Erich Röper
Viel Polemik, wenig Wissen
Darnstädts rabiater Rundumschlag
Eine "Streitschrift" ist das Buch: Deutschland sei
reformunfähig, kaum noch regierbar, so der promovierte Jurist
mit Schwerpunkt Staatsrecht, seit 1984 "Spiegel"-Autor zu aktuellen
politischen Entwicklungen. "Ohne eine ganz neue Organisation des
Staates, der Demokratie, der Parteien, der Verbände und der
Gemeinden, ohne ein neues Verhältnis zur Europäischen
Union, eine Stärkung der Regionen und die Abschaffung der
deutschen Kleinstaaterei gibt es keinen Ausweg aus der
Konsensfalle."
Ein Dickicht blockierender Kompetenzen, Konsenssucht,
Reformunwilligkeit und Lobbies zeigt er in sechs Kapiteln:
Enthauptete Republik ohne funktionierende Verfassung; Prinzip
Wettbewerb; Abschaffung der Demokratie; Gemeinden - wankende
Fundamente des Staates; von den Kulturministern ruinierte Bildung;
wozu noch Gesetze, da der Verbändestaat den Rechtsstaat
ablöst? Mit dem Grundgesetz sei die schleudernde
drittgrößte Industrienation nicht mehr zu managen.
Hauptzeuge ist McKinseys Deutschland-Chef: Der Staat des
Grundgesetzes "sei zum ?Sanierungsfall' geworden: ?ineffizient und
ungerecht'".
Vorurteile und Feindbilder
Zitate garnieren Darnstädts Vorurteile zu Parlamentarismus,
ministerialen Fachbruderschaften, organisierter
Verantwortungslosigkeit. Vor allem das Feindbild Landesfürsten
dekliniert er durch: "Nirgendwo auf der Welt gibt es so etwas
Verrücktes wie in Deutschland. 16 Kleinstaaten, die sich
ineinander verknäulen, damit ja keiner etwas ohne den anderen
tut." Abschaffen müsse man das Monstrum Bundesrat!
Und wo bleibt bei staatlichem "shareholder value" der Mensch?
"Die innere Einstellung zu sozial Schwachen ist das Kriterium,
durch das sich (Christliche) Demokraten von Liberalen unterscheiden
müssen", so Heiner Geißler. Obwohl kein Strukturproblem
Vorpommerns besser in Hamburg statt Schwerin gelöst wird, will
Darnstädt Zentralisierung (nationaler Bildungsstandard),
große Bundesländer. Da aber Politik mit einem Minimum
öffentlicher Mittel ein Maximum an Wählern erreichen
will, wird der Rezensent Berlin-Brandenburg ablehnen, damit nicht
die Interessen der Randgebiete in Groß-Berlin untergehen.
"Die Parteien haben den Staat zu ihrer Kolonie gemacht." Der
Rezensent kennt ihr Innenleben, doch ist die Demokratie besser als
alle anderen Staatsformen (Winston Churchill). Wie sonst hätte
Heiner Geißler sich so lange halten oder Ströbele
Abgeordneter werden können? "Die Fraktion, das schwarz gebaute
Schlachtschiff des Parteienstaats"? Nur so sind Parlamente zu
organisieren. Plebiszite dienen wie in der Schweiz meist den "beati
possidentes"! Wählt Darnstädt darum die auch in einer
Volksabstimmung abgelehnte neue Rechtschreibung?
Die Gemeinden Opfer organisierter Verantwortungslosigkeit,
"Kommunalwahlen eine verfassungsrechtlich veredelte Variante
besonders komplizierten Unfugs"? Nicht die Länder haben
"für die finanzielle Misere der Städte und Dörfer
einen großen Teil der Verantwortung", nicht "die Verfassung
ist der Tod der Städte", globale Raffkes zerstören mit
technischen Abschreibungen in Drittländern die Deutschland AG
und Kommunen. "Die Unternehmen müssten durch Gesetz gezwungen
werden, wieder mehr und gewinnunabhängig Steuern an die
Kommunen zu zahlen."
Das Bildungssystem ist nicht wegen der Kultusministerkonferenz
("groß angelegtes Betrugsunternehmen") marode. Trotz PISA
wollen die politisch tonangebenden Bildungsbürger "die
Restauration des alten deutschen Schulmeistergymnasiums" und
überall anerkannte Abschlüsse. Doch be- und verhindert
ihr verschrobener Leistungsbegriff eine Schulreform. Kein Protest
Darnstädts! Er polemisiert gegen die Lehrer, die marktgerecht
den Wettbewerb nutzen.
"Der Rechtsstaat, ein gefährlicher Wahn" schützt
Bürger und Gesellschaft. Zu recht steht "ein Bauherr vor fast
unüberwindlichen Hürden, wenn er außerhalb
geschlossener Ortschaften bauen will". Sollen auch die Natur
privatisiert, Richter und Beamte nach Gutsherrenart befördert
werden? "Der Zweckstaat als Nachfolger des Rechtsstaats"?
"Korporatismus . . . für die Teilung der Macht zwischen Staat
und Verbänden" ist ein Ständestaat - Dollfuß und
Franco lassen grüßen.
"Die ganze Konsensrepublik funktioniert schon in sich nicht
mehr." Kein Vorurteil fehlt. Rar sind Lösungsideen. Es ist zu
wenig. Mängel gibt es, der Rezensent könnte ein Buch
füllen. Fundamental-Polemik aber braucht mehr Sachkenntnis,
nicht nur Zitate. Darnstädt hat gebellt, doch zunächst
zieht die Karawane weiter.
Thomas Darnstädt
Die Konsensfalle. Wie das Grundgesetz reformen blockiert.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004; 192 S., 18,90
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