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Astrid Lorenz
In Zeiten des Umbruchs wächst der Wunsch
nach der starker Führung
Die Rolle ehemaliger Monarchen in Osteuropa nach
1989
Im Juni 2001 merkten die Monarchisten in aller Welt auf: Simeon
II. von Sachsen-Coburg-Gotha wurde neuer Ministerpräsident in
Sofia. War dies der Beginn eines monarchistischen Revivals in
Osteuropa? Tatsächlich kehrten seit dem Ende des Sozialismus
Nachfahren mehrerer Königshäuser in ihre alte Heimat
jenseits von Elbe und Donau zurück. Die royalen Traditionen
der Vergangenheit sind dort allerdings unterschiedlich
präsent.
In Ost- und Ostmitteleuropa war die Macht der
Königshäuser bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts
versiegt: Der autoritäre russische Zar Nikolaus II. dankte im
Zuge der Februarrevolution 1917 ab. In den Bürgerkriegswirren
von 1918 ermordeten die Bolschewiken den noch von den
Bürgerlichen arrestierten Monarchen und seine Familie, um das
mit der Oktoberre-volution angestrebte neue politische System
unumkehrbar durchzusetzen. In etlichen Gebieten, die Moskau im 18.
Jahrhundert erobert hatte, entstanden seit 1918 vorübergehend
eigenständige Republiken, die später an das sowjetische
Imperium angeschlossen wurden: (Ost-)Weißrussland bereits nach
wenigen Monaten, die Ukraine 1922, die baltischen Staaten Estland,
Livland (Lettland) und Litauen bis 1940. Moldova schloss sich 1918
Rumänien an, fiel aber 1924 (Transnistrien) beziehungsweise
seit 1939 (Bessarabien) als Teilrepublik an die antimonarchistische
UdSSR. Auch in der Tschechoslowakei wurde 1918 die Republik
ausgerufen, ebenso in Polen, dem die Mittelmächte noch 1916
den Status eines Königreichs vermacht hatten. In Ungarn
ersetzte zwar seit 1920 eine "Monarchie mit vakantem Thron" die
1918 proklamierte Republik, doch zwei Rückkehrversuche Kaisers
Karls I. scheiterten unter dem Druck der Nachbarstaaten.
In Südmitteleuropa bis zum Balkan ist die Erinnerung an die
monarchistische Vergangenheit etwas weniger verblasst, da sie bis
zum Zweiten Weltkrieg währte: Im jungen Jugoslawien herrschte
zuletzt bis 1941 Prinzregent Paul, den das Tito-Regime 1945
verbannte. Ein Jahr später verließ der bulgarische
König Simeon II. seine Heimat - nach einem von den Kommunisten
durchgeführten Referendum, in dem sich angeblich 92,72 Prozent
für die Republik und lediglich 4,24 Prozent für die
Monarchie aussprachen. Der großrumänische König
Michael ging 1948 ins Exil, nachdem er bereits kurz vor Ausrufung
der Republik 1947 von den Kommunisten zum Abtritt gezwungen worden
war. Einen gewissen Sonderfall in Südeuropa bildet Albanien.
Sein König Zog I. verließ 1939 sein Land, als Italien es
besetzte. Der Bürgerliche hatte als autoritärer
Präsident der 1925 gegründeten Republik überhaupt
erst deren Umwandlung in eine (konstitutionelle) Monarchie
betrieben.
Monarchistische Ideen treten häufig im Zusammenhang mit
einem Weltbild auf, das Autorität und Volkstum hervorhebt.
Gerade gesellschaftliche Umbrüche können angesichts der
Unsicherheiten ethnisch-historische Nostalgie und den Wunsch nach
einer starken Führungsfigur fördern. Doch obgleich dies
theoretisch eine Remonarchisierung Osteuropas ermöglichte,
variiert die Offenheit gegenüber solchen Ideen.
In der russischen Gesellschaft beispielsweise zeigen sich zwar
ein Wunsch nach Rückkehr zu stabilen Verhältnissen sowie
eine gewisse Nostalgie hinsichtlich der historischen
Größe und Macht, doch weder interessiert die Zarenfamilie
als solche besonders, noch gilt die Monarchie als Synonym für
Blüte oder Wohlstand. Im Diskurs über Demokratie,
nationale Identität oder Wirtschaftspolitik werden die
russischen Eigenheiten, der Großmachtanspruch und der
vergangene Ruhm des Landes zwar breit thematisiert, nicht jedoch
automatisch mit der Forderung nach eine Rückkehr zur Monarchie
verknüpft. Entsprechend sind monarchistische Gruppierungen
weitere, nicht aber repräsentative Akteure im
äußeren politischen Spektrum. Ähnlich wie die
anderen ehemals sozialistischen Staaten geht Moskau daher
inzwischen entspannter mit der monarchistischen Vergangenheit um.
So wurden 1998 auf Beschluss einer Regierungskommission die
sterblichen Überreste der Zarenfamilie in der
Peter-Pauls-Kathedrale in St. Petersburg beerdigt.
Entsprechend den historischen Unterschieden könnten
monarchistische Ideen in Südeuropa eine potenziell wichtigere
Rolle spielen, obgleich nach 1989 nirgendwo die Einrichtung einer
Monarchie geplant war. Vielmehr scheinen ehemalige Könige hier
als Personen vorrangig in zwei Funktionen geschätzt zu werden:
als Emigranten mit "Westexpertise", Netzwerken und teils Kapital
sowie als integrierende Kräfte angesichts einer starken
Zersplitterung des innenpolitischen Spektrums. Wie stark dieses
Potenzial aktiviert wird, hängt von der Wahrnehmung der
historischen Rolle der Königshäuser ab, von den
Bestrebungen der innenpolitischen Kräfte, aber auch vom
Verhalten der königlichen Nachfahren selbst.
In erstgenannter Funktion nutzt beispielsweise die
rumänische Regierung den in der Schweiz lebenden Ex-König
Michael, der 1997 die rumänische Staatsbürgerschaft
zurückerlangte, sich bei einem Besuch des Landes 2001 mit dem
ehemaligen kommunistischen Präsidenten Iliescu versöhnte,
für Demokratie sowie wirtschaftlichen Aufschwung eintritt,
sich aber neutral gegenüber der rumänischen Politik
äußert. Vor dem Hintergrund einer nur kleinen Schar von
Anhängern der Monarchie erfüllt er seither eine
ähnliche Rolle wie rückgekehrte bürgerliche
Emigranten in Ostmitteleuropa und den baltischen Staaten, von denen
am erfolgreichsten die seit 1999 amtierende lettische
Präsidentin Vaira Vike-Freiberga ist. Auch der 1945 im Exil
geborene jugoslawische Kronprinz Alexander, mitlerweile wieder im
Königsschloss in Belgrad wohnend, engagiert sich
überparteilich für die Demokratisierung in seiner Heimat
und wirbt für Investitionen.
Nicht gegen die Republik
Der Sofioter Ministerpräsident Saks-Koburggotski fiel
seinerseits besonders als charismatische Integrationsfigur auf.
Hintergrund sind die schwachen bulgarischen Parteien, die zahlreich
und unübersichtlich über der Gesellschaft schweben. Die
Gründung seiner Partei "Nationale Bewegung Simeons II." im
April 2001 war einer der für Osteuropa typischen Akte vor
Parla-mentswahlen, wo Neuschöpfungen, oft mit Prominenten an
der Spitze, teils überwältigende Wahlerfolge feiern, aber
auch rasch wieder von der Bildfläche verschwinden können.
Simeon II., der einen Großteil seines Lebens in Spanien
verbracht hat, erhielt 1991 die Staatsbürgerschaft zurück
und genoss seit seiner erstmaligen Rückkehr in die Heimat 1996
eine hohe Popularität, weshalb viele Parteien den Kontakt zu
ihm suchten. Die Union der Demokratischen Kräfte trieb als
Regierungspartei die Rückgabe seiner Familienbesitztümer
1998 voran, und selbst die Sozialisten äußerten sich zwar
prorepublikanisch, aber Simeon-freundlich.
Saks-Koburggotski entschloss sich so spontan, den Sympathiebonus
in politischen Einfluss umzumünzen, dass seine Partei nur
durch ein Bündnis mit der Frauenpartei und der Bewegung
für Nationale Wiedergeburt überhaupt für die
Parlamentswahlen im Juni 2001 zugelassen wurde. Sie erhielt 42,7
Prozent der Stimmen. Dennoch war ein monarchistischer rollback
weder Ziel noch politisches Ergebnis der Simeon-Partei. Sie
richtete sich mit klassischen populistischen Appellen wie
Korruptionsbekämpfung und Elitenschelte an die breite
Bevölkerung, setzt programmatisch auf eine wirtschaftliche
Sanierung des Landes und den Beitritt zur Europäischen
Union.
Im Gegensatz zum auffälligeren, da erfolgreichen Simeon ist
der 1939 geborene albanische Thronerbe Leka Zogu eine wirkliche
Besonderheit. Er strebt seit langem offen nach Weiterführung
einer "echten" Monarchie in Albanien. 1993 wurde er wegen seines
selbst hergestellten "königlichen Passes" des Landes
verwiesen. Obwohl die Bevölkerung im selben Jahr in einem
Referendum die Wiedereinführung der Monarchie ablehnte und von
den über 50 nach 1989 gegründeten albanischen Parteien
nur eine Kleinstpartei, die PLL, monarchistische Ideen verbreitet,
ließ sich Zogu nicht entmutigen. 2002 versprach er
anlässlich seiner erneuten Rückkehr, die albanische
Demokratie und den Staat zu respektieren, doch wenig später
beschlagnahmte die Polizei bei ihm Dutzende Waffen. Im Mai dieses
Jahres gründete er eine "Bewegung für Nationale
Entwicklung", die ein ethnisches Großalbanien an-strebt und an
den Wahlen 2005 teilnehmen soll.
Bislang ist Simeon II. der einzige ehemalige König, der in
Osteuropa wieder eine Machtposition innehat, wobei die bulgarische
Entwicklung viel stärker den postsozialistischen Eigenheiten
entspricht, als dass sie selbst einen Trend der Remonarchisierung
vorgibt.
Dr. Astrid Lorenz arbeitet als Politologin am Institut für
Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.
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