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Martin Kohlrausch
"A cup of tea, please"
Ende einer Epoche: Der Untergang der Habsburger
und Hohenzollern
Der fast zeitgleiche Zusammenbruch der beiden so
mächtigen wie unterschiedlichen Dynastien war nicht
zwangsläufig. Noch 1913 beging man in Berlin unter großer
Anteilnahme des Publikums das 25-jährige
Regierungsjubiläum Wilhelms II. In der Doppelmonarchie
Österreich-Ungarn wuchs die Zuversicht in die Zukunft eines
Staates, der bereits so oft totgesagt worden war, dass ihm - trotz
der Spannungen auf dem Balkan - nichts mehr etwas anhaben zu
können schien.
Ein Konflikt von den Dimensionen des Ersten
Weltkrieges stellte für beide Dynastien ein unabsehbares
Risiko dar. Während die Hohenzollern zunächst von der
Kriegseuphorie profitieren konnten, gerieten die Habsburger in eine
legitimationsgefährdende Zangenbewegung. Mit Kriegsbeginn
zeigte sich, dass Österreich-Ungarn weit stärker als
befürchtet auf deutsche Unterstützung angewiesen war.
Nahezu alle erfolgreichen Operationen wurden von deutschen
Generälen geleitet und deutschen Truppenteilen
unterstützt. Die zunehmende Orientierung an Deutschland
verschärfte wiederum die zweite Herausforderung der
Habsburgdynastie - die stärker werdende Unzufriedenheit der
hinter den Deutschösterreichern und Ungarn benachteiligten
Völkerschaften.
Ein Pietätsgefühl gegenüber
dem greisen Kaiser, gewissermaßen die personifizierte
Habsburg-Monarchie, vermochte die Wirkungen der
Unabhängigkeitsagitation noch zu begrenzen. Der Vertreter
einer Politik des "Durchwurstelns" aber starb im November 1916. Das
mit allem Pomp begangene Begräbnis Franz Josefs war der letzte
große Staatsakt der Habsburgdynastie. Sein Großneffe, der
nun als Karl I. den Thron bestieg, war fast schon ein König
ohne Reich. Karl war, trotz des absehbaren Thronwechsels, nicht auf
sein Amt vorbereitet worden. Zwar erkannte der erst 29-jährige
Monarch deutlich, dass nur ein schnelles Ende des Krieges die
Monarchie retten könnte. Die Versuche aber, dieses Ende
herbeizuführen, blieben dilettantisch und bewirkten lediglich,
dass Österreich noch stärker unter deutsche Vormundschaft
geriet.
Lieber kein spektakulärer Tod
Nach der Kriegswende zuungunsten der
Mittelmächte im Sommer 1918 verlief das Schicksal der
Hohenzollern- und Habsburgdynastie, die sich beide in solch starkem
Maße vom militärischen Erfolg abhängig gemacht
hatten, nahezu synchron. In Deutschland sollen hektische
"Oktoberreformen" das Reich parlamentarisieren, in Wien bildet sich
gleichzeitig eine "Provisorische Nationalversammlung" des
selbständigen deutschösterreichischen Staates. Es folgt
die Proklamation diverser Teilrepubliken und am 3. November 1918
die Einstellung der Kampfhandlungen. Am Namenstag Karls ertönt
ein letztes Mal beim Feldgottesdienst die Hymne "Gott erhalte
unsern Kaiser".
Der Wegfall des Bundesgenossen wirkte
wiederum verschärfend auf die Situation in Deutschland.
Bereits am 30. Oktober hatte der deutsche Kaiser Potsdam verlassen,
um im Hauptquartier im belgischen Spa den in Berlin immer
unverhohlener geäußerten Abdankungsforderungen zu
entgehen. Konfrontiert mit der revolutionären Situation in
Deutschland, tat sich in Spa ein Entscheidungsvakuum auf. Die
Optionen lauteten Abdankung, aktives Vorgehen gegen die
abtrünnige Heimat mit dem Kaiser an der Spitze und bloßes
Ausharren. Da in Spa keiner der Militärs in der Lage war, den
gordischen Knoten zu durchschlagen, erfolgte die Abdankung Wilhelms
II. schließlich am 9. November eigenmächtig durch den
Reichskanzler Max von Baden in Berlin. Er wurde ins
niederländische Exil geschickt. Pläne für einen
spektakulären Tod Wilhelms II. an der Front wurden hingegen
als unpraktikabel verworfen.
Der über 30 Regierungsjahre hinweg so
aktive Monarch blieb vollkommen passiv und fügte sich in sein
vermeintliches Schicksal. "A cup of tea, please", sollen die ersten
Worte gegenüber seinen holländischen Gastgebern gewesen
sein.
Anders als Wilhelm II. musste Kaiser Karl
weder durch die Generäle noch durch den Regierungschef zum
letzten Regierungsschritt gezwungen werden. Spätestens nach
dem Rückzug des deutschen Kollegen war die Situation für
den Kaiser in Wien aussichtslos. Die Monarchie war auf einen
einzigen Raum geschrumpft, in dem die verbliebenen Bürokraten
nurmehr die persönliche Sicherheit des Kaisers verhandeln
konnten. Im Schloss Schönbrunn unterschrieb Karl mit Bleistift
eine Erklärung, mit der der letzte Regent in der langen Reihe
der Habsburger "jeden Anteil an den Staatsgeschäften" aufgab.
Die ambivalente Formulierung bedeutete einen Verzicht auf die
Macht, nicht auf die Krone. Förmlich abdanken sollte der
letzte Habsburger nie. Als letzte Amtshandlung entließ er die
kaiserliche Regierung aus dem Amt und verteilte noch einmal Orden,
Titel und Pensionen. Während sich Wilhelm zu diesem Zeitpunkt
bereits mit einem Rumpfhofstaat in Holland aufhielt, blieb Karl
zunächst in Österreich und zog sich auf sein Jagdschloss
Eckartsau bei Wien zurück. Erst der zunehmende Druck der
neukonstituierten deutsch-österreichischen
Nationalversammlung, demokratisch-klare Verhältnisse zu
schaffen, zwang den letzten Habsburger im März 1919 ins
Schweizer Exil.
Keiner der beiden ehemaligen Kaiser war
bereit, den tiefen Fall zu akzeptieren. Restaurationspläne,
die Wilhelm II. ab 1919 im heimeligen Doorn schmiedete, blieben auf
der Ebene der Phantasie, diejenigen Karls waren konkreter. Immerhin
hatte er sich in der Tradition seines Hauses auch als König
von Ungarn krönen lassen, und dort war die Habsburgmonarchie -
anders als mittlerweile in Österreich - nicht offiziell
abgeschafft. Zwei nicht gänzlich aussichtslose Versuche Karls,
im März und Oktober 1921 seine ungarischen Thronansprüche
durchzusetzten, scheiterten jedoch an den manifesten
Eigeninteressen der neuen ungarischen Machthaber. Für die
Siegermächte boten die monarchistischen Störmanöver
den Anlass, den letzten Habsburger ins Exil auf die unter
englischem Mandat stehende Insel Madeira zu verbannen. Dort stirbt
Karl am 1. April 1922 und wird als einer der wenigen Habsburger
nicht in der Wiener Kapuzinergruft beigesetzt. Wilhelm II., dessen
Auslieferung die Alliierten gegenüber Holland vergeblich
gefordert hatten, erlebte in Doorn noch den Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges und den Einmarsch der Wehrmacht in seine "Wahlheimat".
Er stirbt 1941 fern der Heimat.
Das Ende der ehrwürdigen Habsburger und
der - im Vergleich - parvenühaften Hohenzollern und der
gleichfalls so unterschiedlichen letzten Träger der Krone
weist offensichtliche Parallelen auf. Obwohl beide Dynastien, die
sich in vier Kriegen bis an den Rand des Zusammenbruchs
bekämpft hatten, einer jeweils ganz eigenen Herrschaftslogik
folgten, konnte sich keine dem Umbruchsereignis Erster Weltkrieg
entziehen. Die nationale Loyalität rückte im Krieg vor
die dynastische, ein langer Prozess, der sich in den vier Jahren
bis 1918 erheblich beschleunigte. In unterschiedlicher Weise waren
beide Dynastien von dem Phänomen betroffen. Im Habsburgreich
hatte Monarchie immer eine doppelte Bedeutung und bezeichnete
sowohl die Institution wie das Staatsgebilde an sich. Jenseits
dynastischer Organisation ließ sich das Miteinander
verschiedener Völkerschaften kaum denken. Aber ohne den
"Herrschaftsauftrag" über das ethnisch gemischte
Südosteuropa verlor auch die Dynastie ihre Legitimation. Auch
in Deutschland war nach über vier entbehrungsreichen
Kriegsjahren die Bereitschaft gering, für den Monarchen zu
kämpfen.
So, wie der Untergang der Dynastien - vor
allem in Deutschland - ablief, waren negative Folgen
vorprogrammiert. Was das Ende der beiden Herrscherhäuser
verbindet, ist, dass sie weniger Opfer einer Revolution wurden,
sondern unentschlossen von der Bühne abtraten. Das Ereignis
glich der Implosion einer maroden, aber generell intakten
Institution, weniger der Explosion eines neuartikulierten Willens,
die alles Alte hinwegfegte.
Im Vakuum eines "monarchenberaubten Staates"
(Karl Dietrich Bracher) hatten es neuartige Führerfiguren, die
in vielem an die monarchische Symbolik anknüpften, leicht. Der
Kult um Hindenburg und Hitler in Deutschland, später auch in
Österreich und mitteleuropäische Ersatzkönige von
Pilsudski in Polen bis Horthy in Ungarn zeigen, dass die Monarchie
als Institution zwar erloschen war, durchaus aber noch prägend
weiter wirkte. Wie eng der Zusammenhang zwischen monarchistischer
Sehnsucht und Loyalität sowie dem aufkommenden Faschismus war,
belegen auch die verzweifelten Versuche, im Angesicht der
nationalsozialistischen Machtübernahme den monarchischen
Rettungsanker auszuwerfen. Im Umfeld der Präsidialkabinette am
Ende der Weimarer Republik wurden verschiedene
Restaurationsoptionen diskutiert. In Österreich erwog der 1934
ermordete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß eine Restauration
der Habsburger, um einer nationalsozialistischen
Machtübernahme zuvorzukommen. 1935 wurden die
Anti-Habsburg-Gesetzte abgeschafft. Eine Restauration scheiterte
aber an massiven außenpolitischen
Widerständen.
Dr. Martin Kohlrausch ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Kunstgeschichte der
Technischen-Universität Berlin.
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