Ursula Kuschel und Claudio
Bonvecchio
Ein zu kleiner König für eine zu
große Epoche: Vittorio Emanuelle III.
Mit dem Faschismus ging auch die Monarchie in
Italien zu Ende
Wer von der Monarchie in Italien spricht, meint damit die Zeit
der Regentschaft des Hauses Savoyen. Das seit dem 10. Jahrhundert
bekannte Herrschergeschlecht stammte aus dem französischen
Burgund. Mit König Carlo Alberto von Piemont wurde im Jahre
1848 eine konstitutionelle Monarchie in Turin gegründet. Diese
piemontesische Monarchie stellte sich in den
Unabhängigkeitskriegen von 1848, 1859 und 1866 an die Spitze
der italienischen Einheitsbewegung.
Im vereinten Italien gab es vier Savoyer Monarchen: Vittorio
Emanuele II. (1861 bis 1878), der Sohn von Carlo Alberto; Umberto
I. (1878 bis 1900); Vittorio Emanuele III. (1900 bis 1946) und
Umberto II., der nach der Abdankung seines Vaters am 9. Mai 1946
für 35 Tage die Regentschaft übernahm.
Auf dem Höhepunkt der nationalen Einigung, am 17. März
1861, trat das erste aus nahezu ganz Italien entsandte Parlament
zusammen und proklamierte Vittorio Emanuele II. zum ersten
König von Italien. Damit begann - historisch gesehen - die
Ära der Monarchie in Italien. Zehn Jahre später wurde Rom
Hauptstadt Italiens. Das größte Verdienst von Vittorio
Emanuele II. war seine Einsicht, dass das absolutistische Modell
überholt war und dass stattdessen die Macht einer Monarchie
aus der Stärke des sozialen Lebens kommt. Zahlreiche Legenden
entwickelten sich um Viktor Emanuel. Sie zeigten das Bild eines
mutigen Königs, ehrenhaft und fair, Vorbild und Garant
für Sicherheit.
Seit 1861 präsentierte sich das vereinte Italien in der
europäischen Szene als ein politisch junger Staat, zwar sozial
noch rückständig, aber immerhin erste Macht im Europa der
zweiten Reihe. Außenpolitisch löste der König die
offenen Probleme Venetien und Rom. Diese Gebiete standen noch unter
österreichischer beziehungsweise päpstlicher Herrschaft.
Innenpolitisch zielte der König auf die Zentralisierung der
staatlichen Macht, indem er die piemontesischen Gesetze und
Verwaltungsordnungen auf das ganze damalige Italien ausdehnte.
Vittorio Emanuele II. starb am 9. Januar 1878. Er war so
populär wie kein anderer der Savoyer, die nach ihm kamen.
Der zweite König von Italien, Umberto I., wurde zehn Tage
nach dem Tod des Vaters inthronisiert. Er nannte sich Umberto I.
und nicht Umberto IV. - wie es sein sollte - um damit den Beginn
einer neuen Ära zu betonen.
Das politische Profil von Umberto I. unterschied sich sehr stark
von dem seines Vaters. Es fehlte ihm die lebendige ausgleichende
Energie. Als er bemerkte, dass er nicht im Stande war, die
Konstitution im parlamentarischen Sinn weiter zu entwickeln, setzte
er alle seine Kräfte in die Verstärkung des Heeres.
Nachdem Umberto I. in seinem Land viel Prestige verloren hatte,
begann man im Sommer 1900 über seine mögliche Abdankung
zu sprechen. Ein toskanischer Anarchist kam der Entscheidung zuvor
und ermordete ihn in Monza.
Nach dem Tod seines Vaters Umberto begann die trostlose Periode
von Vittorio Emanuele III.: ein eher bürgerlicher als adeliger
Savoyer, der die Verpflichtung, König zu sein, geerbt hatte.
Weit entfernt von der Tradition der Savoyer war er anspruchslos und
sparsam bis zum Geiz, eigensinnig und skeptisch gegenüber
Menschen und Ereignissen. Vittorio Emanuele hatte Komplexe wegen
seiner kleinen Gestalt (148 Zentimeter) und seinem unangenehmen
Äußeren. Er hielt sich instinktiv sehr zurück und
war unsicher in allen interpersonellen Kontakten.
Mittelmäßig gebildet - wenn auch mehr als Vater und
Grosßvater - hatte er kein Interesse für Kunst und
Kultur. Der kleine König heiratete 1896 Elena von Montenegro,
die in Petersburg unter der Protektion der Zarin Maria Feodorowna
erzogen worden war. In der Umgebung des neuen König
verbreitete sich eine Mischung aus Neugier und Sorge.
Viele Momente großer Entscheidungen - zum Beispiel in den
Zeiten des Ersten Weltkriegess ließ Vittorio Emanuele III.
vorübergehen, ohne dass er offizielle Erklärungen abgab.
Er zog es vor, hinter den Kulissen zu reden und zu handeln. Er
hoffte sogar, dass politischer Streit im Land die Macht der Krone
verstärken könnte.
Die Zeit des großen Durcheinanders in Italien nutzte Benito
Mussolini, um in Mailand 1919 seine "Fasci italiani" zu
gründen. Er mobilisierte alle konservativen Kreise, die sich
vor der Aussicht auf eine bolschewistische Revolution
fürchteten. Mussolini setzte den König mit seinem "Marsch
auf Rom" und mit der Androhung eines Bürgerkrieges
zusätzlich unter Druck. Diese Strategie führte zur halb
revolutionären und halb legalen Machtübernahme Mussolinis
im Oktober 1922. Für den kleinen König ging diese
Herausforderung über seine Kräfte und seine
Fähigkeiten. Er hat sich zwar nie mit Mussolini identifiziert,
aber dessen Politik zwei Jahrzehnte lang legitimiert.
Im Sommer 1942 wurde klar, dass Italien kurz vor dem
Zusammenbruch stand. Nun änderte der König seine Haltung
gegenüber Mussolini. Es ging ihm vor allem um die Erhaltung
seiner Dynastie. Mit einem Staatsstreich verhaftete Vittorio
Emanuele den Diktator Mussolini am 24. Juli 1943 und beauftragte
Pietro Badoglio, aus Militärs und hohen Beamten ein neues
Kabinett zu bilden.
Es folgte in Italien eine Zeit des führungslosen Chaos mit
dramatischer Ungewissheit und Zweideutigkeiten. Der Krieg an der
Seite Deutschlands ging theoretisch weiter. Die Alliierten landeten
an verschiedenen Punkten der süditalienischen Küste. Der
König unterzeichnete einen geheimen Waffenstillstand mit
ihnen. Mussolini, der von den Deutschen befreit worden war, kehrte
1943 von Deutschland nach Italien zurück, wo er in Salò
am Gardasee die "Repubblica Sociale Italiana" gründete und ein
republikanisch-faschistisches Heer aufstellte.
Die Deutschen besetzten Rom und zwangen das Königshaus und
die Regierung zu einer chaotischen Flucht. Diese Flucht zu den
Alliierten, die auch als königlicher Verrat interpretiert
werden könnte, war das dramatische Ende eines viel zu kleinen
Königs, der gezwungen wurde, in einer viel zu großen
Epoche zu herrschen. Es war auch das Ende einer Monarchie, die
Italien gründete und in diesem Moment im Stich ließ.
Vittorio Emanuele III. unterzeichnete am 9. Mai 1946 seine
Abdankung - nach 46-jähriger Herrschaft - zugunsten seines
Sohnes Umberto von Savoyen, Prinz von Piemont, und ging ins Exil
nach Ägypten.
Der neue König Umberto II. war ein Thronerbe, der durch
seine Erziehung nicht auf die Rolle vorbereitet war, die die
Geschichte ihm zugewiesen hatte, zuerst als Statthalter und dann
als König. Grundlos beschuldigte der König in einer
Proklamation den Premier Alcide De Gasperi, "die Macht, die ihm
nicht zusteht, mit einem unilateralen Akt erworben zu haben und den
König in ein Dilemma gebracht zu haben: entweder
Blutvergießen zu provozieren oder Gewaltakte zu dulden". Am
13. Juni, nach 35 Tagen Amtszeit, verließ Umberto II. ganz
plötzlich Rom und flog mit einer Militärmaschine nach
Portugal ins Exil.
In der Zwischenzeit hatte sich die Bevölkerung Italiens in
dem Referendum vom 2. Juni 1946 mit 12,7 Millionen Stimmen für
die Errichtung einer Republik und mit nur 10,7 Millionen für
den Erhalt der Monarchie entschieden. Dieses Ergebnis wurde von den
politischen Kommentatoren als "ein Wunder der Vernunft" definiert.
Aber bei den Anhängern der Monarchie herrschte der Verdacht,
die Ergebnisse des Referendums könnten gefälscht
sein.
Danach entspannte sich die Situation sehr schnell. Seit dem 16.
Juni wurde Umberto II. von den italienischen Medien komplett
ignoriert. Die italienische Republik wurde am 18. Juni 1946
proklamiert. Die neue Verfassung schließt kategorisch aus,
dass in Italien wieder eine Monarchie herrschen kann. Das
Einreiseverbot für die Savoyer wurde kürzlich
aufgehoben.
Der Untergang der Savoyer Dynastie, die in Italien 85 Jahre lang
herrschte, passierte in einer Zeit von vergifteter Atmosphäre,
Gejammer und Zweideutigkeit. Die zwei letzten Savoyer mussten sich
nacheinander ohne Ruhm aus der Geschichte Italiens
verabschieden.
Daraus kann man die Schlussfolgerung ziehen: Vittorio Emanuele
III. hat 46 Jahre lang seine durch Erbschaft erhaltene
königliche Macht oft mit dramati-schen Entscheidungen
ausgeübt und sich schwerer Untaten schuldig gemacht. Ein
Staatspräsident dagegen, der seine Macht durch eine Wahl
erhält, hat nur sieben Jahre Zeit für solches Handeln.
Seit 1946 gab es in der italienischen Republik zehn
Präsidenten aus verschiedenen politischen Richtungen.
Einen guten König zu haben, ist ein Glücksfall. Einen
guten Staatspräsidenten der Republik zu haben, ist jedoch eine
demokratische Entscheidung, die durch Auswahl mehrerer Kandidaten
aus unterschiedlichen Vorschlägen - abgesehen von der
Zugehörigkeit zur politischen Farbe - getroffen wird.
Ursula Kruschel und Claudio Bonvecchio Die Autoren arbeiten als
freie Journalisten in Düsseldorf.
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