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Bert Schulz
... aufgekehrt
Wer glaubt, der Parlamentarismus sei eine uneinnehmbare Bastion,
die sich jeder Veränderung strikt widersetzt, der irrt. In
Spanien zum Beispiel wurde Anfang September das Rauchen im
Parlament verboten: Nach langen heftigen Debatten, während
denen - noch - einmal mächtig Dampf abgelassen werden durfte,
brach man mit dieser alten Tradition. Die Zigarette gehört in
dem südeuropäischen Land eigentlich zum Lebensstil -
selbst einige Politikergrößen sind weniger bekannt
für ihre blumigen Sprechblasen, als für die permanenten
blauen Rauchwolken, die sie hinter sich herziehen.
Allerdings will die Gesundheitsministerin des Landes auf den
europäischen Zug aufspringen und das Qualmen am Arbeitsplatz
in ganz Spanien verbieten; das Parlament soll dafür als
Vorbild dienen. Jetzt dürften sich die spanischen Abgeordneten
wie auf einem unterkühlten deutschen Bahnhof fühlen, denn
Rauchen ist nur noch auf einem speziell gekennzeichneten Flur des
Parlamentsgebäudes oder in dessen Cafeteria erlaubt.
Dorthin flüchten sich auch die Volksvertreter
Österreichs ganz gerne - natürlich nicht in die
spanische, sie haben ihre eigene. Seit vergangenem Mittwoch
existiert für sie aber noch ein weiterer beliebter Treffpunkt
im Hohen Haus. Denn ähnlich wie im Fall des Deutschen
Bundestages leidet auch das Ansehen des österreichischen
Nationalrates bisweilen darunter, dass die Abgeordneten lieber im
Stillen ihre vielfältige Arbeit erledigen, als im Plenum zu
sitzen und die spannungsgeladenen Debatten zu verfolgen - es soll
ja Menschen geben, die ihren Kommentar zu der ausgebreiteten
Abwesenheit im Parlament etwas schärfer formulieren.
Im Nachbarland scheint man neben der Arbeitsfülle
allerdings noch einen weiteren Grund für den schleichenden
Exodus aus dem Plenum, der im allgemeinem nach Ende der
Fernsehübertragung einsetzt, ausgemacht zu haben: den Hunger
auf etwas Deftiges, der sich während einer detailverliebten
Parlamentssitzung so sicher meldet wie der obligatorische platte
Zwischenruf. Warum ist da in Deutschland noch niemand drauf
gekommen?
Um die Abgeordneten bei der Stange - sprich in Plenumsnähe
- zu halten, hat man vergangene Woche erstmals direkt vor dem
ehrwürdigen Plenarsaal ein Extra-Büffet aufgebaut. Die
Debatte selbst wurde eigens zwischen 13 und 13.30 Uhr unterbrochen,
damit sich Frau und Herr Repräsentant in aller Ruhe - und
selbstverständlich auf eigene Kosten - verköstigen
konnten. Und weil natürlich Würstchen und Senf auf den
Tisch kamen, wurde das Ganze flugs "Würstelpause" getauft. Die
soll in Zukunft zur Regel werden. Nichts auf den Teller -
genausowenig wie vor die Linse - bekamen freilich die Journalisten:
Sie waren von dem Büffet ausgeschlossen und mussten eine
Zwangspause einlegen. Arme Würstchen, die Kollegen im
Nachbarland. Bert Schulz
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