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Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Jan Kanter

Nachbarschaftspflege auf höchster Ebene

Ausgerechnet einen Deutschen hatten sich sowohl Königin Juliana als auch Königin Beatrix als Ehemann auserkoren

Die Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland sind komplex, manche würden sogar sagen schwierig. Beide Länder haben wohl keinen Nachbarn, mit dem sie so eng verzahnt sind, mit dem sie öffentlich weitgehend unbeachtet so eng zusammenarbeiten. Für die Nieder- länder sind die Deutschen beispielsweise seit Jahrzehnten der wichtigste Handelspartner. Beide Länder haben gemeinsame Interessen, sind Motoren in den wichtigsten supranationalen Organisationen wie Europäischer Union und NATO.

Und dennoch: Eine richtig gute Freundschaft sieht anders aus. In Umfragen unter niederländischen Schülern landeten die Deutschen bis in die späten 90er-Jahre hinein im Kreis der damals 15 Mitgliedsländer der EU mit schöner Regelmäßigkeit auf dem Platz des unbeliebtesten Menschen.

Noch immer wird dem Land, das 1940 die kleinen Niederlande überfiel und besetzte mit einem mittlerweile eher diffusen Misstrauen begegnet. Völligen Ernstes verbinden vor allem auch jüngere Bürger den brutalen Überfall von 1940 und die anschließende Besatzungszeit mit der Fußball-WM von 1974 als das niederländische Team im Endspiel gegen die Deutschen verlor.

Bonvivant mit Schattenseiten

Ausgerechnet aus diesem Land "bezog" das Herrscherhaus im vergangenen Jahrhundert die Ehepartner für die wichtigsten Mitglieder der königlichen Familie. Überraschenderweise wurden auch diese anfangs umstrittenen, teils heftig abgelehnten Neuniederländer zu den beliebtesten Bürgern des Landes.

Königin Juliana lernte 1936 in den Niederlanden Bernhard Leopold zur Lippe-Biesterfeld kennen, der in Amsterdam in der Außenstelle der IG Farben arbeitete. Sein schneidig-charmantes Auftreten becircte die junge Prinzessin, die die Schattenseiten des schneidig-charmanten nicht erkannte oder erkennen wollte. Am 7. Januar 1937 wurde geheiratet. Die "dunklen Seiten" des deutschen Bonvivant, der aus dem Exil heraus an der Befreiung seines Landes mitwirkte, sollten - so muss man der jugendlichen Prinzessin und späteren Königin zugestehen - aber auch erst Jahre beziehungsweise Jahrzehnte später eine Rolle spielen: Prinz Bernhard, so der offizielle Titel Lippe-Biesterfelds war offenbar Mitglied der SA, der Reiter-SS und - von ihm trotz belastender Belege immer bestritten - Mitglied der NSDAP. Ein Umstand, der trotz seiner Rolle im Widerstand nicht unproblematisch für viele Niederländer ist. Noch 2002 sorgte das Gerücht, dass es frühe Filmaufnahmen des Prinzen in SS-Uniform gebe, für reichhaltiges Geraune auf den Redaktionsfluren niederländischer Zeitungen - ohne dass irgendjemand die Bilder des "schneidigen" Deutschen gesehen hätte. Der "charmante Deutsche muss ein ausgesprochener Playboy gewesen sein. Während seiner frühen Jahre an der Seite Julianas sorgte er, so hielten sich jahrelang unbestätigte Berichte, für reichlich außerehelichen Nachwuchs. (Einen Teil dieser Gerüchte bestätigte er Anfang des Jahres).

Dennoch galt Prinz Bernhard in den Nachkriegsjahren als "bester Exportartikel" des Landes. Immerhin war er sogar Oberbefehlshaber der niederländischen Streitkräfte. Darüber hinaus zur politischen Untätigkeit verurteilt, glänzte der Anhang des Staatsoberhauptes auf gesellschaftlichem Terrain. Einfach nur so als Teil der High Society aber auch bei durchaus ernstzunehmenden Aufgaben: So war er Gründungspräsident des World Wildlife Founds. Sein öffentliches Engagement endete mit einer reichlich schmutzigen Schmiergeldaffäre um den US-amerikanischen Lockheed-Konzern. Damit endete zugleich für Jahrzehnte das öffentliche das Leben des prominenten Deutsch-Niederländers, dessen Biographie - stellvertretend für die Beziehungen beider Länder ebenso komplex war, wie die seines Nachfolgers.

Auch die Tochter von Königin Juliana, die derzeitige Königin Beatrix hatte sich ausgerechnet einen Deutschen zum Mann gesucht. Der Diplomat Claus von Amberg sollte es sein: Eine Entscheidung die wesentlich kontroverser diskutiert wurde als die Vorkriegsehe ihrer Mutter. Bei der Hochzeit in Amsterdam, der Hochburg des Widerstandes gegen die deutsche Besatzung kam es 1966 zu regelrechten Straßenschlachten. Bereits die Genehmigung der Regierung zur Hochzeit, die laut Verfassung notwendig ist, hatte erbitterte Debatten ausgelöst.

Nur wenige Jahre später hatte sich die negative Einstellung gewandelt. 1976 wählten die Leser einer niederländischen Tageszeitung den Deutsch-Niederländer ausgerechnet zum "charmantesten Niederländer des Jahres". Prinz Claus hatte vor allem zwei Dinge richtig gemacht: Er hatte dem Land nach mehr als hundertjähriger Abstinenz wieder zu einem männlichen Thronfolger verholfen, was offenbar auch für ein Land mit offener Thronfolge irgendwie wichtig ist, und er hatte sich zur moralischen Instanz entwickelt. Sich für die richtige Sache einzusetzen, wenn beziehungsweise gerade weil ein kleines Land nur wenig wirklich bewegen kann, ist für die Niederländer besonders wichtig. Sein Einsatz für Umweltpolitik und die so genannte Dritte Welt kam an.

Beide Prinzen, Bernhard und Claus, waren beziegungsweise sind beliebt in den Niederlanden; vielleicht sogar beliebter als ihre Gemahlinnen, Königin Juliana und Königin Beatrix. Beide waren aber vermutlich deshalb so populär, weil sie von der Bevölkerung über einen langen Zeitraum eher als Niederländer denn als Deutsche gesehen wurden. Das "Deutsche" in den Prinzen war in der öffentlichen Wahrnehmung immer eher ein Risikofaktor für die königliche Familie - vor allem dann, wenn es auf den dunkleren Teil der deutsch-niederländischen Geschichte hindeutete. Beide hatten so aber eine Katalysatorfunktion für die Niederländer, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen: Nach dem Krieg gab es nur Gut und Böse: Gut waren die überfallenen Niederländer und Böse die Deutschen sowie die wenigen (so die damalige Auffassung) Niederländer, die den Besatzern halfen.

Erst am Ende des vergangenen Jahrhunderts setzte sich die Erkenntnis durch, dass die niederländische Geschichte vielschichtiger, das eigene Versagen größer war als angenommen. Dafür gibt es wiederum einen Beleg bei den Prinzen: Zu Beginn des Jahres schrieb Prinz Bernhard in der Tageszeitung "Volkskrant" einen offenen Brief, in dem er sich gegen verschiedene Anschuldigungen zur Wehr setzte (und einige Verfehlungen zugab): So war ihm immer wieder vorgeworfen worden, er hätte sich 1942 den Nazis als Statthalter für die Niederlande angedient und später die Angriffspläne auf Arnheim verraten. Beides hatte er immer bestritten - nur eben nicht öffentlich: Drei Ministerpräsidenten hatten ihm die Rechtfertigung verwehrt. Erst der Christdemokrat Jan Peter Balkenende gewährte ihm diese letzte Chance auf Rechtfertigung, die die Niederländer noch einmal tief in die Vergangenheit führte.

Dennoch hat vor allem Claus von Amberg in 70er- und 80er-Jahren viel für das Deutschlandbild in den Niederlanden getan. Vermutlich, weil der weltgewandte Diplomat durch tägliche Anschauung einen Gegenentwurf zum Bild des aggressiven Deutschen ablieferte.

Die Prinzen stehen für ein teilweise neurotisches Miteinander, das sich verkürzt so beschreiben lässt: Die Niederländer sind den Deutschen nicht so ähnlich wie die Deutschen es glauben - und sie sind nicht so anders, wie die Niederländer es sich wünschen. Die bisweilen spürbare Ablehnung der Deutschen seitens der Niederländer, die kein ernstes Problem, aber doch eine unterschwellig fortbestehende Symptomatik ist, scheint ein diffus kollektives Phänomen, es halten sich gewachsene Stereotype, die aus der Ferne angewendet werden, im täglichen Umgang aber - das haben die deutschen Prinzen jahrelang demonstriert - nicht haltbar sind.

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