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Pauline Puppel
Als Mann hatten es Frauen leichter
"WeiberRegiment" oder "Königinnen auf
Zeit": Herrscherinnen im frühneuzeitlichen Europa
Am 21. Juni 1700 bat Prinz Lebrecht von
Anhalt-Bernburg seine Schwiegermutter mit einem hochoffiziellen
Schreiben um Vergebung. Er versprach der verwitweten Gräfin
von Nassau-Dillenburg, zukünftig enthalte er sich gegen "Ihre
Gnaden dero fürstlichen Persohn und Bediente aller
Thätlichkeiten, so alß ein Eingriff in dero Regierung
angesehen würden". Die Gräfin hatte ihren legitimen
Anspruch auf die alleinige Landesherrschaft von bedeutenden
Rechtsfakultäten bestätigen lassen.
Das Ergebnis der juristischen Gutachten
zugunsten Elisabeth Charlottes mag überraschen, ist doch bis
heute die Auffassung weit verbreitet, selbst hochadelige Frauen
seien im frühneuzeitlichen Europa recht- und schutzlos, den
Launen ihrer Väter, Brüder oder Gatten ausgeliefert
gewesen. Obwohl Herrschaft von hochadeligen Frauen strukturell und
institutionell in den politischen Systemen der
frühneuzeitlichen Staaten begründet war, wurde ihre
Bedeutung für die politische Geschichte, ihre Rollen und
Aufgaben bisher nicht systematisch untersucht. Maria Theresia oder
Katharina die Große, Elisabeth Tudor oder Katharina von
Medici: Alle Herrscherinnen gelten immer noch als Ausnahmefrauen,
die aufgrund besonderer Situationen, aus Machtgier oder als
Marionetten ihrer Minister an die Regierung gelangten.
Gegen natürliches und göttliches
Recht
Die Gesellschaft des frühneuzeitlichen
Europa war eine ständische. Während Frauen in den auf
Wahlen basierenden politischen Ordnungen von der Partizipation
ausgeschlossen blieben, war in den monarchisch strukturierten
Staaten ihre Regierung qua Geburt legitimiert. Denn innerhalb der
Dynastie wurde die Herrschaftsberechtigung zwar von der
Nachrangigkeit, nicht aber von dem grundsätzlichen Ausschluss
der weiblichen Mitglieder des Geschlechterverbands bestimmt.
Hochadelige Frauen übernahmen Regierungsbefugnisse aufgrund
unterschiedlicher Rechtsgrundla-gen. Maria die Katholische und
Elisabeth I. von England besaßen das Thronfolgerecht; die
französischen Prinzessinnen waren zwar von der Erbfolge
ausgeschlossen, aber als "Königinnen auf Zeit" lenkten
Katharina und Maria von Medici sowie Anna von Österreich
während der Minderjährigkeit ihrer Söhne die
Geschicke Frankreichs. Habsburgerinnen regierten als
Stellvertreterinnen in den spanischen Niederlanden. Während im
Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation eine Frau Kaiserin
nur als Gemahlin des Reichs-oberhaupts war, besaßen
Fürstinnen hier nicht nur das subsidiäre Erbrecht und den
legitimen Anspruch auf die vormundschaftliche Regentschaft.
Darüber hinaus stand ihnen ein weiterer Weg zu Herrschaft
offen. In den reichsunmittelbaren Stiftern verfügten
Äbtissinnen wie Maria Kunigunde von Sachsen über die
uneingeschränkte Landesherrschaft: "1.000 Jahre Macht in
Frauenhand" charakterisiert die Geschichte des Damenstifts
Essen.
Angesichts der Herrscherinnen im
frühneuzeitlichen Europa befassten sich Gelehrte zum einen mit
der Frage nach ihrer Herrschaftsbefähigung und zum anderen mit
der Problematik ihrer Regierungen. Von vielen ihrer Zeitgenossen
wie dem französischen Juristen Jean Bodin (1530 bis 1596)
wurde ihre Herrschaft als "WeiberRegiment" diskreditiert. Denn die
Herrschaft einer Frau widersprach nach Ansicht der Gelehrten dem
natürlichen und dem göttlichen Recht. Um Frauen die
Befähigung zum Regieren abzuspre-chen, nutzten sie das gesamte
Arsenal misogyner Topoï über Charaktereigenschaften von
Frauen, die ihnen die Bibel, die Schriften der Kirchenväter
sowie die Texte der "Querelle des Femmes" lieferten.
Nach dem theologisch-anthropologischen
Diskurs wurden Männern und Frauen grundsätzlich
unterschiedliche Handlungssphären zugewiesen. Diese aber
ergänzten sich: Gemeinsam stand das regierende
Fürstenpaar als "Obrigkeit in Elternstand" an der Spitze der
Herrschaft. Aus den Korrespondenzen ist häufig kooperatives
Handeln des "Arbeitspaares" erkennbar. Dem Landesvater kam jedoch
nicht nur die Gewalt über seine Dynastie zu, sondern
gemäß Genesis 3,16 durfte er darüber hinaus auch den
Handlungsraum der Landesmutter begrenzen. Als "Kampf um die Hose"
ist die Umkehrung dieser von Gott gewollten und natürlichen
Geschlechterordnung allegorisch in Text und Bild dargestellt
worden.
Trotz missbilligender Äußerungen
über die Regierung von Frauen, trotz der biblischen Gebote
über die Unterwerfung der Frau unter die Herrschaft des
Mannes, verfochten nicht alle Gelehrten die pauschale Negierung der
Herrschaftsbefähigung von Frauen. Viele Texte aus dem
höfischen Umfeld verherrlichten wie 1646 François du
Soucy in seinem "Triomphe des Dames" die Politik der Landesherrin.
Aus dem universitärgelehrten Bereich stammten insbesondere
juristische Texte, in denen die verschiedenen Rechtsgrundlagen der
Herrschaftsformen behandelt wurden. Der Jenaer Professor für
Jurisprudenz Peter Müller (1640 bis 1696) erläuterte,
dass die Herrschaft unverheirateter oder verwitweter
Fürstinnen als Äbtissinnen oder als vormundschaftlicher
Regentinnen im Reichsrecht, im Lehenrecht und im dynastischen
Herkommen begründet sei. Im Sinne des cartesianischen Systems,
nach welchem Egalität und Ebenbürtigkeit von Mann und
Frau von der zur Fortpflanzung notwendigen biologischen Differenz
unberührt blieben, vertrat Samuel Stryk (1640 bis 1710), der
an der Universität Halle lehrte, die Meinung, die
Nicht-Befähigung von Frauen zur Ausübung
öffentlicher Ämter sei allein in ihrer mangelhaften
Ausbildung begründet.
In den meisten Abhandlungen wurden jedoch die
Besonderheiten regierender Frauen betont und Herrscherinnen zu
Ausnahmen stilisiert. Die Gelehrten waren der Ansicht, nur
auserwählten Frauen sei es vergönnt, die Grenzen ihrer
wesensmäßigen Weiblichkeit zu überschreiten. Die
"Vermännlichung" befähige sie, ihrem Geschlecht
grundsätzlich unangemessene Tätigkeiten wie Regieren und
Rechtsprechung zu vollbringen. Über Herzogin Anna Amalia von
Sachsen-Weimar heißt es, nach dem Tod ihres Gemahls habe sie
mit männlicher Einsicht sich in die Geschäfte gefunden.
Der letzten Essener Fürstäbtissin Maria Kunigunde wurden
sogar männliche Neigungen nachgesagt.
Darüber hinaus vertraten die Gelehrten
die Ansicht, dass Herrscherinnen nicht selbst regierten, sondern
die Regierungsgeschäfte in den Händen der Räte
gelegen habe. Das Argument, Frauen hätten sich auf
repräsentative Aufgabenbereiche beschränkt, wird ohne
Prüfung des empirischen Befundes bis heute genutzt. Von
zahlreichen Herrscherinnen ist ihr diplomatisches Geschick und ihr
staatsmännisches Talent überliefert. Über die
hessen-kasselische Landgräfin Amelie Elisabeth, die
während des 30-jährigen Krieges anstelle des
minderjährigen Erben regierte, urteilte ein französischer
Gesandter: "Diese Prinzessin besaß in höchstem Maß
politisches Talent." Fürstin Pauline, die von 1802 bis 1820
vormundschaftlich in Lippe regierte, warfen die Zeitgenossen ihre
"Vielregiererei" vor - während das persönliche Regiment
des Alten Fritz als Ausweis seiner Arbeitsauffassung galt. Die
ebenso sehr oder so wenig selbständig wie ein Fürst
regierende Fürstin scheint nach wie vor nicht in das Bild der
"Frau" zu passen.
Erfindung des 19. Jahrhunderts
Der angebliche Ausschluss von Frauen von
Herrschaft und Politik ist ein Konstrukt der Historiographie des
19. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der allgemeinen Menschen- und
Bürgerrechte, von denen Frauen, die zuvor aufgrund ihrer
Standesqualität Herrschaft ausgeübt hatten, nun aufgrund
ihres Geschlechts der Idylle des biedermeierlichen Wohnzimmers
zugewiesen wurden. In der bürgerlichen Geschichtsschreibung
wurden nur spezifische Argumente des frühneuzeitlichen
staatstheoretischen Diskurses tradiert, um das neue
Gesellschaftsmodell auch historisch zu begründen und den
Anspruch von Frauen auf politische Partizipation abzuwehren.
Johannes Voigt (1786 bis 1863) beschrieb das Leben einer
Fürstin im Reformationszeitalter: Je wilder der Sturm von
außen tobte, sei es im Kampf der Waffen oder im zornerhitzten
Streite um Lehrmeinungen und Glaubenssatzung, um so mehr sah sie
sich vom öffentlichen Leben zurückgedrängt auf die
ruhigen Gemache ihres Hofes, in die Kreise ihrer häuslichen
Umgebungen. Die Aufteilung der Welt in ein Außen und ein
Innen, in öffentlich und privat, in politisch agierend und
häuslich intrigierend ist jedoch ahistorisch. Tatsächlich
sollte der Politikbegriff überdacht, dessen
zeitgenössische Bedeutungen diskursiv erschlossen und
Handlungsmöglichkeiten von Männern und Frauen in den
verschiedenen Politikfeldern neu konturiert werden.
Denn im Gefüge der monarchisch
strukturierten Staaten des frühneuzeitlichen Europa herrschten
auch Frauen. Wie aus Memoiren, Tagebüchern und Korrespondenzen
hervorgeht, verstanden sie sich als regierende Fürstinnen. Ihr
politisches Handeln war nicht von besonderen Situationen oder
starken Persönlichkeiten abhängig, sondern im Interesse
der dynastischen Fürstenstaaten institutionell und strukturell
legitimiert.
Dr. Pauline Puppel, Historikerin, promovierte
über "Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen
1500 bis 1700". Derzeit arbeitet sie als Referendarin im
Landeshauptarchiv Koblenz.
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