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Berndt-Jürgen Wendt
Einsichten eines überzeugten
Wilhelminers
Ein düsteres Panorama des Deutschen
Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg
Mag auch der Vizeadmiral Albert Hopman als
Offizier aus der "zweiten Reihe" nur wenigen Fachleuten bekannt
sein, so verspricht doch eine intensivere Beschäftigung mit
dem Werdegang, dem Weltbild und der Mentalität dieses
typischen Repräsentanten des Wilhelminischen Deutschland auch
für den historisch interessierten Laien in mehrfacher Hinsicht
Gewinn; dies um so mehr, als Michael Epkenhans, anerkannter Experte
der Flottenpolitik im Kaiserreich, hier eine vorbildlich
eingeleitete und kommentierte Edition der Selbstzeugnisse,
angereichert durch eine Fülle zusätzlicher Quellen und
Informationen, vorlegt.
Hopmans Karriere als Marineoffizier erscheint
als anschaulicher und facettenreicher Spiegel des Aufstiegs, der
Höhepunkte und des letztlichen Scheiterns finanziell und
militärisch überspannter deutscher See- und
Weltmachtambitionen im Ersten Weltkrieg. Seine Selbstzeugnisse
vermitteln intime, authentische und nicht selten erschreckende
Einblicke in das unvorstellbare "polykratische Chaos" (Wehler) an
der Spitze des Reiches, - Einblicke in das auch schon vor Hopman
bekannte allgemeine Bild von "Zerfahrenheit, Personen- und
Parteiinteresse" und in die sprunghaften, oberflächlichen,
dilettantischen und krankhaft eitlen Aktivitäten eines
Monarchen, dem schon seine Zeitgenossen pathologische Züge,
einen an Wahnsinn grenzenden Mangel an Vernunft und eine
völlige Überforderung in seinem hohen Amt als
Reichsoberhaupt und "Allerhöchster Kriegsherr" attestiert
haben.
Hopmans vielfältigen Verwendungen, unter
ihnen vor allem 1911-1915 als Chef der Zentralabteilung im
Reichsmarineamt, der institutionellen Schaltzentrale der Marine-
und in insofern zeitweilig auch der Weltpolitik, unter Tirpitz dann
mit der Abkommandierung ins kaiserliche Große Hauptquartier
1914/15, boten ihm Gelegenheit , mit seinem Reflexionsvermögen
und seiner kritischen Intelligenz zentrale Persönlichkeiten
und Themenfelder der wilhelminischen Innen-, Außen- und
Militärpolitik, der Seerüstung und -strategie aus
nächster Nähe zu verfolgen.
Sarkastisch und oft zynisch kommentierte er -
in der Regel aus der Sicht seines bis zuletzt verehrten "Meisters"
und Mentors, des Großadmirals Tirpitz - die scharfen
Auseinandersetzungen um eine östliche (Tirpitz) oder westliche
Bündnisorientierung (Bethmann Hollweg), den politische Kampf
um Flottennovelle und Heeresvermehrung 1912/13, das Desaster der
Tirpitzschen Hochseeflotte und damit der gesamten kaiserlichen
Flottenpolitik, die eklatanten Schwächen des
"persönlichen Regiments" Wilhelms II.,
Staatsstreichspläne zur Ausschaltung des Monarchen bis hinauf
zum Kronprinzen, die gezielte politische Demontierung des
Reichskanzlers Bethmann Hollweg 1917, des "Kautschuk-Mannes" und
des "größten nationalen Unglücks" (Hopman), das
erbitterte Ringen um den uneingeschränkten U-Boot-Krieg
1916/17 und die haarsträubende militärische
Unterschätzung der USA, schließlich die von Hopman
grundsätzlich, wenn auch recht vage zur Abwendung der
Revolution begrüßten Demokratisierungs- und
Parlamentarisierungstendenzen im Kriege und vieles anderes
mehr.
Für einen radikalen Umbau
Hopmans gründliche und weit voraus
schauende Denkschrift "Über die Weiterentwicklung der Marine"
vom 7. Juli 1916, angefordert vom Staatssekretär des
Reichsmarineamtes, Admiral von Capelle, liest sich wie ein
endgültiger Abgesang auf Tirpitz' Schlachtflotte und den
damals so populären "Mahanismus" als eine seiner wichtigsten
Inspirationsquellen. Hopman forderte neben merklich reduzierten
Großkampfschiffen die künftige Schwerpunktverlagerung der
maritimen Rüstung auf bewegliche und schnelle kleinere
Einheiten mit Seeausdauer , also auf Kleine Kreuzer, U-Boote und
Hilfskreuzer sowie auf Minen, Luftschiffe und Flugzeuge als
Instrumente eines wirkungsvollen Wirtschaftskrieges gegen
Großbritannien. Unter dem Eindruck der Skagerrakschlacht waren
solche Gedanken nicht besonders populär.
Hopmann war zweifellos seiner Weltanschauung,
seiner Ausbildung und seiner Mentalität nach bei aller
kritischen Distanz, die während des Krieges deutlich zunahm,
ein überzeugter und typischer "Wilhelminer". 1865 geboren,
teilte er mit seiner Generation der "Nach-Bismarckianer" wie Max
Weber und als "Übergangsmensch" (Martin Doerry) ins 20.
Jahrhundert den Willen zur Weltmacht und die Visionen eines
"Platzes an der Sonne". Er glaubte an die nationale Sendung des
Reiches und an seine Berufung , dereinst England auf den Weltmeeren
abzulösen. Er war stolz, dem "ersten Stand" als Marineoffizier
anzugehören, und war von der technischen Moderne
fasziniert.
Dies alles hielt ihn aber nicht vom
selbständigen Denken und von bisweilen schneidender Kritik am
Byzantinismus des kaiserlichen Hofes und an der allgemeinen Ziel-
und Planlosigkeit an der Reichsspitze ab. So war es kein Zufall,
dass auch seine Karriere mit dem erzwungenen Rücktritt von
Tirpitz 1916 zu seinem großen Schmerz einen deutlichen Knick
bekam. Mutige Nonkonformisten wie er waren im kaiserlichen
Deutschland unter Speichelleckern und hemmungslosen Karrieristen
nicht mehr gefragt.
Epkenhans kann man nur
beglückwünschen zu seinem gelungenen und künftig
unverzichtbaren "Baustein für weitere Forschungen zur
Politik-, Marine- und Mentalitätsgeschichte des
Kaiserreichs".
Michael Epkenhans (Hrsg.)
Das ereignisreiche Leben eines
"Wilhelminers". Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen 1901 bis
1920 von Albert Hopman.
R.Oldenbourg Verlag, München
2004;
1231 S., 49,80 Euro
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