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Bert Schulz
Die Frau von morgen war gestern
Über Trugbilder, Klischees und andere
Irrtümer
Auf dem ersten Höhepunkt ihrer Emanzipation
im vergangenen Jahrhundert gestand der Dichter Georg von der Vring
den Frauen, galant, achtungsvoll und durchaus ein wenig euphorisch,
zu: "Sie haben sich nicht unvorteilhaft verändert, meine
Damen!"
Es war das Jahr 1929, und von der Vring
durfte die neu errungene Stellung der Frau in der Gesellschaft
loben, zusammen mit 15 renommierten, politisch meist progressiven
Schriftstellern (Betonung auf der männlichen Form) in einer
Essaysammlung mit dem schönen Titel: "Die Frau von morgen wie
wir sie wünschen". Er tat dies, wie viele der Autoren, mit
einer Mischung aus Selbstverständlichkeit und Sorge.
Schließlich ließ sich nicht ganz von der Hand weisen,
dass sich die "Offensive der Frau" (so der Titel seines Textes)
auch auf Kosten des männlichen Geschlechts vollzog. Es war
keine leichte Zeit für die Herren, damals, zehn Jahre nachdem
sie auf ihrer ureigensten Domäne, dem Krieg, so schrecklich
und vollkommen versagt hatten und quasi als Quittung die Frauen als
Konkurrenz präsentiert bekamen.
An dieser Situation hat sich bis heute nichts
geändert. Wie auch? Schließlich und eigentlich ist es nur
gerecht, dass sich die Damen ein bisschen großzügiger im
Herrenhaus einrichten. Das zuzugestehen wird wohl kein Mann -
galant wie Cary Grant in seinen besten Rollen - bestreiten.
Schließlich geben wir gerne immer noch zu, dass das "schwache"
Geschlecht in Fragen des Stils und der (Wohnungs-)Einrichtung mehr
Ahnung hat als wir. Allerdings macht diese Großzügigkeit
unsere Lage nicht leichter. Wir müssen uns mit den
Früchten von einem vollen Jahrhundert Frauenemanzipation
herumschlagen, Bilanz ziehen und vielleicht sogar etwas daraus
lernen. Aber wie sollen wir mannhaft diese Aufgabe bewältigen,
wenn noch nicht mal die Frauen wissen, was sie in diesen Zeitraum
erkämpft statt erkocht haben?
Das klingt jetzt ein wenig wehleidig. Aber
irgendwo muss dieses klassische Klischee über "die"
Männer ja herkommen. Schließlich flüchten auch wir
uns in Abziehbilder, wenn es um die - im Sportreporterjargon
formuliert - "Mädels" geht. Ohne sie läuft in den
Geschlechterbeziehungen noch immer gar nichts. Selbst wenn wir uns
einreden, Klischees ironisch zu verwenden und damit zu "brechen",
wie das so schön heißt: Ganz verlassen hat uns der Glaube
an die Richtigkeit der alten Vorstellungen noch nicht.
Beispiel: Unser Blick auf jene Frauen, die
wir gar nicht kennen, aber denen wir mit Blicken und Gedanken
folgen. Die Männerversteher vom Umfrageinstitut Allensbach
haben 70 Jahre nach Georg von der Vring herausgefunden, dass
jeweils gut zwei Drittel der männlichen Wesen "die" Frau
erstens für zärtlich, zweitens für eitel und
drittens für charmant halten. Wie gesagt, Frauen im
Allgemeinen. Nur: Wir lassen uns immer wieder blenden. Denn, so die
Untersuchung weiter, falls wir uns die Mühe machen - und wir
machen sie uns bisweilen -, dieses Bild anhand eigener Erfahrungen
zu überprüfen, ist es vorbei mit der eitlen flotten
Biene. Nur ein knappes Drittel der uns bekannten Frauen, so wissen
wir, erfüllt diese vermeintlich so typisch weiblichen
Eigenschaften.
Eigentlich ist das ein schönes Ergebnis.
Aber leider gilt diese Selbsttäuschung - wir könnten es
ja besser wissen - auch für die anderen Charakteristika. Unser
prinzipiell recht makelloses Bild von der charmanten und
zärtlichen Weiblichkeit zerfällt genauso in der
Realität. Die uns bekannten Frauen sind, um den Blick auf die
trockene Statistik abzuschließen, in der Praxis zudem weniger
nörglerisch und verschwendungssüchtig als ihr Ruf, haben
aber einen guten Schuss mehr Durchsetzungsvermögen als wir
allgemein erwartet hätten.
Der Befund stimmt nachdenklich. Wir lassen
uns zwar gerne überraschen, aber nicht täuschen. Aber
offensichtlich hängen wir Trugbildern nach. Und könnte es
sein, dass sich die Frauen nicht in der Theorie, aber dummerweise
in der Praxis dem männlichen Auftreten mehr und mehr
annähern? Diese Entwicklung zehrt am Selbstwertgefühl.
Das ist freilich nichts Neues. Schon in der genannten Essaysammlung
aus den im Rückblick nicht für alle so "goldenen
Zwanzigern" schrieb die Unsicherheit immer mit.
Offensichtlich befinden wir uns als Mann in
der Gesellschaft auf dem Rückzug aus den gewohnten
vorzüglichen Positionen und Rollen. Natürlich belehren
uns Erbsenzähler(-innen) immer wieder, dass es damit -
statistisch gesehen - gar nicht so weit her sei. Zu viele
Großverdiener und, verglichen damit, viel zu wenig
Großverdienerinnen; zu viele Entscheider und viel zu wenig
Entscheiderinnen; zu viele Bundeskanzler und keine
Bundeskanzlerinnen. Aber es ist doch offensichtlich: Letztlich
können wir nur verlieren. Oder, um es in der männlichen
Sprache mit den beliebten Anleihen aus dem Militärischen zu
formulieren: Im "Geschlechterkampf" fühlt sich der
männliche Part wie ein Feldherr, der weiß, dass die
Schlacht zwar nicht unbedingt verloren, aber zumindest nicht mehr
zu gewinnen ist. Jetzt überlegt er sich reichlich verzweifelt,
auf welche Position er sich zurückziehen könnte. Es
überrascht wenig, dass lediglich für ein knappes Drittel
aller Männer der Begriff "Frauenemanzipation" sehr positiv
besetzt ist.
Allerdings gibt es immer wieder Phasen, da
lässt sich das Rätselraten über die eigene Position
ganz gut verbergen. Wie derzeit: Offensichtlich lahmt die
"Offensive der Frau". Sie wird von uns zumindest nicht mehr so
aufdringlich empfunden wie in den 20er-Jahren oder im Zuge der
Nachwehen der 68er-Bewegung. So ergeben sich immer wieder kleine
und größere (vermeintliche) Gegenbewegungen. Beispiel:
Anfang der 90er-Jahre verkündete das "Nachrichtenmagazin"(!)
"Der Spiegel" das Ende der Frauenbewegung und dass die Männer
nun "zurückschlagen" würden - vielleicht in der Hoffnung,
in Zukunft noch ungezügelter als bisher schon blanke
Frauenhaut zu jedem erdenklichen Thema auf das Titelbild bringen zu
können. Gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts schwappte dann
die Welle britischer Hochglanz-Magazine für Jungs auf den
Kontinent über. Nachdem das Schlachtschiff der
Männerbewegung, der "Playboy", bereits mehr als nur graue
Schläfen bekommen hat, können wir uns nun an Heften wie
"Maxim" und "Matador" mit ihren Schlagzeilen Marke: "So kriegst du
sie in fünf Minuten rum" ergötzen und Zweifel an unserem
Rollenverständnis hinter einer enorm vergrößerten
Masse an Titelbildern mit spärlich bekleideten, scharf
ausgeleuchteten 25-jährigen (Film-)Sternchen verstecken.
Ältere Semester dürfen familiengerecht auf die der selben
Zeit entsprungenen TV-Magazine zurückgreifen, die von
vollbusigen Blondinen meist aus einer Fernseh-Soap angepriesen
werden.
Auf diese Art bleiben die alten Frauenbilder
in den Herrenhirnen verhaftet, während sie von der
Realität überholt werden. Wir wissen das. Und deswegen
erneuern wir das Kompliment Georg von der Vrings gerne und
unverändert: "Sie haben sich nicht unvorteilhaft
verändert, meine Damen." Aber bitte einigen Sie sich doch
darauf, wo und wann ihre Verwandlung endet. Damit wir uns darauf
einstellen können.
Bert Schulz lebt als freier Journalist in
Berlin.
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