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Robert Luchs
Waghalsiger Tanz auf dem Vulkan
Als Passfälscher dem NS-Regime
entkommen
Selten gelingt es, eine Epoche anhand eines Einzelschicksals
darzustellen. Denn in vielen Romanen drängt das Erleben und
Erleiden des Protagonisten alles andere an den Rand, werden
zeitgeschichtliche Zusammenhänge gestreift, aber nicht
ausgeleuchtet. Die wechselvolle Zeitspanne zwischen Juni 1942 und
Oktober 1943, in der Cioma Schön-haus, Sohn russischer
Emigranten, als Jude in Berlin überlebt, ist der
Höhepunkt der Judenverfolgung, die mit dem Holocaust endet. In
jeder Passage seines Buches schildert Schönhaus einen an
Spannung kaum zu überbietenden Überlebenskampf und damit
zugleich die sadistischen Mechanismen eines auf totale Vernichtung
ausgerichteten Regimes.
Als Hitler schon an der Macht war, kamen immer noch Juden nach
Berlin, um sich hier, in der ver-meintlichen Anonymität der
Großstadt, besser vor antisemitischen Diskrimierungen
schützen zu können. Sie gaben sich der Illusion hin,
jüdische Organisationen in Berlin böten ihnen Schutz vor
Verfolgung und Entrechtung. Als sie den brutalen Druck der Nazis
nicht mehr aushielten, hetzten sie von einem Unterschlupf zum
nächsten. Viele Versteckte liefen tagsüber ziellos durch
die Straßen der Großstadt, hielten sich in Parks und auf
Friedhöfen auf oder mischten sich mit der Angst als
ständigem Begleiter unter die Passanten.
Zu ihnen gehörte Cioma Schönhaus, dessen Eltern im
Juni 1942 nach Majdanek transportiert und kurz darauf ermordet
wurden. Dass der 20-jährige Jude am Leben blieb, hat er seiner
Ausbildung als Grafiker zu verdanken und dem Glück, sehr
früh von Helfern aufgenommen zu werden, die Juden unter
Einsatz ihres Lebens retteten. Oft handelte es sich um Mitglieder
oder Sympathisanten der Bekennenden Kirche, die den politischen
Widerstand unterstützten.
Als Schönhaus einen Entlassungsschein der Wehrmacht
fälscht, beginnt seine unglaubliche "Karriere" als
Passfälscher im Untergrund, die ihm und Hunderten von
Verfolgten das Leben rettet. Er macht sich eine nicht nur deutsche
Eigenschaft zunutze: Nur wer einen Ausweis besitzt, gilt letztlich
als vollwertig. Das galt unter dem NS-Regime noch mehr als in
normalen Zeiten. Schönhaus fälscht, was immer ihm unter
die Hände kommt, und verdient damit seinen Lebensunterhalt:
Post- und Werksausweise, Lebensmittelkarten, arische Kennkarten,
Haushalts- und Bezugsaussweise, Führerscheine.
Schönhaus tanzt auf einem Vulkan. Er besitzt die Chuzpe,
sich eine Segeljacht auf dem Wannsee zu kaufen, während
täglich mehr Juden in Vernichtungslager gebracht werden.
Mehrmals entgeht er den Häschern nur um Haaresbreite. Er
wechselt seine Identitäten, immer am Rande der Deportation,
und verfeinert zugleich seine lebensrettende Technik. Das Leben
zwischen Hochstapelei und Fälschung endet jäh, als er
seine Brieftasche mit seinen und anderen gefälschten Papieren
verliert. Da ihm der Verlust zum Verhängnis zu werden droht -
die Gestapo sucht ihn steckbrieflich -, flieht er mit selbst
gefälschten Reisedokumenten per Fahrrad in die Schweiz.
Auch heikelste Situationen beschreibt er selbstironisch,
distanziert und aus der Sicht eines lebenslustigen
20-Jährigen, wobei die Leidensgeschichte seines Volkes zu
keiner Zeit vergessen wird. Die meisten seiner Helfer
überlebten die dramatischen Jahre nicht; das Nazi-Regime
rächte sich auch dann noch, als sein Zusammenbruch
bevorstand.
Cioma Schönhaus
Der Passfälscher.
Scherz-Verlag, Frankfurt/M. 2004;
235 S., 17,90 Euro
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