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Ariane Schorn
Das Ende der Kindheit oder Vater werden ist doch
schwer
Was passiert mit Männern nach der
Schwangerschaft?
Der Umstand, dass das Vaterwerden lange
vergleichsweise wenig Beachtung fand, scheint kein Zufall zu sein.
In ihm spiegelt sich eine auch heute noch verbreitete Sichtweise,
die in einem zum geflügelten Wort gewordenen Reim von Wilhelm
Busch prägnant zum Ausdruck kommt: "Vater werden ist nicht
schwer, Vater sein dagegen sehr." Es folgen die Zeilen: "Steht dann
eines Morgens da als ein Vater und Papa."
Besagter Reim verdichtet ein Vorurteil: Vater
werden ist nicht schwer, es passiert mehr oder weniger
plötzlich und wie von allein. Dass dem keineswegs so ist, soll
in dem nachfolgenden Artikel skizziert werden. Die
Ausführungen hierzu beziehen sich auf die Untersuchung
"Männer im Übergang zur Vaterschaft. Das Entstehen der
Beziehung zum Kind".
Wer sich mit Fragen, was eigentlich ein Vater
ist, was einen Mann zum Vater macht, und was ihn schließlich
als Vater auszeichnet, auseinandersetzt, der wird feststellen,
einfache oder gar eindeutige Antworten sind hier nicht zu haben.
Historische und Kultur vergleichende Untersuchungen zeigen, dass
biologische und soziale Vaterschaft in keinem unmittelbaren,
zwingenden Verhältnis zueinander stehen. Sie offenbaren ferner
die erstaunliche kulturelle Plastizität der Vaterrolle. Weder
die Zeugung noch die Geburt und damit die definitive Anwesenheit
eines Kindes machen einen Mann auf der psychischen Ebene
unweigerlich zum Vater. Das wird man nicht über Nacht,
vielmehr handelt es sich beim Vaterwerden um einen komplexen,
konfliktträchtigen und störungsanfälligen
Aneignungs- und Identitätsbildungsprozess.
Der Übergang zur Vaterschaft ist eine
psychosoziale Umbruchphase, in der tief greifende
Veränderungen eingeleitet werden, die sich auf den sozialen,
interpersonellen und intrapsychischen Raum beziehen. "Das ganze
Leben musst du umkrempeln", so bringt es ein werdender Vater
für sich auf den Punkt. Zu erwarten sind gravierende
Veränderungen, die den gewohnten Tagesablauf und die
bestehende Lebenspraxis betreffen. Hinzu kommen Veränderungen
im sozialen Umfeld, im familialen Bezugssystem, innerhalb der
Partnerschaft sowie Veränderungen, die sich auf die eigene
Person beziehen. So gilt es, ein Selbstverständnis als Vater
zu entwickeln, das in das bestehende Selbstkonzept integriert
werden kann (Neudefinition der persönlichen und sozialen
Identität). Erschwerend ist der Umstand, dass sich nicht auf
eine klare Definition der Vaterrolle bezogen werden und allzu oft
eben auch nicht auf ein positiv internalisiertes Vaterbild
zurückgegriffen werden kann.
Der Prozess der psychischen und sozialen
Umorganisation wird bereits in der Schwangerschaft eingeleitet und
korrespondiert auch bei Männern, die sich ein/das Kind
wünschen, mit höchst ambivalenten Gefühlen. Besagte
Ambivalenz kann sich mitnichten selbstverständlich ein- und
zugestanden werden. Zu registrieren, dass nicht nur Vorfreude,
sondern auch Ängste, Zweifel oder gar Gefühle der
Ablehnung in ihnen Raum einnehmen, scheint werdende Väter
ebenso zu verunsichern und Rechtfertigungen nötig zu machen
oder auch Schuldgefühle zu evozieren wie der Umstand, dass
nicht so intensive Gefühle erlebt werden, wie man erwartet
hatte. Vaterpflichten beginnen heute - sei es in Form von
Erwartungen anderer oder auch in Form von Erwartungen an sich
selbst - schon lange vor der Geburt des Kindes. Zu diesen
gehört die Beschäftigung mit der Schwangerschaft und der
nahenden Geburt; gefordert werden aber anscheinend auch intensive
und vor allen Dingen "richtige", also positive Gefühle
gegenüber dem Kind und der Vaterschaft.
Der Umstand, dass es werdenden Vätern
häufig schwer fällt, sich ambivalente oder sogar
"negative" Gefühle zuzugestehen, verweist auch auf die
bestehende Geschlechterrollenordnung. Schwankende Gefühle -
oder weiter formuliert: eine regressive Position - werden der
werdenden Mutter zugestanden. Dem werdenden Vater hingegen wird die
Aufgabe zugewiesen, die Partnerin zu entlasten, zu stabilisieren
und mit ihrer möglichen emotionalen Instabilität umgehen
zu können. In einer Zeit, in der in besonderer Weise
Stärke (von sich) gefordert und als notwendig erachtet wird,
können "schwankende" oder gar "negative" Gefühle als
besonders bedrohlich erlebt werden.
Interviews mit werdenden Vätern zeigen,
dass gerade die Zeit der Schwangerschaft als emotional
verunsichernd erlebt wird. Sie konfrontiert mit auf die Vaterschaft
und auf das Kind bezogenen Phantasien und Ängsten, denen keine
äußere Realität entgegengesetzt werden kann. Die
Zeit der Schwangerschaft ist eine Periode, in der weitgehende, aber
eben (noch) nicht fassbare Veränderungen antizipiert werden.
"Hilflos erwartend" charakterisiert ein werdender Vater seine
emotionale Befindlichkeit und definiert damit das Fühlen,
ohnmächtig und ausgeliefert zu sein.
Äußerungen werdender Vätern
verweisen darauf, dass der Begriff "Vater" eng mit dem Begriff
"Verantwortung" verknüpft wird. Besagte Verknüpfung ist
einerseits positiv konnotiert (die Verantwortung eines Vaters wird
als Herausforderung und Aufwertung erlebt), andererseits jedoch
auch belastend, da somit die Frage im Raum steht: Schaffe ich das,
werde ich der Verantwortung auch gewachsen sein? In diesen
Zusammenhang gehört auch die Befürchtung, eine
Vaterschaft zwinge in einem normativen Sinne dazu, erwachsen zu
werden.
Belastend können auch mit einer
Vaterschaft assoziierte Veränderungen sein, die dem
Bewusstsein nicht unmittelbar zugänglich sind, so zum Beispiel
die Phantasie, auf die Herkunftsfamilie zurückverwiesen zu
werden und in eine erneute Abhängigkeit zu geraten. Zur
Disposition steht hier eine möglicherweise mühsam
errungene und aufrecht erhaltene Autonomie. Träume und
Phantasien werdender Väter weisen darauf hin, dass eine
Vaterschaft nicht nur das Ende der Adoleszenz anmahnt, sondern
darüber hinaus auf die Endlichkeit des eigenen Lebens verweist
(wer Vater wird, rutscht eine Stufe in der Generationenfolge
weiter). Eine besondere Herausforderung ist für werdende
Väter die sich in der Schwangerschaft konkretisierende
Triangulierung der Paarbeziehung. Erfährt ein Paar, dass ein
Kind "unterwegs" ist, so verändert dies in spezifischer Weise
die dyadische Situation der Liebesbeziehung. Das Hinzukommen eines
Dritten eröffnet eine triadische Struktur, die von bewussten
und unbewussten Beziehungsphantasien begleitet wird. Virulent
werden hier gerade auch Ängste und Befürchtungen, die
der/die "Dritte im Bunde" auslöst.
Äußerungen werdender Väter
zeigen, dass dem Faktum des heranwachsenden Kindes im Leib der
Mutter weitreichende Konsequenzen zugeschrieben werden. Vermutet
wird, dass die Mutter-Kind-Beziehung in dieser Zeit aufgrund der
körperlichen Verbindung quasi naturwüchsig eine
nachhaltige Stärkung erfährt und auf diese Weise
gegenüber der Vater-Kind-Beziehung einen Vorsprung gewinnt
(Mutter und Kind wachsen im übertragenen Sinne zusammen).
Werdende Väter thematisieren das Gefühl, es schwerer als
ihre Partnerin zu haben, die Schwangerschaft zu realisieren und als
"wirklich" zu erleben, sie glauben der vermeintlich "realen"
Verbindung zwischen Mutter und Kind nur eine imaginäre oder
mentale Beziehung entgegensetzen zu können, die als nicht
gleichwertig angesehen wird. In diesem Zusammenhang werden
zahlreiche Metaphern verwendet, die anschaulich machen, in welcher
Rolle sich werdende Väter im entfaltenden Beziehungsdreieck
erleben. Die Rede ist zum Beispiel vom "Mitläufer", vom
"Zuschauer in der ersten Reihe" oder von dem, "der hinten dran
hängt".
Die Überzeugung wiederum, Mutter und
Kind ge-wönnen in der Schwangerschaft einen
Beziehungsvor-sprung, hat Auswirkungen darauf, wie die Zeit nach
der Geburt imaginiert wird. Zentral ist hier die Phantasie eines
asymmetrischen Beziehungsdreiecks. Antizipiert werden schmerzhafte
und Angst besetzte Verlust- und Ausschlusserfahrungen, die darauf
basieren, dass das Kind als potentieller Rivale, Partnerin und Kind
als das ideale Paar und die eigene Person als an den Rand
gedrängten oder ausgeschlossenen Dritten imaginiert werden.
Sprechen werdende Väter vom "Aufholen" und "Einholen des
Vorsprungs" beziehungsweise vom "Ausgleichen der Zeit der
Schwangerschaft", so klingt hier die bange Frage an, ob es wohl
gelingen wird, für das Kind als Vater einmal ähnlich
bedeutsam zu sein wie die Mutter. Das Kind wird jedoch nicht nur
als potentieller Rivale, sondern auch als etwas Verbindendes
imaginiert. Abstrakter formuliert verknüpft sich in dieser
Perspektive mit dem Kind der Wunsch, dass es das Dritte sein
möge, in dem sich das Paar spiegeln und verstetigen kann. Die
(Angst-)Phantasie, dass das Kind den Vater verdrängen wird,
beziehungsweise die Befürchtung, die Partnerin als
Liebesobjekt an das Kind zu verlieren, löst Eifersuchts- und
Neidgefühle aus, mit denen es umzugehen gilt.
Die Lebensphase des Übergangs zur
Vaterschaft hat Merkmale einer Krise; sie gibt zugleich aber auch
An-stöße für Reifung und Wachstum. Der Übergang
zur Vaterschaft stößt eine (erneute) Auseinandersetzung
mit der eigenen Kindheit und damit auch mit den Protagonisten sowie
der Beziehungsstruktur der Herkunftsfamilie an. Im Kontakt und in
der Auseinander-setzung mit ihren Kindern begegnen Väter ihren
eigenen ungelösten (Entwicklungs-)Konflikten. Diese
können bereits in der Schwangerschaft, also auf dem Weg in die
Vaterschaft aufgestört werden. Neben den schmerzhaften und
bedrohlichen Momenten ist damit auch die Chance verbunden, sich
diesen Konflikten noch einmal zu stellen und für sie eine
bessere "Lösung" zu finden.
Prof. Dr. Ariane Schorn lehrt am Fachbereich
Soziale Arbeit und Gesundheit der Fachhochschule Kiel.
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