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Roger Boyes
Prinz Charles als rot-grüner König
Wie kann die königliche Mission der Zukunft
aussehen?
Die Queen kommt! Allein die Aussicht darauf,
dass eine kleine, ungewöhnlich gekleidete Frau mit einer
riesigen Handtasche und einer größeren Liebe zu Pferden
als zu Menschen, in Kürze nach Berlin kommen wird, hat die
deutsche Hauptstadt auf den Kopf gestellt. Es gibt ein Gerangel um
Einladungen, und junge deutsche Aristokraten suchen per E-Mail bei
der "Times" um Rat: "Wie war das noch gleich, Roger, sagen wir
?Ma'am' zu ihr, wenn wir sie das erste Mal treffen, oder ,Your
Majesty'?"
Über die Queen of England gibt es nichts
wahrhaftig Interessantes. Sie ist nicht ausgesprochen geistreich -
die Witze stammen meist noch von ihrem Ehemann. Ihr Small-Talk
hält sich in engen Grenzen. Selbst ein quiekender Michael
Jackson ist da interessanter. Ihre Talente beschränken sich
aufs Winken und Lächeln. Dennoch umstrahlt sie der Glanz des
Königlichen. Ein Teil davon ist ein bewusster Mystizismus. Bei
ihrer Krönung wurde die Queen mit heiligem Öl gesalbt.
Der während dieser Zeremonie verwendete Löffel wurde zum
ersten Mal 1042 benutzt. Das Öl sollte der Queen, wenn schon
nicht göttliche Macht, so doch zumindest den göttlichen
Segen zur Macht geben: eine Löffelportion Charisma.
Welcher Natur ist dieser primitive Zauber -
und welche Relevanz hat er für moderne Gesellschaften im
Umbruch? Könige und Königinnen sind nicht gänzlich
überflüssig geworden. Es gibt mächtige und
intelligente Monarchen: sowohl König Hassan von Marokko als
auch König Abdullah von Jordanien bewirken mit Vorsicht eine
Liberalisierung ihrer jeweiligen Bevölkerungen und suchen nach
Wegen für eine Entradikalisierung des Islams. Sie sind jedoch
keine konstitutionellen Monarchen. Ihr Aktionsrahmen zur
Herbeiführung von Veränderungen ist an die Tatsache
gebunden, dass sie über eine undemokratische Ordnung
herrschen, ihre Autorität wird von einem undemokratischen
Rechtswesen gefiltert. Früher oder später werden sie eher
Hindernisse des Fortschritts sein als Katalysatoren. Könige
und Königinnen, die nicht durch konstitutionelle
Beschränkungen gehemmt werden, sind potentiell
gefährlich.
Königshöfe neigen dazu, das
Verhältnis der Monarchen zur Außenwelt zu filtern; sie
fungieren häufig als eine diktatorische Gesellschaft. Die
Versuche des Hofes von Prinz Charles, das öffentliche Image
seiner entfremdeten Ehefrau Diana zu zerstören, beinhalteten
einige der giftigen Techniken der kommunistischen Propaganda. Eine
demokratische Gesellschaft kann das gestörte Gleichgewicht
teilweise korrigieren. Doch eine Monarchie ohne konstitutionelle
Beschränkungen wird immer einen Schutzschild vor dem
Machtmissbrauch errichten. Ryszard Kapuscinski hat einprägsam
den Hof um Haile Selassie, Herrscher von Äthiopien,
beschrieben: "Nach einer Entscheidung gefragt, antwortete der
Herrscher nicht gerade heraus, sondern sprach mit einer so leisen
Stimme, die nur einen Minister erreichte, welcher sein Ohr wie ein
Mikrophon vor ihn hielt. [...] Aus dem geheimen Kabbala der Worte
des Monarchen konnte er eine Entscheidung nach seinem eigenen
Wunsch konstruieren."
Konstitutionelle Beschränkungen für
Könige und Königinnen sind von essentieller Wichtigkeit,
doch sie machen die Monarchie letztendlich bedeutungslos. Tony
Blair erklärte sich nur zögerlich einverstanden, eine
Tradition fortzuführen, die eine regelmäßige
Unterweisung mit der Queen an Dienstagabenden vorsieht; die
dänische Königin Margrethe erhält ihren politischen
Bericht mittwochs. Von keiner der beiden Königinnen wird eine
Entscheidung oder ein politischer Ratschlag erwartet. Sie stehen
jedoch an der Spitze eines leistungsorientierten Ameisenhaufens.
Selbst noch so republikanisch denkende Persönlichkeiten zeigen
sich offen gegenüber dem Privileg, mit ?Sir' oder ?Lady'
angesprochen zu werden. Es ist eine preiswerte, effektive Form,
unterbezahlte Staatsdiener oder Wohltätigkeitsmitarbeiter zu
belohnen; das Bundesverdienstkreuz kann nicht mithalten mit einer
Medaille, die von der Queen dem "Commander of the Order of the
British Empire" überreicht wird. Doch selbst diese
großartig aristokratisch klingenden Auszeichnungen sind auf
eine Liste zurückzuführen, die von der Regierung erstellt
wird. Die Queen unterschreibt die Formulare; sie macht nichts
weiter, als ihren Namen tausendmal am Tag zu verleihen.
Doch sieben der 25 Mitgliedsländer der
EU sind Monarchien; die Europäische Kommission und weitere
EU-Institutionen haben ihren Standort im Königreich Belgien
und dem Großherzogtum Luxemburg. Irgendwo, versteckt in diesen
nackten Tatsachen, muss eine kohärente königliche
Mission, eine europäische Mission liegen.
Eine mögliche Antwort darauf ist Juan
Carlos, der Spanien erfolgreich durch die Post-Franco Ära
geführt hat. Als der Kommunismus zusammenbrach, spielten
einige osteuropäische Gesellschaften mit der Idee, die
Monarchie wiederherzustellen: Das Beispiel Juan Carlos schien
Stabilität zu versprechen und die Möglichkeit einer
Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Juan Carlos
war es, der 1978 die demokratische Verfassung unterzeichnete und
der einige Jahre später durch die Niederschlagung eines
Staatsstreichs demonstrierte, dass dies nicht bloß ein rein
protokollarischer Akt war. Der König ist auch der
Oberbefehlshaber des Militärs, und er setzte seine Macht dazu
ein, das Offizierskorps anzuweisen, die Ordnung in Spanien aufrecht
zu erhalten. Er meisterte die Krise, indem er sich per Rundfunk
direkt an die Nation wandte. Und er überlebte
Attentatsversuche. Ein tapferer Mann, der bereit ist, die
demokratische Ordnung zu verteidigen.
Europa kann wählen, schrieb 1927 der
polnische Futurist Alexander Wat voll Ironie, zwischen der
Vernichtung und der Monarchie. Tatsache ist, dass Monarchen nicht
länger ihre Nationen retten können. Alles, was sie hoffen
tun zu können, ist, sich selbst vor der Bedeutungslosigkeit zu
bewahren.
Den interessantesten Versuch, aus der
Talfahrt auszubrechen, hat der frühere König Simeon von
Bulgarien unternommen, der jetzt bulgarischer Premierminister ist.
Simeon bestieg den bulgarischen Thron 1943 im Alter von sechs
Jahren, nach dem Tod seines Vaters Boris III., wurde jedoch 1946
des Landes verwiesen. Einige, wie der Politikwissenschaftler Andrei
Ivanov, glauben, dass Simeon Bulgarien langsam zu einer
konstitutionellen Monarchie führen wird: "Ich glaube, das ist
seine heimliche Agenda." Zurzeit ist Simeon bereit, mit mehreren
Identitäten zu leben. Als er 1946 aus Bulgarien floh, wurde er
Simeon Rilski, als er ins Geschäftsleben eintrat, nahm er den
Namen seines Vaters, Saxe-Coburg, an. Heute hat er einen
bulgarischen Pass, in dem Simeon Saks-Koburggotski steht. Er ist
nicht nur Premierminister, sondern auch der Kopf einer politischen
Bewegung und, wie er es beschreibt, Vorstandsvorsitzender der
Bulgarien AG. Dies scheint der Schlüssel zum Überleben
des Königtums zu sein: Es muss sich selbst wichtig und
verantwortlich machen.
Überall in Europa tun Kronprinzen
dasselbe: mit Politikern reden, zum Nordpol wandern, sie lernen,
per Fernsehen zu kommunizieren. Die meisten verstehen, dass man, um
ein moderner König oder eine Königin zu sein, im voraus
Respekt erheischen und sich selbst der öffentlichen
Anerkennung unterwerfen muss. Natürlich gibt niemand vor sich
selbst zu, bereit zu sein, in Simeons Fußstapfen zu treten.
Aber wenn man die Aktivitäten von Prinz Charles betrachtet,
sieht man eher die Entstehung eines Politikers als eines Monarchen.
Er interessiert sich für Architektur, Landwirtschaft,
Osteuropa, die Finanzwirtschaft und Arbeitslosigkeit. Charles wird
eines Tages der erste rot-grüne König sein. Dies scheint
ein intelligenter Weg nach vorn zu sein. Moderne Monarchen sollten
ein Programm haben, auch wenn sie nicht die direkte Macht haben, es
einzuführen. Während sie das Volk für ihre Ideen
gewinnen, können sie einen Wechsel voranbringen - oder
politische Attacken gegen Traditionen überstehen.
Die meisten Kronprinzen Europas sind aber
nicht so selbstbewusst politisch. Sie begreifen lediglich, dass sie
eine Brücke zur Mittelschicht bauen müssen, verwenden
dabei aber die älteste Methode überhaupt, die der
sozial-technischen Heirat. So wie die Habsburger in ihrem Reich
Frieden durch intelligente (und gewöhnlich lieblose)
Hochzeiten schufen, schaffen die neuen Hoheiten Frieden mit der
Bourgeoisie. Heiraten aus Liebe ist eben doch eine Erfindung der
Mittelschicht. Der Eintritt in die Monarchie war für die
Gescheiten, Gutaussehenden und Ehrgeizigen niemals
leichter.
Die Erfahrung mit Prinz Charles und
Prinzessin Diana zeigt, dass nur wenige Ehen intensive
Überwachung überstehen können. Dennoch muss die
moderne Monarchie einen Pakt mit den Medien eingehen, sie muss sich
selbst der Welt zeigen. Es muss ein frischer Wind durch die
Paläste wehen.
Der erste Schritt in konstitutionellen und
auch in sich erneuernden absolutistischen Monarchien muss eine Art
Selbstbegrenzung sein. Es gibt einfach zu viele Prinzen und
Prinzessinnen, die finanzielle Unterstützung vom Staat
erhalten. Ja, ein Monarch braucht einen Erben, aber er oder sie
braucht keine Horde von Reserve-Sprösslingen. Es gibt zu viele
Prinzessinnen, die ihre Zeit in Ski-Orten oder in Nachtclubs
verbringen. Die Titel sollten allen außer den direkten
Thronerben aberkannt werden: Die anderen müssten verdienen und
sich benehmen wie gewöhnliche Bürger. Das, als ein
Anstoß, würde das Ansehen der Königshäuser
verbessern. Es würde natürlich auch ein Problem für
die Regenbogenpresse schaffen. Man stelle sich vor, Prinz
Ernst-August wäre lediglich Diplom-Landwirt Hannover; wie oft
würde sein exzentrisches Verhalten in der Zeitung dargestellt
werden?
Allein diese Gedanken überzeugen mich,
dass Deutschland eine sinnvolle Staatsverfassung hat: Besser ein
gewählter und machtloser Präsident, der an seiner
Ausstrahlung und seinen Fähigkeiten gemessen wird, als ein
Dutzend unmotivierte und desorientierte Könige. Es lebe der
Bundespräsident!
Roger Boyes ist Korrespondent von "The Times"
in Berlin.
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