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Jan Kanter
Feierlaune und Skepsis stören sich
nicht
Die Niederländer sind auf ihre
Königsfamilie nicht wirklich angewiesen, aber sie brauchen sie
trotzdem
Rein optisch gesehen hat die Verehrung des
Königshauses in den Niederlanden in den vergangenen Jahren
eher zugenommen. Auslöser war die Hochzeit des Thronfolgers
Willem Alexanders mit seiner argentinischen - im Vorfeld nicht
unumstrittenen - Braut Maxima. Hunderttausende begleiteten am
Straßenrand die Feierlichkeiten und noch Wochen später
standen verkitscht idealisierende Ölgemälde und Fotos in
den Schaufenstern beinahe aller Geschäfte. Die Niederlande
hatten neue Helden, und die Verehrung brach sich ungehindert ihre
Bahn. Immer wieder tanzt das Volk seither bei gegebenen
Anlässen wie der Geburt des Stammhalters oder den
einschlägigen Feiertagen in einer Orgie in Orange durch die
Straßen.
Vermutlich ist es aber nicht tief
verwurzelter Royalismus, der die Niederländer antreibt,
sondern schlicht die Gelegenheit, gemeinsam mit der "ersten
Familie" des Landes sowie zufällig auf der Straße vorbei
schauenden Nachbarn eine wilde Party zu feiern.
Eigentlich ist das Königshaus im Lande
nicht unumstritten - schließlich sind die Niederlande eines
der Länder in Europa mit der geringsten Tradition in Sachen
blaublütiger Herrscher. Die Ausbildung der modernen
niederländischen Nation begann mit einem Aufstand gegen einen
König. Im Zuge der Reformation lehnten sich die Städte -
und damit ein protestantisch geprägtes Bürgertum - gegen
einen katholischen, das Land aus der Ferne regierenden König
der Habsburger auf. Die Rebellion, unter anderem angeführt von
Wilhelm von Oranien, war erfolgreich, das Bürgertum wurde
mächtig und die Bedingungen für einen neuen König
dementsprechend schwierig. Zwar suchten die Aufständischen
einen Herrscher, konnten aber angesichts des sich abzeichnenden
Absolutismus keinen Kandidaten finden, der sich mit beschnittener,
vom gemeinen Volk verliehener Macht zufrieden gegeben hätte.
So wurden die Niederlande bereits am Ende des 16. Jahrhunderts eine
Republik.
Das heutige Königshaus verdankt seine
Herrschaft wiederum weniger einem freien Akt der Bürger: Die
Wirren der Napoleonischen Kriege brachten den Nachfahren Wilhelm
von Oraniens, dem Haus Oranien-Nassau, die Krone.
Formeller Spielraum
Die merkwürdige Geschichte der
niederländischen Monarchie trägt mit Sicherheit viel dazu
bei, dass die Niederländer ein zumindest zwiespältiges
Verhältnis zu ihren Königen hatten und bis heute
haben.
Die Verfassung räumt dem König
(oder der Königin) rein formell einigen Spielraum ein.
Zunächst ist der König Staatsoberhaupt und Teil der
Regierung. Der König ist auch Vorsitzender des Staatsrates,
dem wichtigsten beratenden Gremium des Landes. Der Monarch ernennt
und erlässt den Ministerpräsidenten und die Minister,
auch kann er nach Wahlen einen ihm genehmen Kandidaten mit der
Suche nach einer tragfähigen Regierungskoalition beauftragen,
der nicht zwingend der Wahlsieger sein muss.
Dieser Punkt ist insofern interessant, weil
hier gleich mehrere Besonderheiten des niederländischen
Politikstils deutlich werden: Zunächst gab es bei den
zurückliegenden Wahlen nie eine Partei, die die absolute
Mehrheit erringen konnte, es war sogar in den seltensten
Fällen ein Duell zweier Parteien. Man könnte eher von
drei bis vier nach deutschem Maßstab mittelgroßen
Fraktionen im Parlament sprechen, die noch von vier bis fünf
kleineren Parteien ergänzt werden.
Dass die Monarchen dennoch selten der
Versuchung erlagen, übermäßig auf die
Regierungsbildung einzuwirken, hat mit zwei Charakteristika
niederländischer Mentalität zu tun.
Die Niederlande waren lange Zeit durch das
Prinzip der Versäulung bestimmt. Die ursprünglich durch
die Konfessionen, schnell durch die Liberalen und später durch
die Sozialisten ergänzten Säulen bestimmten das gesamte
Leben der Menschen: So gab es katholische Schulen, katholische
Geschäfte, katholische Vereine und so weiter. Beinahe das
gesamte Leben der Menschen spielte sich in seiner Säule ab.
Gleichzeitig dominiert in den Niederlanden das - die
Versäulung machte es beinahe zwingend notwendig - Prinzip des
Kompromisses. Bevor eine Entscheidung getroffen wird, gibt es
ausgiebige Beratungen mit möglichst allen gesellschaftlichen
Kräften. Es gilt die "Konsenskultur". Die aber lässt
wenig Spielraum für eigenmächtige Entscheidungen der
Königinnen. Die faktische Macht des Königs als
institutionelle Kraft ist also eher gering. Der Verfassung folgend,
kann er sogar abgesetzt werden, wenn der König nach Meinung
des Ministerrates "außerstande ist, sein Amt auszuüben".
Nicht einmal das Recht auf freie Partnerwahl hat der Herrscher -
zumindest wenn er sein Amt behalten oder im Falle eines
Thronfolgers erst noch erlangen will.
Als politische Figur wird das Staatsoberhaupt
des Königreiches der Niederlande daher von vielen Bürgern
eher abgelehnt: Die politischen Reden, die vom
Ministerpräsidenten vorgegeben oder zumindest abgesegnet
werden müssen, werden argwöhnisch begutachtet. Es gibt
eine kleine, aber hartnäckig werbende Vereinigung der
Republikaner, die die Monarchie gleich ganz abschaffen
möchten.
Auch das Vermögen der Königin gibt
Anlass zur Kritik: Zunächst erhält die Monarchin ein
jährliches Einkommen von 3,9 Millionen Euro vom Staat,
Prinzgemahl, Thronfolger und Prinzessin jeweils etwas weniger.
Darüber hinaus verfügt das Königshaus über ein
beträchtliches Privatvermögen: Wie hoch das genau ist,
bleibt das Geheimnis der Familie: "In unserem Land gilt das
Prinzip, die Privatsphäre zu schützen. Das gilt auch
für die königliche Familie", kommentierte sie Erwartungen
auf Information. Auf der Webseite des Hauses ist immerhin zu
erfahren, dass das Vermögen, "längst nicht so hoch ist,
wie allgemein spekuliert wird".
Vor allem die Intellektuellen arbeiten sich
an der Königsfamilie ab. Kronprinz Willem Alexander, der erste
männliche Thronfolger des Landes seit 116 Jahren, wurde lange
Zeit als "Prins Pilsje" verpottet, gegen den, so der
niederländische Schriftsteller Leon de Winter, "Prinz Charles
ein intellektueller Latin Lover ist". Auch die Königin sah
sich derart großem Spott ausgesetzt, dass sich der
christdemokratische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende im
vergangenen Jahr genötigt sah, eine Debatte darüber
anzustoßen, ob man nicht entsprechende Comedy-Sendungen im
Fernsehen absetzen könnte.
Als Figur hat die Königin aber eine
integrative Kraft, eine Vorbildfunktion, an der sich die
Bürger des Landes in schweren Zeiten aufrichten konnten. Das
galt für Wilhelmina, die im Zweiten Weltkrieg aus dem Londoner
Exil regierte, das galt seit 1949 für Juliana, die sich
bewusst volkstümlich gab, und die Bezeichnung "Mefrouw" dem
standesgemäßen "Majestät" vorzog. Und das gilt mit
einigen Einschränkungen für die seit 1980 "herrschende"
Beatrix, die allerdings früh bekundet hatte, dass ihr eine
passive Rolle nicht liegt und die sich deshalb immer wieder in die
Politik einmischte - und sich damit nicht nur Freunde machte. So
sprach sie sich öffentlich gegen die Stationierung von
US-Raketen in den Niederlanden aus, mahnte früh eine aktive
Umweltpolitik an. Dass sie 1994 das tat, wozu sie eigentlich
verpflichtet ist, den Wahlsieger (den Sozialdemokraten Wim Kok) mit
der Regierungsbildung zu beauftragen, wurde als "Staatsstreich"
kommentiert.
Überraschenderweise gilt die Zuneigung
außerhalb des politischen Raumes auch für Maxima, die
Frau des derzeitigen Thronfolgers. Die Wahl Willem-Alexanders, die
Argentinierin zu heiraten, wurde scharf kritisiert, weil ihr Vater
der argentinischen Militärjunta als Landwirtschaftsminister
diente. Anlässlich der Hochzeit schrieb de Winter: "Sie sind
sehr verliebt. Er ist dumm, und sie ist blondiert. Ein Traumpaar".
Unmittelbar nach der Hochzeit schwärmte die
Öffentlichkeit allerdings vom Charme und der Anmut Maximas.
Schnell wurde sie populärer als ihr Gemahl. Dieser Verlauf der
königlichen Romanze war für die Niederländer
allerdings beinahe schon Routine. Ähnlich kritisch wurden auch
die Ehen von Mutter und Großmutter Wilhelm-Alexanders
begleitet.
Die Niederländer sind auf ihre
Könige nicht wirklich angewiesen, aber sie brauchen sie doch.
So konnte man das Dasein der Herrscher innerhalb ihres Volkes im
vergangenen Jahrhundert zusammenfassen. Politisch ein tolerierter
Anachronismus, zwischen- menschlich eine immer kritisch
beäugte, aber meist hochgradig verehrte "erste Familie" des
Landes. Mittlerweile gibt es erste Signale, dass sich das wandelt.
Prinzessin Maxima, das erste akzeptierte katholische Mitglied der
Famile, ist so ein Indiz, die Gelassenheit der Öffentlichkeit
angesichts der öffentlichen Rechtfertigung Prinz Bernhards zu
angeblichen und tatsächlichen Verfehlungen früherer Tage
ein anderes. Es scheint als begänne langsam eine Diskussion
über die künftige Rolle des Königshauses, ohne dass
an deren Ende eine Revolution, das Ende der Monarchie stehen
müsse.
Jan Kanter arbeitet in Berlin als Journalist
für "Die Welt".
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