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Helena Sabbagh
Kein richtiges Leben ohne die Hadsch
Ein Europäer in der heiligen Stadt Mekka /
Von Helena Sabbagh
"Du hast nicht richtig gelebt, ehe du nicht auf
Hadsch warst." Mit diesem alten Spruch endet ein Reisebericht der
besonderen Art: Ilija Trojanow, bekannt durch zahlreiche
Veröffentlichungen zum Thema Afrika und Indien, bestieg im
Januar 2003 in Bombay eine Maschine nach Dschidda. Wenige Stunden
später betrat er den Boden von Mekka, wo er zusammen mit
hunderttausenden Muslimen die traditionelle Pilgerfahrt - die
Hadsch - aufnahm.
Was er in den folgenden drei Wochen erlebte,
schildert er in diesem Buch. Der Autor sieht sich selbst als
Reisenden zwischen den Welten; er gewährt dem
Außenstehenden einen Einblick in die Welt des muslimischen
Pilgertums, lässt ihn die traditionellen Stationen einer
Hadsch miterleben und Begleiter bei der Ausführung seiner
spirituellen Aufgaben werden.
Sicher wissen auch die meisten Europäer
von der Tradition der Muslime, einmal im Leben nach Mekka zu
pilgern, und wer hat kein Bild von der gewaltigen schwarzen Kaaba
im Kopf und vom Ritus, diese mehrere Male zu umrunden? Wer sich
aber darüber hinaus für die Hadsch interessiert, ist auf
Berichte wie die von Trojanow angewiesen - ist doch der Besuch der
heiligen Stätten des Islams nur den Muslimen
gestattet.
Wer allerdings spirituelle Anleitung
erwartet, liegt bei Trojanow falsch. Explizit distanziert er sich
von jenem Typ Reiseerzähler, "der die Welt um seine Physis und
Psyche kreisen lässt" - ein seiner Ansicht nach neueres,
westliches Phänomen, das wesentlich dazu beigetragen habe, die
Reiseerzählung als literarische Form zu
diskreditieren.
Der Leser findet nur wenige Passagen, in
denen Trojanow seine innere religiöse Welt zum Thema macht.
Dennoch lässt er keinen Zweifel daran aufkommen, dass die
Hadsch eine ebenso faszinierende wie tief bewegende Erfahrung
für den Gläubigen ist. Anschaulich wird vor allem das
intensive Erleben der Umma, der Gemeinschaft der Muslime,
geschildert: Wenn etwa der Millionär und der
Durchschnittsverdiener die einheitliche Pilgertracht tragen und
nebeneinander in Zelten übernachten. Auch der logistische
Kraftakt, den das Gastgeberland Saudi-Arabien alljährlich zu
bewältigen hat, erweckt bei den Pilgern, bei aller Kritik am
verschwenderisch-überheblichen Lebensstil mancher Saudis,
große Anerkennung und Dankbarkeit. Noch im 19. Jahrhundert
waren die heiligen Orte Brutstätten für Seuchen und
Krankheiten. So erfährt man, dass 1865 allein in Ägypten
60.000 Menschen starben, weil sich die geschwächten Pilger in
Mekka angesteckt und die Krankheit in ihre Heimat getragen hatten.
So etwas gibt es heute nicht mehr.
Neben solchen historischen Rückblicken
bietet Trojanow lesenswerte Beschreibungen ritueller Abläufe
und ausführliche Informationen über religiöse
Hintergründe. Dabei scheut er sich nicht, auch die dunklen
Seiten einer Pilgerfahrt zu schildern. Da ist einmal, trotz der
vielen modernen Annehmlichkeiten, immer noch die Gefahr von
Unfällen und Massenpaniken. Über die so genannte
Steinigung des Teufels, ein Ritual, bei dem eine Säule mit
kleinen Steinen beworfen wird, schreibt der Autor etwa: "Ich wusste
nicht mehr, wo mein Körper endete und die Masse begann . . .
wir waren nur noch darauf bedacht, lebendig aus dem Ritual
herauszukommen."
Eingegangen wird auch auf die kleineren
leisen Enttäuschungen, die zu beobachtende Überforderung
der Pilger, spirituellen Idealen zu entsprechen. Das
Positiv-Erhebende einer Hadsch, die - so Trojanow - eine Ahnung von
einem perfekt geordneten und reinen Leben vermitteln kann, wird
durch das Profane des Alltags konterkariert. So sind die heiligen
Städte des Islam nicht nur Orte des Gebets und der
religiösen Stärkung, sondern es wird dort auch
gedrängelt, geflucht und gestohlen.
Ilija Trojanow
Zu den heiligen Quellen des Islam.
Als Pilger nach Mekka und Medina.
Piper Verlag (Malik), München 2004: 172
S., 16,90 Euro
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