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Jörg Fichtner
Betten sind nicht allein zum Schlafen da
Sexualität als Spiegel der Rollenverteilung
in der Gesellschaft
Die Zeiten, in denen selbst sexuelles Verhalten auf politische
Theorie bezogen wurde, resümierte neulich Klaus Theweleit,
seien längst passe. Ausgerechnet Theweleit, dessen Studie zu
"Männerphantasien" einst vorbildhaft für den Bezug
zwischen Sexualität und Politik war und dadurch den Diskurs
der bundesdeutschen Kritischen Männerforschung zu einer Zeit
prägte, als ein solcher noch gar nicht existierte.
Ungefähr damals, Mitte der 1980er-Jahre, hatte auch die
Frauenzeitschrift "Brigitte" eine empirische Bestandsaufnahme zum
Mannsein in der bundesdeutschen Gesellschaft unter dem knappen,
aber anspruchsvollen Titel "Der Mann" veröffentlicht. Zu
dieser frühen Typologie von "Männlichkeiten" gehörte
auch ein viel beachtetes Kapitel über den
Verhütungsmittelgebrauch von Männern.
Der Gedanke, Geschlechterverhältnisse würden durch so
Privates wie sexuelle Fantasien oder gar kontrazeptive Praxis
konstituiert werden, mag heute tatsächlich verstaubt anmuten.
Selbst wenn mal eine der seltenen Debatten um "Erotik im
Geschlechterverhältnis" organisiert wird, wie im letzten Jahr
durch die Heinrich-Böll-Stiftung, beschäftigen sich deren
Beiträge auffallend wenig damit, wie denn diese
Verhältnisse durch die Erotik geprägt werden. Dass
Sexualität oder gar Empfängnisverhütung kaum mehr
als relevanter Aspekt des Geschlechterverhältnisses gesehen
werden, dürfte mehreren Entwicklungen geschuldet sein: Zum
einen war während der "Brigitte"-Studie durchaus noch die
Diskussion um die "symbolische Logik" der Pille oder auch die
PorNo-Debatte virulent, die maßgebliche Aspekte einer
feministischen Gesellschaftskritik jener Zeit darstellten. Die
damals auszumachende "Pillenmüdigkeit" ist - so zeigen
zeitgemäßere Studien zum Verhütungsverhalten -
längst Geschichte. Orale Verhütung behält aber einen
erheblichen Geschlechterbias: Die einst vieldiskutierte Pille
für den Mann schafft es kaum mehr in Forschungsanträge
oder Feuilletonbeiträge, und auch in die Nachtischschubladen
von Männern wohl noch lange nicht. Dass sie in der von Robert
Jütte vorgelegten "Geschichte der Verhütung" zur
kontrazeptiven Zukunft avanciert, verwundert etwas. Dass der
Medizinhistoriker schließlich doch einige Umsetzungsbarrieren
aufgrund festgefahrener Geschlechterrollen befürchtet, schon
weniger.
Zum anderen hat der Bedeutungsverlust des Sexuellen für die
Geschlechterdebatte womöglich auch mit deren Verlagerung zu
tun: In den vergangenen Jahren gelang mit der Einführung der
Strategie des Gender Mainstreaming - mit ihrem Exkurs zum
Gender-Budgeting - der entscheidende Schritt, die soziale
Ungleichheit zwischen den Geschlechtern als politisches und
ökonomisches Problem zu sehen und sie nicht weiter allein den
Paaren und ihrer privaten Aushandlungsfähigkeit zuzumuten. Der
generalistische Anspruch dieser Strategie, die Gleichstellung der
Geschlechter auf allen Ebenen, auf allen Stufen und in allen
Bereichen voranzutreiben, könnte aber auch dazu verleiten,
nicht mehr zu sehen, was politische Strategie nicht sehen kann:
Dass konkrete Geschlechterbeziehungen eben nicht nur in der
Sphäre des Öffentlichen, sondern ebenso im Bereich der
Intimität konstituiert werden.
Dass sich Gleichstellungspolitik nicht um diesen Aspekt
kümmert, ist nur zu begrüßen. Dass sich auch
Geschlechterforschung kaum mit diesem Aspekt beschäftigt,
schon weniger. Gerade bei den Stammtheoretikern der
Männerforschung finden sich zahlreiche Hinweise, wie
wesentlich das Intimste für Geschlechterpolitik ist: Die
Praxis der Sexualität und damit auch die der Verhütung
(re-)produziert wie kaum eine andere Verhältnisse zwischen den
Geschlechtern. Es ist evident, dass hier nicht minder als in
Verwaltungshandeln und öffentlicher Rede ein "Doing Gender"
stattfindet. Nicht von ungefähr insistierte Pierre Bourdieu
bei seiner Beschreibung männlicher Herrschaft darauf, dass
"Sexualität eine zu bedeutende Angelegenheit ist, um den
Zufällen individueller Improvisa-tion überlassen zu
werden". Gerade sie ist sozial bestimmt durch und gleichzeitig
sozial bestimmend für das Geschlechterverhältnis.
In seinen ethnologischen Studien arbeitete Bourdieu heraus, wie
die Positionen, die Männer und Frauen gesellschaftlich
einnehmen, nicht nur auf Markt, Hof und Haus, sondern
prägnanter noch im Bett und bei Fragen der biologischen
Reproduktion entschieden werden. Weil hier so vieles scheinbar in
der Natur der Sache liegt, setzt sich umso unangreifbarer die
männliche "Sicht der Teilung der geschlechtlichen Arbeit und
der geschlechtlichen Arbeitsteilung" durch.
Auf diesen Zusammenhang der Geschlechterposi-tionen in Bett,
Büro und Bundestag macht auch der australische
Männerforscher Robert W. Connell aufmerksam. Wenn er
gesellschaftliche Machtverhältnisse untersucht, behält er
immer alle drei Strukturen im Auge, innerhalb derer sie produziert
und aufrechterhalten werden: Institutionelle Macht, Arbeitsteilung
und die Struktur libidinöser Besetzung. Die Verhältnisse
in den dreien denkt er strikt synchron: "Sexualität bezieht
den Körper mit ein, ist aber selbst soziale Praxis und
gestaltet die soziale Welt. Es gibt keine logische Kluft zwischen
Sexualität und Lebenswelt in Organisationen."
Wie sehr gerade beim Thema Empfängnisverhütung
geschlechtliche Arbeitsteilung und libidinöse Besetzung in
eins fallen können, zeigt eine nun knapp zehn Jahre alte
Untersuchung zur Passung der Beziehungsvorstellungen von
Männern und Verhütung: Hier ließen sich deutliche
Zusammenhänge zwischen Konzepten von Partnerschaft auf der
einen und Praxis der Kontrazeption auf der anderen Seite
nachweisen. So präferierten etwa Männer, die in ihrer
Paarbeziehungen traditionelle Aufgabenteilung mit dem Mann als
alleinigem Ernährer befürworten, Verhütung durch die
Frau, insbesondere per Pille oder Spirale. Männer, die in
ihrer Partnerschaft an Veränderung von Geschlechterrollen und
stärkerer Geschlechtergerechtigkeit interessiert waren,
zeigten dies auch in ihrer Beteilung an
Empfängnisverhütung. Insbesondere die
kommunikationsintensiven, natürlichen Verhütungsmethoden
fanden dort Interesse. Die Ergebnisse illustrierten, dass es
zwischen Sexualität und gesellschaftlicher Aufgabenteilung in
der Tat breite Übergänge gibt.
Auch aktuellere Studienergebnisse der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung lassen vermuten, dass die Frage der
Verhütungsbeteiligung zumindest privat Diskussionsthema
zwischen den Geschlechtern bleibt: Es zeigen sich erhebliche
Differenzen zwischen den Einschätzungen von Frauen und
Männern, wer von beiden für diese Aufgabe zuständig
ist. In den Ergebnissen wird außerdem deutlich, dass das
grundsätzlich von Männern geäußerte Interesse
an gemeinsamer Verhütungsverantwortung immer weniger
Entsprechung in der empirischen Realität findet. Ein Omen auch
für die Glaubwürdigkeit öffentlicher
Gleichstellungsrhetorik?
Vor wenigen Monaten wurden die Ergebnisse der Studie
"Männerleben" präsentiert. Vermutlich wird sich das
öffentliche Interesse vor allem auf deren Resultate zur
Familienplanung von Männern richten. Es ist unwahrscheinlich,
dass die ebenfalls erhobenen Daten zum konkreten
Verhütungsverhalten eine ähnliche Aufmerksamkeit erzielen
werden. Schade, denn auf Geschlechtertheorie bezogen könnten
sie uns einiges darüber sagen, welche gesellschaftlichen
Männerbilder sich in den konkreten sexuellen Praktiken
widerspiegeln. Und vielleicht plastischere Bilder von
Geschlechterverhältnissen liefern als manches politisches
Programm.
Dr. Jörg Fichtner ist Psychologe und arbeitet als Autor und
Trainer in München.
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