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Karl-Otto Sattler
Mehr Briefkästen als Einwohner
Das Fürstentum Liechtenstein
Einmal im Jahr heißt es "Fürst schauen". Immer am 15.
August, dem Staatsfeiertag, pilgern tausende Untertanen samt vieler
aus dem Ausland angereister Neugieriger hinauf zum Schloss Vaduz,
wo geherrscht und gethront wird. Dann winken auf der Schlosswiese
Fürst Hans Adam II. und sein Sohn Alois, der Erbprinz,
huldvoll dem Publikum zu, die beiden Ehefrauen strahlen
lächelnd um die Wette. Und die Leute sind glücklich - vor
allem dann, wenn sie während des traditionellen Volksfests
beim Genuss von Freibier vielleicht einem Mitglied der
Herrscherfamilie die Hand schütteln dürfen. "Für
Fürst, Volk und Vaterland": So lautet die Losung des
konservativen Ländchens in den Alpen, und am Staatsfeiertag
fühlen sich Ihro Gnaden und die Bürger in wunderbarer
Eintracht. Eine Feldmesse in dem zu 75 Prozent katholischen
Sprengel darf natürlich nicht fehlen, und die wird fast wie
eine Art Hochamt für die Monarchie zelebriert. Abends
erleuchten Feuerwerksraketen den Himmel über Vaduz.
Nicht nur am 15. August vermittelt der von der Schweiz und
Österreich eingehegte Mini-Staat, der ohne einen einzigen
Soldaten auskommt, auf den ersten Blick den Eindruck einer heilen
Welt. Auf den Almwiesen posieren Kühe mit Glockengeläut
und Murmeltiere für Touristenkameras. Ein Hit sind
Ansichtskarten, auf denen die Konterfeis der Fürstenfamilie
prangen. Hans-Adam-Medaillen und solcherart verzierte
Bierkrüge gibt es ebenfalls zu kaufen. Ehrerbietungen sind ja
auch geboten: Schließlich sorgt der Monarch, der jüngst
den Erbprinzen zum "amtsausübenden Stellvertreter" fürs
politische Tagesgeschäft berufen hat und nun mit Sohn Alois
eine Art Doppelherrschaft ausübt, für das Wohlergehen des
gemeinen Volks. Wem sonst sollte es zu verdanken sein, dass das
Pro-Kopf-Einkommen in dem 34.000-Einwohner-Land, das mit den
eidgenössischen Nachbarn eine Zoll- und Postunion praktiziert
und dessen Währung der Franken ist, doppelt so hoch wie in der
Schweiz und dreimal so hoch wie in Deutschland ist? Dass bei einer
Erwerbslosenquote von wenig mehr als zwei Prozent praktisch
Vollbeschäftigung zu konstatieren ist und von den 29.000
Arbeitsplätzen 13.000 von Einpendlern besetzt werden? Die
fürstliche Kunstsammlung hat internationales Renommee.
Die Liechtenstein-AG
Eine gewisse Berühmtheit mit leicht berüchtigtem Touch
haben Niederlassungen mit dem schönen Namen
"Sitzgesellschaften" erlangt: Zehntausende geheimnisumwitterter
Briefkastenfirmen haben sich in dem 160-Quadratkilometer-Flecken
angesiedelt, manche Mutmaßungen sprechen von bis zu 80.000
dieser der Geldvermehrung verpflichteten Einrichtungen - ein Land
mit mehr Briefkästen als Einwohnern. Auf der offiziellen
Internet-Seite Liechtensteins wird ausdrücklich betont, dass
man internationale Konventionen zur Bekämpfung der
Geldwäsche strikt anwende.
Nun sind mäkelnde Zungen zu vernehmen, die einen echten
Monarchen irgendwie nicht mehr für zeitgemäß halten
und sich an den Absolutismus erinnert fühlen. Indes kommt Hans
Adam nicht unbedingt als verschnarchter Despot daher. Er agiert
vielmehr überaus modern, nämlich finanziell erfolgreich.
Der Fürst ist Besitzer ausgedehnter Ländereien und wurde
nicht zuletzt mit profitablen Bankgeschäften reich, sein
Privatvermögen wird auf mehrere Milliarden Euro
geschätzt. Ein Bonmot spricht davon, dass Liechtenstein
eigentlich ein Unternehmen mit Hans Adam als Aktionär,
Geschäftsführer und Aufsichtsrat ist.
Mittlerweile haben sich dunkle Wolken über dem Monarchen
zusammengezogen. Der Sonnenkönig könnte es nämlich
mit der politischen Macht zu weit getrieben haben. Eine Expertise
der Parlamentarischen Versammlung des Europarats kommt jedenfalls
zu dem peinlichen Ergebnis, dass die Verhältnisse in dem
Fürstentum "aus der Sicht eines demokratischen Rechtsstaats
inakzeptabel" seien. Ins Visier des Staatenbunds geraten ist
Liechtenstein, das als Mitglied im Straßburger Palais d'Europe
demokratisch-rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung
wahren muss, wegen einer Verfassungsänderung im vergangenen
Jahr: Seither verfügt Hans Adam über Befugnisse von in
der Tat absolutistischem Charakter. Das Land firmiert als
"konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und
parlamentarischer Grundlage" - eine Definition, die dem
Fürsten viel Spielraum lässt.
Zwar ist der Monarch bei der Ernennung der Regierung, an deren
Spitze momentan Otmar Hasler steht, an den Vorschlag des
25-köpfigen Parlaments gebunden. Doch Hans Adam kann nach
Gutdünken das Kabinett absetzen, auch gegen den Willen der
Volksvertretung. Im Landtag geben die Fortschrittliche
Bürgerpartei und die Vaterländische Union den Ton an,
beide Formationen sind politisch irgendwo im Spektrum von CDU und
FDP zu verorten; die den Grünen vergleichbare Freie Liste hat
einen Sitz. Der Fürst kann parlamentarisch beschlossene
Gesetze außer Kraft zu setzen - wobei es genügt, dass er
seine Unterschrift verweigert. Er kann per Notverordnung regieren
und das Abgeordnetenhaus auflösen. Bei der Ernennung von
Richtern hat Hans Adam das letzte Wort.
Wegen der neuen Machtfülle wird der Monarch politischen
Ärger nicht mehr los. Gewiss, eine Zwei-Drittel-Mehrheit der
17.000 Stimmberechtigten (Ausländer stellen über 30
Prozent der Einwohner) hat die Verfassungsänderung gebilligt.
Doch erstmals hat eine starke Minderheit offen gegen das
Fürstenhaus opponiert. Bürgerrechtsvereinigungen geben
nun keine Ruhe mehr. Die Parlamentarische Versammlung des
Europarats lehnte es mit knapper Mehrheit ab, gegen Liechtenstein
ein formelles Überwachungsverfahren einzuleiten. Sie will aber
bei einem "Dialog" mit dem Fürstentum, der nach den dortigen
Wahlen im Februar 2005 beginnen soll, darauf dringen, dass die
"Verfassungswirklichkeit" mit demokratisch-rechtsstaatlichen
Standards in Einklang zu bringen ist.
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