|
|
Ute Grundmann
Als neben dem Fachwissen an Universitäten
plötzlich auch Linientreue gefragt war
Ein exemplarisches Kapitel Leipziger
Hochschulgeschichte
"Wir müssen eine Fakultät haben, an
der wir promovieren können." So beschrieb der
Staatssekretär Gerhard Harig 1947 den Grund für die
Einrichtung einer "Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät"
an der Universität Leipzig. "Wir", das waren SED-Mitglieder
und -Kader, die auch ohne wissenschaftliche Voraussetzung
akademische Würden erlangen sollten.
Viel wichtiger aber war die Fakultät als
Vorreiter und Experimentierfeld für eine "sozialistische
Hochschule", so der Historiker Markus Wustmann. Für diese
Magisterarbeit hat er noch ungedruckte Quellen des
Universitätsarchivs ausgewertet und für das Buch um Akten
aus dem Hauptstaatsarchiv ergänzt. Entstanden ist ein
detailreiches Bild des Anfangs an der Leipziger
Karl-Marx-Universität, wie sie bis 1991 hieß, aber auch
ein interessantes Zeitdokument.
Der Befehl 333 der sowjetischen
Militäradministration (SMAD) war 1946 der Anlass für die
Gründung solcher Fakultäten in Leipzig, Jena und Rostock
zur Ausbildung qualifizierter Kader. In Leipzig gab dabei das
innerhalb dieser Fakultät beheimatete Franz-Mehring-Institut,
so Wustmann, die spätere Richtung schon vor, nämlich
unter dem Titel "Erforschung des wissenschaftlichen Sozialismus"
die jeweilige Marxismus-Interpretation der SED-Führung
weiterzugeben.
Und so waren auch weniger individuelle,
freigewählte Studien vorgesehen, sondern Arbeit in
Seminargruppenverbänden und Nacharbeit des Gelehrten unter
Parteikriterien. Wustmann schildert, wie durch politische anstelle
fachlicher Entscheidungen bei der Zulassung der Studenten und durch
das Lancieren von zumindest parteinahen Lehrkräften das
Studium in die gewollte Richtung gelenkt wurde.
Lehrpläne und Personalverzeichnisse
waren dem SMAD vorzulegen; das Gros der Lehrstühle war von
"Doppelstaatsbürgern von Partei und Fach" besetzt, so der
Autor. Der Begriff meint Dozenten, bei denen die
politisch-moralische Reputation mindestens so wichtig war wie ihre
wissenschaftliche Ausbildung. Dies diente nicht nur der Vermittlung
der "rechten Lehre"; man hoffte auch, die neue Ideologie werde auf
die "normalen" Studenten und Lehrkräfte übergehen.
Gleichwohl musste man auch auf alte Professoren zurückgreifen,
weil die "fortschrittliche Intelligenz" noch in Ausbildung
war.
Beim Thema "Lehrbeauftragte" allerdings
bleibt Wustmanns Buch unklar und widersprüchlich, wie weit
politische oder fachliche Gründe für eine Berufung
wesentlich waren. Manchmal ist das Buch etwas zu kleinteilig
geraten, etwa wenn er für die Nachkriegszeit schildert, wer wo
welche Möbel organisierte oder wann welchen Mietvertrag
unterschrieb. Doch im Ganzen sind die Geschichte und ihre
Hintergründe schlüssig und nachvollziehbar dargestellt;
ohne Häme oder Herablassung werden auch manche
Nachwende-Darstellungen korrigiert.
So wurde aus einem Lehrplan von 1947, der
noch von bürgerlichen Gelehrten wie dem Rektor Hans-Georg
Gadamer und prononcierten Marxisten geprägt war, eine
Fakultät, für die dann linientreue Studenten zentral
ausgewählt wurden. Studienpläne und
Prüfungsordnungen für die vier Studienrichtungen
Wirtschafts-, Sozial-, Außen- und Kulturpolitik wurden gelenkt
und die Absolventen mit dem Mittel der "Berufslenkung" auf die
vorgesehenen Arbeitsplätze geleitet. Mit der zweiten
Hochschulreform von 1951 wurde die "Gesellschaftswissenschaftliche
Fakultät" dann überflüssig, weil das Studium in der
DDR nach deren Vorbild umgestaltet wurde.
Schade nur, dass Wustmann seiner
differenzierten Darstellung ein Fazit mitgibt, das von Schlagworten
nur so wimmelt.
Markus Wustmann
Die Gesellschaftswissenschaftliche
Fakultät in Leipzig 1947 - 1951.
Experimentierfeld kommunistischer
Hochschulpolitik in SBZ und früher DDR.
Beiträge zur Leipziger
Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Band 4.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004; 181S., 19.80
Euro
Zurück zur Übersicht
|