur anderthalb Jahren gebaut,
knapp an St. Petersburg und am Ufer des Ladoga-Sees vorbei
geführt und mitten durch Natur-Reservate gelegt. "Man kann
nicht sagen, dass schlecht gebaut wurde, aber auch nicht, dass gut
gebaut wurde", sagt Alexander Sutjagin, der den Bau beobachtet hat.
"Das ist ein Anlass zur Sorge, weil die Öffentlichkeit
keinerlei Möglichkeit hat, auf die Realisierung derartiger
Projekte Einfluss zu nehmen. Sie werden auf Befehl von oben
realisiert und durchlaufen jede Expertise." Die Umweltexpertise
für das Baltische Pipelinesystem urteilte nach Sutjagins
Recherchen "bedingt positiv". Das Projekt konnte realisiert werden,
musste aber noch nachgebessert werden. Doch niemand vermag zu
kontrollieren, ob Transneftj die Verbesserungen auch
tatsächlich vorgenommen hat. Schließlich hat
Präsident Wladimir Putin das Umweltministerium und einen Teil
seiner Kontrolldienste abgeschafft.
All das kümmert die russischen
Ölgesellschaften nicht, die immer noch Einhüllentanker
unter Billigflaggen chartern und durch schwieriges Fahrwasser im
Finnischen Meerbusen über die Ostsee in
außereuropäische Häfen schicken, ohne dass sie
kontrolliert würden. Die "Prestige", die im November 2002 vor
Spanien zerbrach, hatte in St. Petersburg 50.000 Tonnen
Schweröl geladen, bevor sie im lettischen Ölhafen
Ventspils weitere Ladung aufnahm. "Wäre diese Havarie hier
passiert, dann wäre das eine gigantische Katastrophe gewesen,
die alles Leben im östlichen Teil des Finnischen Meerbusens
zerstört hätte", sagt Oleg Bodrow. Petersburgs
Ölhafen soll erweitert werden.
2004 ist die Ostsee gegen den Widerstand
Russlands zum "besonders empfindlichen Seegebiet" erklärt
worden, und Anfang Juli sind die Ostseeanrainerstaaten, auch
Russland, übereingekommen, den Transport von Schweröl in
Einhüllen-Tankern bis zum 5. April 2005
einzustellen.
Den russischen Ölmagnaten bleibt nicht
mehr viel Zeit. Sie werden sie nutzen und noch soviel Öl, wie
irgend möglich, auf den Markt bringen, während die
staatliche Baltmorinspekzija (Ostseeinspektion) aus Geldmangel
nicht genügend Kutter und Hubschrauber zum Einsatz bringen
kann. Allein im ersten Halbjahr 2004 sind knapp 20 Millionen Tonnen
Rohöl über Primorsk umgeschlagen worden, dreimal soviel
wie im ersten Halbjahr 2003.
Die Umweltschützer hoffen, dass im
kommenden Winter, wenn vielleicht auch wieder Eisbrecher auf Kosten
des Steuerzahlers die Fahrrinne im Finnischen Meerbusen freihalten
müssen, nichts passiert. Die Angst vor einer Ölpest ist
groß, kein Ostseeanrainerstaat ist darauf vorbereitet, am
wenigsten Russland.
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