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Reinhart Häcker
Eine mächtig unmächtige
Königin
Was von einem Weltreich übrig geblieben ist
/ Von Reinhart Häcker
Manchmal sind es kleine Details, in denen der
Zeitenwandel sich spiegelt. Als im Februar 1952 der britische
König Georg VI. starb, weilte seine Tochter Elizabeth im
Treetop-Hotel in der fernen Kolonie Kenia und beobachtete
Löwen. Es dauerte vier Stunden, bis man die neue Queen
ausfindig gemacht hatte. Es waren die letzten vier Stunden eines
bis dahin unbeschwerten Lebens. Was seither kam, war
Pflichterfüllung und eiserne Selbstdisziplin. Es war auch die
fast vollständige Auflösung des britischen Kolonialreichs
und dessen Übergang in ein "Commonwealth" von 54
selbständigen Staaten. In 14 davon ist Königin Elizabeth
II. immer noch Staatsoberhaupt. Doch Macht übt sie in keinem
mehr aus.
Erst dieser Tage wählten die Leser einer
Boulevard-Zeitung Prinz Charles' ältesten Sohn Prinz William,
den mutmaßlich übernächsten König, zum Mann mit
dem meisten Sex Appeal. Welch ein Verfall, könnte man sagen,
welch ein Abstieg der mittlerweile 78-jährigen Königin
und ihrer Familie von der geachteten Weltenherrscherin zum Banalen!
Doch dies wäre falsch. "Elizabeth II., von Gottes Gnaden
Königin des Vereinigten Königreichs von
Großbritannien und Nordirland und ihrer übrigen Reiche
und Territorien, Haupt des Commonwealth und Verteidigerin des
Glaubens" - so lautet ihr anspruchsvoller Titel - ist
persönlich bei "ihren" Untertanen in "ihrem" weitgespannten
Reich außerordentlich beliebt. Bei den häufigen Umfragen
sagen dies regelmäßig bis zu zwei Drittel der Briten, und
als vor fünf Jahren die Australier über ein
Staatsoberhaupt abstimmten, das um den halben Erdball von ihnen
getrennt residiert, fand eine große Mehrheit das völlig
in Ordnung.
So entsteht eine merkwürdige Ambivalenz.
Einerseits ist da der Stolz auf die älteste europäische
Königsfamilie. Sie führt ihre genealogischen Wurzeln fast
ein Jahrtausend weit ohne Bruch auf einen Wikinger namens Wilhelm
zurück, den man später den Eroberer nannte. Er hatte es
zum Herzog der Normandie in Frankreich gebracht und setzte seine
fragwürdigen Ansprüche auf England 1066 mit Gewalt
durch.
Seither wechselten mehrfach die Namen der
Herrschergeschlechter, aber sie alle konnten sich auf Wilhelm I.
berufen. Ob es die Plantagenets und ihre Nachkommen waren, die 100
Jahre lang erfolglos um die Nachfolge auf dem französischen
Königsthron stritten, oder der Tudor-König Heinrich
VIII., der zum protestantischen Glauben übertrat, nur um sich
scheiden lassen zu können. Ob die Stuarts, von denen einer
sogar geköpft wurde, oder die Hannoveraner, deren Ahnherr nur
die "richtige" Stuart-Prinzessin geheiratet hatte: Sie alle
führten ihre Herrschaftsansprüche auf den "Eroberer"
zurück. Am windigsten war der Namenswechsel zu den Windsors,
die sich eigentlich Sachsen-Coburger nennen müssten. Doch weil
es im Ersten Weltkrieg nicht mehr so gut war, deutsche Namen zu
tragen, benannte sich König Georg V. kurzerhand um nach dem
Stammsitz.
Andererseits überwiegt den Stolz auf das
Königshaus noch der auf die ältesten parlamentarischen
Einrichtungen der Welt. Amerikaner, Franzosen und Briten mögen
sich lange darüber streiten, wer nun eigentlich die Demokratie
erfunden habe. Mit dem Einschränken der Königsherrschaft
durch ein Parlament, in dem schon seit 1265 auch Bürgerliche
saßen, hatten die Briten in der Tat die Nase vorn. Obgleich
sich der Abbau der königlichen Rechte nur schrittweise und
fast gewaltfrei vollzog, wurde spätestens seit der "Glorious
Revolution" von 1688 Politik nicht mehr von Königen bestimmt,
sondern von "Ersten Dienern", den Premierministern, die im
"Auftrag" des Königs vom Volk gewählt worden
waren.
Je weiter dieser Machtabbau voranschritt,
desto unantastbarer ist der Glorienschein doch geblieben. Ohne
geschriebene Verfassung lebt das Land von einmal festgelegten
Gesetzen, die Jahrhunderte alt sein können. Jedes neue Gesetz
muss der Königin zur Zustimmung vorgelegt werden, doch sie
widerspricht niemals. Noch immer eröffnet die Queen in aller
Pracht "ihres" Reiches jedes Jahr "ihr" Parlament zur
Sitzungsperiode. Noch immer erweckt sie den Anschein, dass sie ein
Weltreich beherrsche, noch immer ist die Liste ihrer Staatsbesuche
gewaltig. Und noch immer verkündet sie das Programm "meiner
Regierung". Doch von ihr selbst stammt in diesem Text kein einziges
Wort. Es ist der Premierminister, der sie seine Absichten vorlesen
lässt. Und Land für Land ist inzwischen auch das
Weltreich entschwunden.
Dass dieses einst so erdumspannend, so riesig
groß war, hat viel damit zu tun, dass in Großbritannien
eben nicht Könige, sondern Bürger und Kaufleute
herrschten. Indien, das strahlendste Juwel in der Krone, geriet
unter britische Macht, weil die Ostindische Kompanie das so wollte.
Und während die Könige viel mehr an den Händeln
unter ihren Kollegen in Europa als am Handel mit Übersee
interessiert waren, schufen britische Auswanderer in Amerika und
Kanada, in Australien und Neuseeland weiße Siedlerkolonien.
Die Seefahrernation trieb europäische Politik eigentlich nur,
um für ein "Gleichgewicht der Kräfte" zu sorgen und
niemanden so stark werden zu lassen, dass er zur Gefahr für
das Inselreich wurde. Die anderen Kolonialherren hingegen, die
Spanier und die Franzosen, die Niederländer und am Ende gar
die Deutschen, haben den Schritt von der kolonialen Ausbeutung zur
Bildung neuer Nationen niemals vollzogen.
Die Regierungen Ihrer Majestät haben
schon früh darauf geachtet, mit den Abtrünnigen
möglichst gute Beziehungen zu unterhalten: Wie das Beispiel
Irak zeigt, wird die "special relationship" zu den USA durch dick
und dünn zu allen Kriegs- und Notzeiten gepflegt, und als die
riesigen Territorien in Kanada und in Australien als Kolonien nicht
mehr zu halten waren, wurde zunächst mit ihnen zu Beginn des
20. Jahrhunderts das "Commonwealth of Nations" geschaffen: Sie
erhielten ihre Freiheit und sind doch eng mit Großbritannien
verbunden, weil der König ihr Staatsoberhaupt
blieb.
Es war eigentlich eine großartige Idee:
Während die Franzosen noch in den 50er-Jahren in Vietnam und
Algerien aussichtslose Kolonialkriege führten,
"entließen" König Georg VI. und seine Tochter Elizabeth
II. ihre "Untertanen" in Südasien und Afrika seit 1947 Schritt
für Schritt in die Freiheit und nahmen sie dafür in ihr
Commonwealth auf. Die Absicht war, dass die Monarchen zum Zeichen
der Verbindung mit Großbritannien dort Staatsoberhaupt bleiben
sollten.
Doch leider war es in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts dazu zu spät: Die längst national
empfindenden Exkolonien wählten sich fast allesamt eigene
Präsidenten. Die Queen darf zwar noch immer "Oberhaupt des
Commonwealth" sein, zu dem jetzt 54 Staaten mit 1,7 Milliarden
Menschen gehören - fast ein Drittel der Länder und ein
Viertel der Bevölkerung der Welt. Doch Monarchin ist Elizabeth
II. außer in Großbritannien nur noch in 14 Staaten: In
den großen Siedlerländern Kanada, Australien und
Neuseeland sowie in elf Inseln und Landfetzen, die den Nachruhm der
einstigen Weltmacht bezeugen. Außerdem herrscht sie über
die zwei Dutzend Übersee-Territorien.
Auch von den Aufgaben des Commonwealth ist
nicht viel übrig geblieben. Seine Struktur wurde seit
über 50 Jahren nicht mehr verändert, nur die
Mitgliederzahl ist größer geworden. Die Verwaltung liegt
ausschließlich in britischer Hand, in einer Nebenstelle des
Londoner Außenministeriums, das sich deshalb "Foreign and
Commonwealth Office" nennen darf. Dort werden die
Commonwealth-Konferenzen vorbereitet, die alle zwei Jahre wechselnd
in einem Mitgliedsland stattfinden. Die sind dann stets voller
Hoffnung: Anders als UN- oder EU-Konferenzen haben sie keine
Tagesordnung und keinen festgeschriebenen Zweck. Gerade deshalb
sollen sie den Teilnehmern die Chance zum informellen,
ausgleichenden Gespräch bieten. Der Queen sind sie darum
besonders wichtig. Sie fährt regelmäßig hin, und
meistens hält sie auf einem Empfang eine Rede. Dies ist eine
der wenigen politischen Aufgaben, die ihr verbleiben.
Das Commonwealth soll also den besonderen
Zusammenhalt der einst vom britischen Königreich regierten
Nationen gewährleisten und Demokratie und Menschenrechte
fördern. Doch gerade diese Aufgabe haben die bisherigen
Zusammenkünfte kaum je erfüllt. In den 80er-Jahren rieben
sich die Vertreter der farbigen Staaten an der Unterstützung,
die Margaret Thatcher den weißen Rassisten in Rhodesien und
Südafrika zukommen ließ. Bei der letzten Konferenz, im
Dezember 2003 in Nigeria, setzten umgekehrt Australien und Kanada
den Ausschluss Robert Mugabes wegen seines Wahlbetrugs und seiner
Menschenrechtsverstöße in Zimbabwe durch. Ihre
Wirtschaftspartner haben sich die Mitgliedsländer ohnehin
rasch nach ihren eigenen geographischen und politischen Interessen
gewählt; dass dabei die USA im Vordergrund steht, kann
niemanden mehr überraschen. Nur in Großbritannien selbst
kann man unterdessen oft hören: "Als wir all das noch
besaßen, war es dort besser."
Reinhart Häcker war 15 Jahre
London-Korrespondent der "Stuttgarter Zeitung".
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