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Claudia Heine
Schwach sein ist nicht erlaubt
Männer lassen sich nicht helfen
Die Frauen und das Nudelholz: Ein gern bemühtes Klischee,
um ein "verkehrtes" Täter-Opfer-Bild zu beschreiben,
allerdings in einer Lächerlichkeit, die es nicht akzeptiert.
Frauen, die ihre Männer schlagen, gibt es. Alle wissen es,
aber kaum jemand spricht darüber. Beim Thema häusliche
Gewalt wird die Schablone der Betrachtung meist andersherum
angelegt. Statistiken bestätigten bisher überdeutlich ein
Bild, das Frauen und Kinder als die hauptsächlichen Opfer
familiärer Gewalt darstellt. Dass sich eine erhebliche Anzahl
Männer in dieser Rolle wiederfindet, rückt erst nach und
nach ins öffentliche Bewusstsein, erschwert durch die
Tatsache, dass Gewalt letztlich Männersache ist. Auch
Schweigen ist Männersache und deshalb von gleicher Bedeutung
für eine öffentliche Wahrnehmung, die sie nicht als Opfer
registriert. Sie können es nicht "zugeben".
Frauen sind schließlich jene, die die Opferrolle zu spielen
haben. Frauen dürfen schwach sein. Das heißt auch: Sie
dürfen krank sein. Mit Knochenbrüchen haben freilich auch
Männer keine Probleme. Die fangen erst an, wenn es um
seelische Nöte und Zwänge geht. Bisher galten Frauen als
diejenigen, die zum Beispiel in weitaus größerer Zahl
unter Depressionen leiden als Männer. Doch stimmt das? Seit
einigen Jahren bemühen sich Psychologen und
Sozialwissenschaftler, dieses schiefe Bild gerade zu rücken,
das letztlich auch wieder auf eins zurückzuführen ist:
Schweigen und verdrängen. Wo sich Frauen Hilfe von außen
suchen, vergrößern Männer ihr Leiden nur und
produzieren schließlich eine Wirkung, die zugleich ihre
Ursache ist, nämlich Gewalt gegen sich selbst: indem sie sich
einem Männlichkeitsbild unterwerfen, das Stärke,
Leistungsorientierung, Macht und Härte verlangt, nicht zuletzt
gegen sich selbst: Je weniger Schlaf ich benötige, je mehr
Schwerzen ich ertrage, je mehr Alkohol ich vertrage, je weniger ich
auf meinen Körper achte, je mehr mehr ich meine Gefühle
unterdrücke, desto männlicher bin ich, lautet immer noch
Devise. Daran hat auch der "Neue Mann" nichts geändert.
Männliche Gewalt gegen sich sich selbst fängt nicht
beim Selbstmord an, vielmehr hört sie dort auf. Die These von
der Depression als Frauensache lässt sich durch nackte Zahlen
widerlegen: Drei Viertel aller Selbstmörder, 80 Prozent aller
Suchtkranken, zwei Drittel aller Notfallpatienten, über 90
Prozent aller Häftlinge in Strafanstalten sind Männer.
Gewalt gegen andere hat etwas mit Gewalt gegen sich selbst zu tun,
Sie wird als Kompensation benutzt.
Während Frauen ihren seelischen Schmerz eher auf sich
beziehen, reagieren die meisten depressiven Männer anders: Sie
suchen den Fehler nicht bei sich und kompensieren ihn. Auch wenn
niedergeschlagene Stimmung, Antriebslosigkeit oder
Schlafstörungen bei beiden Geschlechtern gleich häufig
auftreten, unterscheiden sie sich doch erheblich in ihren
Reaktionen. Frauen sind, indem sie sich Hilfe von außen holen,
besser in der Lage, mit ihrer Situation umzugehen. Das fällt
Männern sehr viel schwerer. Sie neigen weit häufiger zu
aggressivem und unsozialem Verhalten: Zorn, Schuldzuweisungen,
Feindseligkeit und Alkoholsucht gelten als klassische Symptome
einer Depression bei Männern. Zu den Masken, mit denen sie
ihre Depression verbergen, gehören ein erhöhtes
Risikoverhalten, zum Beispiel im Straßenverkehr, der Hang zu
Ex-tremsportarten, die Flucht in Arbeit. Sie kompensieren und
verdrängen, anstatt sich helfen zu lassen: ein soziales
Stigma, das psychische Erkrankungen als Schwäche auslegt,
macht es den Männern schwer, denn dazu werden die Jungen auch
heute noch nicht erzogen.
"Jungen weinen nicht!" - leider hat dieser Satz seine
Gültigkeit noch nicht verloren. Walter Hollstein, einer der
bekanntesten Männerforscher der Bundesrepublik, bezeichnete
die Erziehung zur Männlichkeit in einem Interview gar als
"wirklich furchtbare Dressur", innerhalb derer die Männer
gezwungen sind, ihre weiblichen Anteile zu verleugnen. "Sie ist
Einpassung in ein Leben, das in wesentlichen Bereichen einseitig
ist, bedürfnisfern, möglichst rational durchorganisiert",
schreibt er über die männliche Sozialisation.
Hilfe anzunehmen bedeutet anzuerkennen, sich selbst nicht mehr
helfen können. Im traditionellen Männerbild existiert
diese Option nicht. Zum einen, weil Zeichen von Schwäche
danach etwas weibliches sind, von denen sich ein Mann schon deshalb
abzugrenzen hat - auch Krankheit wird als Schwäche
diskrimiert. Viele Männer haben das Gefühl, sich durch
ärztliche Behandlung in eine Abhängigkeit zu begeben.
(Sind sie erst einmal im Krankenhaus, bleiben sie dort länger
als Frauen.) Hilfe für den eigenen psychischen Stress
anzunehmen heißt aber auch, sich darauf einzulassen,
differenziert über Gefühle zu reden. Jungen werden jedoch
dazu erzogen, sie zu verdrängen. Das Selbstverständnis
dieses Männerbildes darauf beruht, stets alles unter Kontrolle
zu haben und erfolgreich zu sein. Männer stehen unter
permanentem Leistungsdruck, dieser Rolle gerecht zu werden. Oft
jedoch, schreibt der Soziologe und Männerfoscher Peter
Döge, "kollidieren die Bilder vom Mächtigen Mann mit
subjetiven Machtlosigkeitserfahrungen im Alltag - die
Männerforschung spricht hier von fragiler Männlichkeit.
Fragile Männlichkeit wird als eine zentrale Ursache von Gewalt
von Männern gegen Frauen, aber auch von Gewalt gegen andere
Männer und von Gewalt von Männern gegen sich selbst
gesehen."
Letztendlich, so Hollstein, sei Männlichkeit "eine
hochriskante Lebensform", die "mit ihrem spezifischen
Verhaltenskodex eine qualitativ eingeschränkte und quantitativ
verkürzte Lebenserwartung" bedingt. Männer ignorieren oft
erste Symptome einer Erkrankung. Ärztliche Vorsorgeangebote
nutzen sie kaum. Ihre Lebenserwartung ist um sieben bis acht Jahre
geringer als die der Frauen. Statt dessen ist es immer noch
möglich, sich mit einem 18-Stunden-Arbeitstag zu brüsten,
als Beweis eigener Stärke. Von außen wird das auch
anerkannt, der Verzicht darauf höchstens von der eigenen
Familie honoriert.
Claudia Heine ist freie Journalistin in Berlin
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