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Alexander Weinlein
Der Hirte ist auch ein Herrscher
Der Vatikan als die letzte absolute Monarchie
Europas
Bischof von Rom, Statthalter Jesu Christi, Nachfolger des
Apostelfürsten, Oberhaupt der Gesamtkirche, Patriarch des
Abendlandes, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der
Kirchenprovinz Rom, Souverän des Staates der Vatikanstadt,
Diener der Diener Gottes" - die offizielle Titulatur des Papstes
muss keinen Vergleich mit den Titeln gekrönter Häupter
scheuen. Und der Papst ist ein gekröntes Haupt, eben nicht nur
ein geistlicher Hirte, sondern auch ein weltlicher Herrscher.
Sein Reich ist klein - der Staat Vatikanstadt ist mit 0,438
Quadratkilomtern Fläche der kleinste souveräne Staat der
Erde und liegt als Enklave mitten in Italiens Hauptstadt Rom -,
aber über dieses Minireich gebietet der Papst
uneingeschränkt: absolute priesterliche Wahlmonarchie nennt
man eine solche Staatsform. Und der Kirchenstaat hat alles, was
eine Monarchie neben dem Regenten eben so braucht: Untertanen (524
Menschen besitzen die vatikanische Staatsbürgerschaft), eine
Hymne, eine Fahne, ein Wappen, eine Krone (Tiara), eigene
Briefmarken, eigenes Geld (der Vatikan darf Euro-Münzen in
Umlauf bringen), eine Art Armee (rund 100 Mann der Schweizergarde),
einen Radiosender (Radio Vaticana), eine Fernsehzentrum (Centro
Televisio Vaticano), eine Tageszeitung (L'Osservatore Romano), eine
eigene Bank und so weiter - fehlt eigentlich nur die Prinzessin,
wäre man geneigt zu sagen.
Der Papst hält als weltlicher Herrscher eine
Machtfülle in Händen, von denen jeder andere Monarch
Europas nicht einmal im Geheimsten träumen darf: er ist
Inhaber der exekutiven, legislativen und judikativen Gewalt. Zudem
besitzt er das Medienmonopol, organisierte Parteien existieren
keine, lediglich eine kleine und weitgehend bedeutungslose
Gewerkschaft.
Mit der Wahl zum Kirchenoberhaupt durch das Kardinalskollegium
beginnt auch seine Amtszeit als Souverän des Kirchstaates.
Wahlberechtigt sind alle Kardinäle bis 80 Jahre. Die Wahl
erfolgt geheim und mit Zweidrittelmehrheit. Gewählt wird der
Papst auf Lebenszeit. Eine vorherige Abdankung ist zwar
möglich, Gebrauch gemacht hat davon aber zuletzt Papst
Cölestin V. im Jahr 1294.
Nun ist der Papst zwar ein absoluter Herrscher, aber wie jedes
Staatsoberhaupt verfügt auch er über einen Regierungs-
und Verwaltungsapparat. Allerdings muss hier unterschieden werden
zwischen den Belangen, die die Kirche betreffen und dem Staat
Vatikanstadt. Die "Regierung" der Kirche wird gebildet durch das
Staatssekretariat, neun Kongregationen, drei Gerichtshöfe,
eine Reihe von Päpstlichen Räten und Büros. An der
Spitze des Staatssekretariats steht ein
Kardinalsstaatssekretär, der als höchster
Repäsentant aller politischen und diplomatischen
Aktivitäten de facto die Rolle eines Ministerpräsidenten
einnimmt. Die Kongregationen kann man mit Ministerien
vergleichen.
Die Verwaltung des Stadtstaates liegt in den Händen der
Päpstlichen Kommission für den Staat Vatikanstadt. Sie
besteht aus fünf Kardinälen, von denen einer als
Kommissionspräsident fungiert, einem geistlichen Sekretär
und einem weltlichen Sonderbeauftragten.
Die Mitglieder der Kurie und der Kommission werden auf fünf
Jahre vom Papst ernannt und unterstehen seinem Primat.
Das in republikanisch-weltlichen Augen anachronistisch anmutende
monarchisch-religiöse System ist im so genannten
Staatsgrundgesetz verankert - sozusagen der Verfassung.
Verabschiedet wurde es zeitgleich mit der Ratifizierung der
Lateranverträge im Jahr 1929, in denen die Beziehungen
zwischen Italien und dem souveränen Vatikanstaat geregelt
sind.
In diesen Verträgen wurde dem Kirchenstaat auch die
internationale Souveränität eingeräumt. Diese mutet
annähernd so kompliziert an, wie der innere Aufbau des
Vatikans. Denn auch hier gilt zu unterscheiden zwischen dem Staat
Vatikanstadt und der Institution des Heiligen (auch Apostolischen)
Stuhls. Beide Gebilde sind völkerrechtlich anerkannt - doch
während der Staat Vatikanstadt als rein weltliches Gebilde zu
verstehen ist, umfasst der Begriff Heiliger Stuhl den
religiösen Charakter, sprich die Funktion des Papstes als
Kirchenoberhaupt. Und eigentlich agiert er auch nur in dieser
Funktion als "global player". So ist der Heilige Stuhl Vollmitglied
bei der OSZE und der IAEA, ist bei der UNO, der EU, der WTO und der
OAS durch Beobachter und beim Europarat durch einen
Sonderbeauftragten vertreten und unterhält diplomatische
Beziehungen zu 173 Staaten (Stand: 2003). Der Staat Vatikanstadt
als weltliches Gebilde ist hingegen lediglich Mitglied des
Weltpostvereins sowie der Internationalen Fernmeldeunion. Die
Erklärung für diese strikte Trennung: es geht in erster
Linie um die Belange der katholischen Kirche weltweit.
Bleibt die Frage, warum braucht die römisch-katholische
Kirche beziehungsweise der Papst und die Kurie eine eigene
weltliche "Heimstätte", in der sie schalten und walten kann
nach eigenem Gusto? Die Erklärung ist simpel und plausibel:
Das erklärte Ziel ist die Unabhängigkeit des Papstes von
anderen weltlichen Mächten - schließlich gelten für
die Kirche und den Papst eine Art Neutralitätsgebot zwischen
politischen Streitparteien.
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