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Claudia Heine
Übergangslösung Nummer Eins
Damals ... vor 15 Jahren am 24. Oktober: Die
Volkskammer wählt Egon Krenz zum Vorsitzenden des
Staatsrates
Egon Krenz ist die Verkörperung der
Mittelmäßigkeit. Er hat keinerlei Charisma, ist ein
miserabler Redner und verfügt nicht über die
Fähigkeit des kritisch-intellektuellen Denkens." Ein
deutliches Urteil von einem, der sich deutliche Worte leisten
konnte. Der Osteuropa-Experte Wolfgang Leonhard musste im Herbst
1989 keine Rücksichten nehmen, wie etwa führende
bundesdeutsche Politiker. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel
kommentierte die Wahl von Egon Krenz (SED) zum
Staatsratsvorsitzenden und Vorsitzenden des Nationalen
Verteidigungsrates der DDR skeptisch, aber vorsichtig verhalten:
"Ich bin dafür, dass man Krenz eine Chance lässt." Er
sprach von "bemerkenswerten Akzenten", die der Nachfolger Erich
Honeckers gesetzt hätte. Auch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU)
und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) konnten sich
ein offen ablehnendes Urteil aus taktischen Gründen nicht
erlauben.
Im Vergleich zu allem, was die politische Kultur der DDR
prägte, erschien die Rede von Egon Krenz vor der Volkskammer
am 24. Oktober 1989 in der Tat bemerkenswert. Kurz vorher war er
von den Abgeordneten in offener Abstimmung gewählt worden,
aber, genauso bemerkenswert, nicht einstimmig. 26 Parlamentarier
stimmten gegen ihn und weitere 26 enthielten sich der Stimme. In
der 40-jährigen Geschichte des DDR-Parlaments hat es
Gegenstimmen und Enthaltungen bei Personalwahlen noch nie und bei
Gesetzesbeschlüssen nur ein einziges Mal gegeben: bei der
Entscheidung über eine Fristenregelung beim
Schwangerschaftsabbruch 1972. Damals votierten 18 Mitglieder der
CDU-Fraktion dagegen und acht mit Enthaltungen.
Egon Krenz stand unter enormen Erwartungsdruck. Die Mehrheit der
Menschen in der DDR traute ihm den nötigen Reformwillen nicht
zu, galt er doch als politischer Ziehsohn Honeckers. Zum Ausdruck
kam die Skepsis in den Parolen der Demonstranten, die jeden Montag
durch die Straßen des Landes zogen: "Demokratie unbekrenzt",
"keine Lizenz für Egon Krenz" oder "keinen Egonismus"
hieß es da.
Zwar nicht auf diese Parolen, wohl aber auf die Massenproteste
ging Krenz in der Rede nach seiner Wahl ein: "Die Demonstrationen
mögen ihre Funktion gehabt haben. Aber unsere Gesellschaft,
und da schließe ich alle ihre Mitglieder ein, braucht heute
weniger die Konfrontation ihrer Bürger, sondern mehr denn je
den sachlichen Dialog über gegensätzliche Ideen und
Meinungen." An dem Machtanspruch der SED rüttelte er jedoch
nicht. Es waren Zugeständnisse innerhalb dieses Rahmens,
dessen Koordinaten nicht verändert werden sollten. An die
Adresse des Westens gerichtet, betonte Krenz deshalb:
"NATO-Konzeptionen und Ratschläge, die den Sozialismus
wegreformieren wollen, haben auch künftig keine Chance."
Für dieses Zukunftsprojekt brauchte das Land eine breite
Mehrheit in der Bevölkerung, das wusste Krenz: "Jeder, der uns
verlässt, ist einer zuviel." Appelle allein reichten in einer
Situation, in der das Land auf äußerst wackligen
Füßen stand, jedoch nicht aus. Es ging in seiner Rede
auch deshalb um Zugeständnisse und Verantwortung. So
bezeichnete er die Polizeieinsätze bei einigen
Protestkundgebungen als "zu bedauern" und sicherte den Betroffenen
eine rechtliche Aufklärung zu. Er stellte, allerdings sehr
vage, Reiseerleichertungen in Aussicht. Immer wieder betonte er den
Grundsatz der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Indirekt
sprach der 52-Jährige auch die manipulierten Kommunalwahlen
vom Mai 1989 an, indem er ein neues Wahlgesetz nicht ausschloss:
Bis zu den Parlamentswahlen 1991 seien alle Erfahrungen aus
früheren Wahlen sowie dagegen erhobene Einwände zu
prüfen und gegebenenfalls zu ändern, sagte Krenz.
Euphorische Reaktionen lösten diese Äußerungen
bei niemandem aus, wohl aber die Hoffnung, dass ein einmal
beschrittener Weg der Öffnung nicht mehr rückgängig
gemacht werden könne. Wie und mit welchem Personal, das war
eine andere Frage, und es zeigte sich bald, dass Krenz nicht in der
Lage war, die DDR zu beruhigen. Ein radikaler Personalwechsel war
nötig und vollzog sich, insbesondere nach der
Maueröffnung im November 1989, in schnellen Schritten. Unter
dem Druck der Massenproteste trat Egon Krenz nach nur fünf
Wochen am 3. Dezember als Generalsekretär der SED und am 6.
Dezember auch vom Vorsitz des Staatsrates und des Nationalen
Verteidigungsrates zurück.
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