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Alexandra Kunze
Von Angsthasen und Zaubermeistern
Die Kinderkommission präsentierte sich zu
den "Tagen der Ein- und Ausblicke" im Bundestag
Sah man am vergangenen Wochenende im Deutschen Bundestag
jauchzende Kinder über den Fußboden hüpfen,
hörte man sie leise über ein Stück der Augsburger
Puppenkiste tuscheln und spürte man die Ausgelassenheit, mit
der sie mit herumliegenden Bällen und Reifen tobten - man
konnte denken, Grönemeyers 90er-Jahre-Verheißung "Kinder
an die Macht" stehe kurz vor ihrer Vollendung.
Grund dafür waren die "Tage der Ein- und Ausblicke" des
Deutschen Bundestages (vergleiche Seite 24), in dessen Rahmen sich
die "Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder"
(Kinderkommission) an einem Stand im Paul-Löbe-Haus
präsentierte. Die zum "Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend" gehörende Kommission hielt ein
umfangreiches Programm für ihre kleinen und großen
Besucher bereit.
Anlaufstelle für Kinder und Eltern
Die Kinderbeauftrage der SPD, Marlene Rupprecht, wollte mit dem
Stand Bürgernähe signalisieren. Im Gegensatz zu anderen
Ausschüssen, die den Kontakt zur Bevölkerung weitgehend
über ihre zuständigen Ministerien laufen lassen, sieht
sich die Kinderkommission als eine Anlaufstelle für alle
Angelegenheiten, die in irgendeiner Art und Weise mit Kindern zu
tun haben. So können sich interessierte Eltern und neugierige
Kinder gleichermaßen mit ihren Fragen und Problemen direkt an
die Mitarbeiter der Kommission wenden, um dort mühelos einen
Ansprechpartner zu finden.
Dass ein solches Konzept erfolgreich sein kann, zeigt sich an
der Wissbegier von Lina aus Oranienburg. Die Zehnjährige, die
wegen dauerhafter Anwesenheit leicht mit dem personellen Inventar
des Standes verwechselt werden konnte, bewies einen
ausgeprägten Sinn fürs Politische, auch wenn sie sich
angeblich nur "ein bisschen" dafür interessiert. Die Arbeit
der Kinderkommission hält sie für sehr wichtig,und wenn
andere Kinder von dieser Einrichtung wüssten, würden sich
auch mehr von ihnen für Politik interessieren, glaubt sie.
Besonders das Thema "Gewalt in der Erziehung" liegt Lina am Herzen.
Sie hofft, dass die Kommission den Mädchen und Jungen helfen
kann, aus einer solchen Notsituation herauszufinden.
Dass diese Thematik eine große Rolle bei den
Heranwachsenden spielt, erzählte auch Christel
Riemann-Hanewinckel, Parlamentarische Staatssekretärin beim
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Den betroffenen Kindern müsse klargemacht werden, dass sie bei
elterlicher Gewalt nicht abhängig seien und auch als Kinder
Rechte hätten, die nicht verletzt werden dürfen. Eine
wichtige Aufgabe der Kinderkommission bestehe vor allem darin,
Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass sie eine Vertretung im
deutschen Parlament haben, die sich für ihre Wünsche
einsetzt und an die man sich wenden kann. So habe es in den
vergangenen Jahren sehr engagierte Kinder gegeben, die direkten
Kontakt mit den Mitarbeitern aufgenommen hatten, um ihre Anliegen
mitzuteilen.
Beim Quiz für die jungen Besucher wurde deutlich, dass
immerhin die Kinder weitestgehend immun sind gegenüber der
politischen Miesepeter-Stimmung, die momentan das Land beherrscht:
Egal, ob nach der Bezeichnung der deutschen Regierungsform oder dem
Namen des Bundespräsidenten gefragt wurde, die Teilnehmer
bewältigten leidenschaftlich die an sie gestellten Aufgaben.
Einigen der umstehenden Erwachsenen stand die Verwunderung deutlich
ins Gesicht geschrieben. Die wissbegierigen Kids wurden mit einem
Buch und einer Videokassette aus der Reihe "Politbongo" für
ihre Anstrengungen belohnt, um sich weiteres Know-how
anzueignen.
Ausdauer wie bei Olympia
Aber nicht nur geistig, sondern auch körperlich mussten die
Kinder Hürden nehmen: Bei der Kinder-Olympiade, die vom
Labyrinth Kindermuseum Berlin veranstaltet wurde, traten die
Mädchen und Jungen in Disziplinen wie "Erste Hilfe-Sprint",
"Knoten-Staffel" oder "Zehenball-Transport" an. Der
neunjährige Fridolin fand im "Fußtast-Parcours" seine
olympische Paraderolle. Mit verbundenen Augen stieg der Jungakrobat
in verschiedene Kästen und erriet mit Hilfe der Füße
den Korken-, Lego-, oder Kunststoffrasenuntergrund und zeigte bei
der "Knoten-Staffel", was Füße so alles können. Mit
ihnen verknotete er rote Seile. Nur mit dem Hula-Hoop-Reifen konnte
Fridolin sich nicht anfreunden: Nur acht Mal gelang es ihm, den
Reifen um seine Hüften kreisen zu lassen, ehe er auf den Boden
fiel. Verdutzt schaute er Franziska zu, die es mühelos
schaffte, den Reifen einige Minuten in Bewegung zu halten.
Schließlich suchte er nach einer neuen Herausforderung und
fand sie im "Säcke stemmen": In verschiedene Gewichtsklassen
unterteilt, hielten die Mini-Sportler die entsprechenden farbigen
Säcke möglichst lange mit seitlich ausgestreckten Armen.
Konkurrent Kai startete im Fliegengewicht und hielt die dafür
vorgesehenen orangenen Säcke vorbildlich im 90-Grad-Winkel.
Das Erstaunliche war, dass man ihn nach achteinhalb Minuten noch
immer in der selben Position antraf. Muskelkrämpfe,
Ermüdungserscheinungen, zumindest steigende Langeweile?
Fehlanzeige. Kai hat Ausdauer und ist ergriffen vom Geist von
Olympia inklusive Weltrekord. Weitere sechseinhalb Minuten, vier
hilflos wartende Kinder und unzählige Versuche des
Schiedsrichters, ihn zum Aufhören zu bewegen später
akzeptiert er seinen auf Lebenszeit ausgerufenen Sieg. Nun fehlt
nur noch die Ehrenmedaille, die jedes Kind selber ausmalen,
ausschneiden und sich um den Hals hängen darf.
Die achtjährige Clara hingegen hatte die Flyer der
Kinderkommission, die extra für Kinder aufbereitet waren, am
Stand gelesen. Sie hofft, dass deren Arbeit besonders Kindern aus
anderen Ländern hilft, so dass jeder eine Schule besuchen
darf. Was für die Kinder in Deutschland zu tun wäre? Da
ist Clara ratlos: "Uns geht es ja ziemlich gut", sagt sie.
Hier kann Susanne Kastner weiterhelfen. Auch sie weiß, dass
es für die in Deutschland lebenden Mädchen und Jungen
gewisse Rechte und Möglichkeiten der Mitbestimmung gibt, die
bedauerlicherweise nicht überall vorhanden sind. Gerade
deswegen ist es wichtig, den Kindern hierzulande eben diese
aufzuzeigen. Dazu gehört es auch, ihnen beizubringen, wie sie
sich friedlich artikulieren können, so die
Vizepräsidentin des Bundestages.
Vielleicht kann man sich mit diesem Anliegen hilfesuchend an
Ewald F. Grunzke wenden. Der Zauberer hatte Zaubersprüche
parat und schaffte es so, dass Cola-Gläser fliegen können
und sich bunte Tücher in einer vorher leeren Tasche fanden.
Die von seinen Zauberlehrlingen entwendete Unterhose fällt
wohl unter das Berufsrisiko der Zauberzunft. Auch die
fünfjährige Anastasia hat seine Show gesehen und war
begeistert.
Nun möchte sie über das Reichstagsgebäude zu der
Kuppel hochsteigen. Vielleicht sieht sie auf dem Weg nach oben noch
Bundeskanzler Gerhard Schröder, von dem sie schon ein
Autogramm zu Hause liegen hat. "Oder kommt jetzt der Sandmann?",
fragt sie ihre Mutter. Es gibt eben Sachen, die sind noch wichtiger
als Politik.
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