Detlev Lücke
EU-Beitritt der Türkei umstritten
Heftige Debatte im Bundestag zwischen Koalition
und Opposition
Die Fronten um eine Mitgliedschaft der Türkei in der
Europäischen Union bleiben verhärtet. Während in der
Bundestagsdebatte vom
28. Oktober die Bundesregierung wie die Fraktionen von SPD und
Grünen ein EU-Votum zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
mit Ankara unterstützten, lehnten Abgeordnete von CDU und CSU
eine Vollmitgliedschaft der Türkei entschieden ab. Sie
empfahlen statt dessen eine "priviligierte Partnerschaft" der EU
mit dem NATO-Partner am Bosporus. Die Staats- und Regierungschef
der Europäischen Union werden am 17. Dezember diesen Jahres
über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei entscheiden.
Wolfgang Schäuble, stellvertretender
CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender, verwies darauf, dass sich die
europäische Einigung in einer schwierigen Phase befinde. Sie
sei aber auf die Zustimmung der Bevölkerung angewiesen. "Sie
machen einen schweren Fehler, wenn Sie die Erweiterung gegen die
Vertiefung der EU austauschen." Für Länder wie die
Türkei oder Russland, die nur zum Teil zum europäischen
Kontinent gehörten, müssten andere Formen der
Partnerschaft gefunden werden.
Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die
Grünen) hielt dem entgegen, dass es "keinen Automatismus" in
Richtung türkischer EU-Mitgliedschaft geben werde. Die
Beitrittsperspektive schaffe aber einen "permanenten Druck" zur
Transformation des Landes in Richtung EU. Fischer warf der Union
einen Kurswechsel in der Türkeifrage vor. Unter der Regierung
Kohl sei der EU-Beitritt des Landes nicht in Zweifel gezogen
worden. Ein Nein zur Türkei sei "extrem kurzsichtig und gegen
die Sicherheitsinteressen unseres Landes und Europas
gerichtet".
Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler
unterstützte nachdrücklich den Kurs von Bundeskanzler
Gerhard Schröder, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
aufzunehmen. Nötig sei es dabei, den laufenden
Demokratisierungsprozess in der Türkei unumkehrbar zu machen.
Ein EU-Beitritt könne zudem den Beweis erbringen, dass Islam
und westliche Werte durchaus vereinbar seien.
Die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Claudia Roth
bezeichnete das Unionsangebot der priviligierten Partnerschaft als
"eine Hülse". "Sie ist Stillstand und sie ist Festschreibung
des Status Quo." Sie attackierte die Haltung der CDU/CSU scharf,
die 40 Jahre lang der Türkei einen Weg in die EU versprochen
habe. Roth wie auch Fischer hatten ausführlich aus einer
früheren Erklärung des stellvertretenden
Unionsfraktionsvorsitzenden Michael Glos zitiert, die auf eine
EU-Mitgliedschaft der Türkei abzielte.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle forderte ergebnisoffene
Verhandlungen mit der Türkei. Er kritisierte, dass sich die
Bundesregierung positiv und die Unionsparteien negativ
vorfestgelegt hätten. Es gehe schließlich um eine
Entscheidung über Beitrittsverhandlungen und nicht über
einen Beitritt. Niemand sei heute in der Lage, seriös
vorauszusagen, wie die Türkei in 15 Jahren aussehen werde oder
die Europäische Union. Gerd Müller (CDU/CSU) betonte,
dass ein EU-Beitritt des Landes sowohl die Türkei wie auch
Europa überfordern würde. Er hob hervor, dass auch
prominente Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt und Egon Bahr dem
Projekt skeptisch bis ablehnend gegenüberstünden.
Angelica Schwall-Düren (SPD) warnte davor, die Risiken eines
Beitritts überzubetonen und die Chancen zu vergessen. Die
Haltung der CDU/CSU sei "widersprüchlich, populistisch,
unverantwortlich." Die fraktionslose Abgeordnete Petra Pau
konstatierte erleichtert, dass die Union wenigstens die
Unterschriftenaktion gegen den EU-Beitritt der Türkei
fallengelassen habe. Peter Hintze (CDU/CSU-Fraktion) machte darauf
aufmerksam, dass zum ersten Mal ein Staat EU-Mitglied werden wolle,
der mit seinen Truppen einen Teil eines anderen EU-Staates (Zypern)
besetzt halte.
Zurück zur
Übersicht
|