Jan Kanter
Nachbarschaftspflege auf höchster Ebene
Ausgerechnet einen Deutschen hatten sich sowohl
Königin Juliana als auch Königin Beatrix als Ehemann
auserkoren
Die Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland sind
komplex, manche würden sogar sagen schwierig. Beide
Länder haben wohl keinen Nachbarn, mit dem sie so eng verzahnt
sind, mit dem sie öffentlich weitgehend unbeachtet so eng
zusammenarbeiten. Für die Nieder- länder sind die
Deutschen beispielsweise seit Jahrzehnten der wichtigste
Handelspartner. Beide Länder haben gemeinsame Interessen, sind
Motoren in den wichtigsten supranationalen Organisationen wie
Europäischer Union und NATO.
Und dennoch: Eine richtig gute Freundschaft sieht anders aus. In
Umfragen unter niederländischen Schülern landeten die
Deutschen bis in die späten 90er-Jahre hinein im Kreis der
damals 15 Mitgliedsländer der EU mit schöner
Regelmäßigkeit auf dem Platz des unbeliebtesten
Menschen.
Noch immer wird dem Land, das 1940 die kleinen Niederlande
überfiel und besetzte mit einem mittlerweile eher diffusen
Misstrauen begegnet. Völligen Ernstes verbinden vor allem auch
jüngere Bürger den brutalen Überfall von 1940 und
die anschließende Besatzungszeit mit der Fußball-WM von
1974 als das niederländische Team im Endspiel gegen die
Deutschen verlor.
Bonvivant mit Schattenseiten
Ausgerechnet aus diesem Land "bezog" das Herrscherhaus im
vergangenen Jahrhundert die Ehepartner für die wichtigsten
Mitglieder der königlichen Familie. Überraschenderweise
wurden auch diese anfangs umstrittenen, teils heftig abgelehnten
Neuniederländer zu den beliebtesten Bürgern des
Landes.
Königin Juliana lernte 1936 in den Niederlanden Bernhard
Leopold zur Lippe-Biesterfeld kennen, der in Amsterdam in der
Außenstelle der IG Farben arbeitete. Sein schneidig-charmantes
Auftreten becircte die junge Prinzessin, die die Schattenseiten des
schneidig-charmanten nicht erkannte oder erkennen wollte. Am 7.
Januar 1937 wurde geheiratet. Die "dunklen Seiten" des deutschen
Bonvivant, der aus dem Exil heraus an der Befreiung seines Landes
mitwirkte, sollten - so muss man der jugendlichen Prinzessin und
späteren Königin zugestehen - aber auch erst Jahre
beziehungsweise Jahrzehnte später eine Rolle spielen: Prinz
Bernhard, so der offizielle Titel Lippe-Biesterfelds war offenbar
Mitglied der SA, der Reiter-SS und - von ihm trotz belastender
Belege immer bestritten - Mitglied der NSDAP. Ein Umstand, der
trotz seiner Rolle im Widerstand nicht unproblematisch für
viele Niederländer ist. Noch 2002 sorgte das Gerücht,
dass es frühe Filmaufnahmen des Prinzen in SS-Uniform gebe,
für reichhaltiges Geraune auf den Redaktionsfluren
niederländischer Zeitungen - ohne dass irgendjemand die Bilder
des "schneidigen" Deutschen gesehen hätte. Der "charmante
Deutsche muss ein ausgesprochener Playboy gewesen sein.
Während seiner frühen Jahre an der Seite Julianas sorgte
er, so hielten sich jahrelang unbestätigte Berichte, für
reichlich außerehelichen Nachwuchs. (Einen Teil dieser
Gerüchte bestätigte er Anfang des Jahres).
Dennoch galt Prinz Bernhard in den Nachkriegsjahren als "bester
Exportartikel" des Landes. Immerhin war er sogar Oberbefehlshaber
der niederländischen Streitkräfte. Darüber hinaus
zur politischen Untätigkeit verurteilt, glänzte der
Anhang des Staatsoberhauptes auf gesellschaftlichem Terrain.
Einfach nur so als Teil der High Society aber auch bei durchaus
ernstzunehmenden Aufgaben: So war er Gründungspräsident
des World Wildlife Founds. Sein öffentliches Engagement endete
mit einer reichlich schmutzigen Schmiergeldaffäre um den
US-amerikanischen Lockheed-Konzern. Damit endete zugleich für
Jahrzehnte das öffentliche das Leben des prominenten
Deutsch-Niederländers, dessen Biographie - stellvertretend
für die Beziehungen beider Länder ebenso komplex war, wie
die seines Nachfolgers.
Auch die Tochter von Königin Juliana, die derzeitige
Königin Beatrix hatte sich ausgerechnet einen Deutschen zum
Mann gesucht. Der Diplomat Claus von Amberg sollte es sein: Eine
Entscheidung die wesentlich kontroverser diskutiert wurde als die
Vorkriegsehe ihrer Mutter. Bei der Hochzeit in Amsterdam, der
Hochburg des Widerstandes gegen die deutsche Besatzung kam es 1966
zu regelrechten Straßenschlachten. Bereits die Genehmigung der
Regierung zur Hochzeit, die laut Verfassung notwendig ist, hatte
erbitterte Debatten ausgelöst.
Nur wenige Jahre später hatte sich die negative Einstellung
gewandelt. 1976 wählten die Leser einer niederländischen
Tageszeitung den Deutsch-Niederländer ausgerechnet zum
"charmantesten Niederländer des Jahres". Prinz Claus hatte vor
allem zwei Dinge richtig gemacht: Er hatte dem Land nach mehr als
hundertjähriger Abstinenz wieder zu einem männlichen
Thronfolger verholfen, was offenbar auch für ein Land mit
offener Thronfolge irgendwie wichtig ist, und er hatte sich zur
moralischen Instanz entwickelt. Sich für die richtige Sache
einzusetzen, wenn beziehungsweise gerade weil ein kleines Land nur
wenig wirklich bewegen kann, ist für die Niederländer
besonders wichtig. Sein Einsatz für Umweltpolitik und die so
genannte Dritte Welt kam an.
Beide Prinzen, Bernhard und Claus, waren beziegungsweise sind
beliebt in den Niederlanden; vielleicht sogar beliebter als ihre
Gemahlinnen, Königin Juliana und Königin Beatrix. Beide
waren aber vermutlich deshalb so populär, weil sie von der
Bevölkerung über einen langen Zeitraum eher als
Niederländer denn als Deutsche gesehen wurden. Das "Deutsche"
in den Prinzen war in der öffentlichen Wahrnehmung immer eher
ein Risikofaktor für die königliche Familie - vor allem
dann, wenn es auf den dunkleren Teil der
deutsch-niederländischen Geschichte hindeutete. Beide hatten
so aber eine Katalysatorfunktion für die Niederländer,
sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen: Nach dem Krieg
gab es nur Gut und Böse: Gut waren die überfallenen
Niederländer und Böse die Deutschen sowie die wenigen (so
die damalige Auffassung) Niederländer, die den Besatzern
halfen.
Erst am Ende des vergangenen Jahrhunderts setzte sich die
Erkenntnis durch, dass die niederländische Geschichte
vielschichtiger, das eigene Versagen größer war als
angenommen. Dafür gibt es wiederum einen Beleg bei den
Prinzen: Zu Beginn des Jahres schrieb Prinz Bernhard in der
Tageszeitung "Volkskrant" einen offenen Brief, in dem er sich gegen
verschiedene Anschuldigungen zur Wehr setzte (und einige
Verfehlungen zugab): So war ihm immer wieder vorgeworfen worden, er
hätte sich 1942 den Nazis als Statthalter für die
Niederlande angedient und später die Angriffspläne auf
Arnheim verraten. Beides hatte er immer bestritten - nur eben nicht
öffentlich: Drei Ministerpräsidenten hatten ihm die
Rechtfertigung verwehrt. Erst der Christdemokrat Jan Peter
Balkenende gewährte ihm diese letzte Chance auf
Rechtfertigung, die die Niederländer noch einmal tief in die
Vergangenheit führte.
Dennoch hat vor allem Claus von Amberg in 70er- und 80er-Jahren
viel für das Deutschlandbild in den Niederlanden getan.
Vermutlich, weil der weltgewandte Diplomat durch tägliche
Anschauung einen Gegenentwurf zum Bild des aggressiven Deutschen
ablieferte.
Die Prinzen stehen für ein teilweise neurotisches
Miteinander, das sich verkürzt so beschreiben lässt: Die
Niederländer sind den Deutschen nicht so ähnlich wie die
Deutschen es glauben - und sie sind nicht so anders, wie die
Niederländer es sich wünschen. Die bisweilen
spürbare Ablehnung der Deutschen seitens der
Niederländer, die kein ernstes Problem, aber doch eine
unterschwellig fortbestehende Symptomatik ist, scheint ein diffus
kollektives Phänomen, es halten sich gewachsene Stereotype,
die aus der Ferne angewendet werden, im täglichen Umgang aber
- das haben die deutschen Prinzen jahrelang demonstriert - nicht
haltbar sind.
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