|
|
Jörg Magenau
Purpurmäntel und funkelnde Edelsteine
Der König als literarische Figur
Könige haben ein herrliches Leben: Sie
hören jeden Tag Vivaldi, können stinkende Socken
verbieten und wenn ihnen danach ist, den jeweiligen amerikanischen
Präsidenten in die Wade beißen. Sie legen die Lottozahlen
nach Gusto fest, bewohnen 200 Schlösser und wechseln
täglich die Krone. So jedenfalls sang einst Rio Reiser. "Das
alles und noch viel mehr / würd' ich machen, / wenn ich
König von Deutschland wär", lautete der Refrain seiner
kindlichen Allmachtsphantasie. Wer wäre nicht auch gerne
gelegentlich König von Deutschland und tränke am Morgen
erst einmal ein Gläschen Schampus?
König zu sein ist schon deshalb leicht
wünschbar, weil es hierzulande seit geraumer Zeit keine
Könige mehr gibt. Ihre Pflichten sind weniger bekannt als ihre
mächtigen Möglichkeiten, die wir in früher Kindheit
mit den Märchen kennenlernen. Und so, als mythische Gestalten
aus einer anderen Welt, thronen sie in uns ein Leben lang.
Vielleicht ist die Figur des Königs deshalb so kraftvoll und
so haltbar, weil sie gleichermaßen aus den Kinderzimmern der
Geschichte und der eigenen Biographie entstammt.
Die wirklichen Könige und
Königinnen aus europäischen Nachbarländern sind im
Vergleich mit der Beeindruckungspotenz der Kindheitskönige
geradezu lächerlich unwirkliche Gestalten. In langweiligen
Anzügen die Herren, ausgerüstet mit bizarren Hüten
und viel zu bunten Handtäschchen die Damen, erscheinen sie im
Fernsehen. Unser Otto hat es erst in Griechenland zum König
geschafft. Und unser Kaiser Franz sitzt im Hemd auf einer Almwiese
und macht Werbung für Erdinger Weißbier. Was für ein
Abstieg. In der Kinderwelt war der Kaiser die
Prächtigkeitsentfaltung schlechthin. Er war der König der
Könige. Über ihm: Nichts mehr. Seine Krone muss
riesengroß gewesen sein.
Im Märchen tragen die Könige
kostbare Purpurmäntel, Goldbesatz und funkelnde Edelsteine.
Sie haben in der Regel drei Töchter, von denen die
jüngste die schönste ist. Die größte
Königssorge ist, die Töchter anständig zu
verheiraten. Königskinder schaffen das nicht ohne ihren Vater.
Ohne ihn ginge auch das Märchen vom Froschkönig schlecht
aus. Erst die väterliche Ermahnung, die Tochter müsse die
Versprechen erfüllen, die sie dem "alten Wasserpatscher" am
Brunnen gemacht habe, nötigt sie dazu, den hässlichen
Frosch zu küssen und verwandelt ihn damit - Überraschung!
- in einen Königssohn. Wer behauptet, es sei die Macht der
Liebe, die aus einem Wesen das Beste herausholt und noch den
hässlichsten Frosch zum Prinzen adelt, der irrt. Liebloser als
dieser angeekelte Pflichtkuss könnte keiner sein. Vielmehr ist
es der Gerechtigkeitssinn des Königs, der den Durchbruch
bringt. Streng, aber tugendhaft: So sind sie, so kennen wir sie,
die Könige.
Aber nicht immer. König Drosselbart zum
Beispiel ist ein unsympathischer Held. Er ist einer der zahlreichen
Bewerber, die um die Gunst einer stolzen und übermütigen
Prinzessin buhlen. Sie lacht über all diese Männchen. Ihn
nennt sie Drosselbart, weil sein krummes Kinn sie an den Schnabel
einer Drossel erinnert. So einen heiraten? Niemals. Der
Vater-König, erzürnt über die Spottlust der Tochter,
schwört, sie dem ersten besten Bettler zur Frau zu geben. Der
Bettler ist der größte vorstellbare Gegensatz zum
König: Die personifizierte Hartz IV-Angst des Mittelalters. In
diesem Fall aber handelt es sich um den verkleideten Drosselbart.
Er führt die ihm Angetraute in eine armselige Hütte und
schickt sie in die Schule der Armut, um ihr den Stolz auszutreiben.
Sie muss arbeiten. Körbe flechten. Spinnen. Mit Töpfen
handeln. Blut, Schweiß und Tränen statt Nektar und
Ambrosia: So ähnlich wird's ja dann heute auch bald wieder
sein. Verkleidet als ritterlicher Herr reitet Drosselbart über
den Marktplatz und zerdeppert seiner armen Frau das Tongeschirr.
Was für ein unangenehmer Despot. Doch die Zähmung der
Widerspenstigen gelingt: Aus der Prinzessin wird ein handzahmes
Weibchen, König Drosselbart offenbart sich, Glück und
Freude allenthalben, so enden die Märchen. Frauen haben da
nichts zu lachen. Dass sich in jedem Bettler ein König und im
König ein Bettler verbirgt, ist aber doch eine schöne
Utopie.
Märchenkönige haben es besser als
demokratische Machthaber. Auf den Straßen ihrer
Königreiche schreit keiner "Wir sind das Volk!", denn ein Volk
gibt es noch nicht. Es gibt bloß Untertanen, und die wissen,
was sich gehört. Brav beugen sie das Knie, zahlen ohne zu
murren ihren Zehnten, von Sozialhilfe ist gar nichts zu ahnen.
Könige sind keine Reformpolitiker, sondern Regenten.
Umfragewerte sind keine maßgebliche Größe für
sie, die qua Geburt den Thron bestiegen und danach nur noch die
Meuchelmörder der eigenen Verwandtschaft zu fürchten
haben. Die Frage "Sein oder Nichtsein" stellt sich ihnen weniger
politisch als existentiell. Was für Stoffe für die
Literatur: Mit Shakespeares Königsdramen beginnt das
bürgerliche Zeitalter, das seine eigenen Wünsche in denen
der Könige spiegelt. Mord, Macht, Eifersucht, Ränke und
Ranküne: Jede menschliche Regung wird im Königsdrama ins
Schicksalhafte vergrößert. Leidenschaftlich wie die
Könige wollen auch wir Nicht-Könige sein: im Guten und im
Bösen. Was für eine traurige Zeit also, in der es
Könige nur noch in den Illustrierten gibt.
Goethes König von Thule ist schon eine
morbide, melancholische Figur. Mit ihr kündigt sich das Ende
der Könige an. Den Tod vor Augen übereignet er das Reich
mit letzter Kraft seinen Erben. Nur den goldenen Becher, sein
Liebstes, sein Heiligstes, wirft er schwungvoll ins Meer. Niemand
soll ihn nach ihm haben. Niemand soll ihm folgen. Die Ritter um ihn
herum schauen mit Bestürzung zu. Von hier aus ist es nur noch
ein kleiner Schritt vom König zum Tyrannen, der beseitigt
werden muss. Das ist Schillers Metier, auch wenn der Tyrannenmord
in seiner auf Treue und Tugend basierenden "Bürgschaft" noch
nicht gelingen will: "Zu Dionys dem Tyrannen schlich / Möros,
den Dolch im Gewande; / ihn schlugen die Häscher in Bande. /
?Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!' / entgegnet ihm finster
der Wüterich. / ?Die Stadt vom Tyrannen befreien!' / ?Das
sollst du am Kreuze bereuen.'" Ergriffen von Möros' Treue zum
Freund, verzichtet der König schließlich auf die
Hinrichtung und sagt den vielzitierten Satz: "Ich sei, gewährt
mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte." So wird aus ihm doch
noch ein guter Herrscher.
Weil aber in jedem König der Tyrann
lauert, droht in jedem Königreich der Umsturz und
schließlich das Ende der Monarchie. In Achim von Arnims
romantischen "Kronenwächtern" ist die Situation noch
unentschieden. Da bekommt der Revolutionär zwar seinen
Auftritt und droht: "Ja der König muss verderben, / Soll der
Staat genesen sein. / Mit dem Dolche muss er sterben, / Meine
Träne soll ihn weihn, / Mich entflammt nicht eigne Rache, /
Mich ergreift des Landes Wut (...)." Doch gleich darauf ergreifen
die Kinder im Chor das Wort und verteidigen den Landesherrn: "Wie
viel Wolken ziehn vorüber, / Und die Sonne scheint dann hell,
/ Und der König wird einst lieber, / Als der mutigste Rebell,
/ Vor dem armen Volk erscheinen, / Das vergessen alte Not, / Sich
erwählet einen Reinen / Und bestraft des Königs Tod; / Er
ist gut, es sind die Grafen, / Die mit frechem Übermut, /
Laster lohnen, Tugend strafen, / Ach der König ist so
gut!"
Ein paar Jahre später schrieb Georg
Büchner dann den "hessischen Landboten" und musste für
diese Deklaration demokratischer Menschenrechte ins
Straßburger Exil fliehen. "Keiner erbt vor dem andern mit der
Geburt ein Recht oder einen Titel, keiner erwirbt mit dem Eigentum
ein Recht vor dem andern. Die höchste Gewalt ist in dem Willen
aller oder der Mehrzahl. Dieser Wille ist das Gesetz, er tut sich
kund durch die Landstände oder die Vertreter des Volks, sie
werden von allen gewählt, und jeder kann gewählt werden;
(...) der König hat nur für die Ausübung der von
ihnen erlassenen Gesetze zu sorgen."
Die deutschen Kleinkönige verstanden
sehr wohl, dass unter diesen Bedingungen ein König kein
König mehr wäre. Allenfalls ein Bundespräsident.
Also der historische Schatten der Monarchie. Farblos, machtlos,
ohne Purpur und Krone. Doch bis dahin musste in Deutschland erst
noch ein Kaiserreich untergehen, Hitler das Tausendjährige
Reich in Staub und Trümmer zerlegen lassen und im Osten
schließlich die greisen Ritter der Tafelrunde aus dem
Politbüro abtreten. Alles Königshafte haben wir nun
endlich erfolgreich aus der Geschichte ausgetrieben. Und sehnen uns
doch ein bisschen danach zurück. So müssen wir die alten
Geschichten erzählen, um den Märchenton wiederzufinden,
der verloren zu gehen droht.
Jörg Magenau arbeitet als Publizist in
Berlin.
Zurück zur Übersicht
|