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Matthias Lohrer
Beraten und verkauft
Die Branche der Berater ist ins Gerede
gekommen
Unter "Berater" verstehen die Autoren dieses Buches nicht die
klassischen Lobbyisten, sondern die großen
Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer und
Wirtschaftskanzleien, also Unternehmen wie Accenture, Roland
Berger, McKinsey und andere. Das Buch ist von der Wahrnehmung
motiviert, dass diese Unternehmen politische Entscheidungen
mittlerweile in erheblichem Umfang beeinflussen. Ihre Rolle wird in
der Öffentlichkeit aber kaum erkannt und diskutiert. Diese
Lücke will das Buch schließen.
Den Anfang bilden drei Beiträge von "Aussteigern". Hier
berichten ehemalige Mitarbeiter von Beratungsgesellschaften
über ihre zum Teil haarsträubenden Erfahrungen, die man
in einem Wort zusammenfassen kann: Wirtschaftskriminalität. Es
geht um den Vertrieb illegaler Steuersparmodelle,
Buchungsmanipulationen und die Bereitschaft der
Beratungsunternehmen, offensichtlich falsche Darstellungen als
richtig zu akzeptieren und zu testieren.
Nach diesem Paukenschlag geht es mit analytischen Beiträgen
weiter. Stephan Lindner porträtiert die Entwicklung der
neoliberalen Think-Tanks in Deutschland. Werner Rügemer
analysiert die Arbeitsweise und Verfilzung der
Beratungsunternehmen. Es folgen acht Darstellungen verschiedener
Projekte, bei denen öffentliche Einrichtungen mit Beratern
zusammengearbeitet haben. Die Projekte stammen aus den Bereichen
Bildung und Wissenschaft, Soziales und Kultur, Kommunen,
Länderregierungen und Europäische Kommission.
Rügemers Kernkritik an den Beratungsunternehmen lautet:
Kommerzielle Beratungsunternehmen sind aufgrund ihres
Geschäftsmodells kaum dazu in der Lage, öffentliche
Institutionen unabhängig zu beraten. Beratungsunternehmen sind
darauf spezialisiert, privaten Unternehmen möglichst hohe
Gewinne zu ermöglichen. Sie sind aber keine Experten darin,
die Lasten für die Allgemeinheit zu reduzieren. Ein
möglicher Weg zur Gewinnmaximierung ist die Steigerung der
ökonomischen Effizienz.
Diesen Aspekt heben die Berater gerne hervor, denn davon
können auch Verwaltungen profitieren. Aber es gibt auch andere
Wege, die viel effektiver sein können. Unternehmen können
beispielsweise die Zahlung von Steuern vermeiden oder Lasten auf
die Allgemeinheit abwälzen, anstatt sie selbst zu tragen. Das
geschieht etwa durch Umweltverschmutzung und Entlassungen. Und da
Beratungsunternehmen nicht nur öffentliche Einrichtungen,
sondern stets auch private Firmen zu ihrem Kundenkreis zählen,
ergeben sich für die Berater ständig Zielkonflikte. Ein
Beispiel: Ein Beratungsunternehmen berät eine Kommune, wie sie
ihren Abfall beseitigen soll, und andererseits den Hersteller von
Müllverbrennungsanlagen, wie er seine Produkte absetzen soll.
Das Ergebnis ist vorhersehbar: Die Kommune erhält den "Rat",
doch möglichst gewaltige Müllverbrennungsanlagen zu
errichten.
Dort, wo die Verwaltungen sich nichts vormachen lassen, ist es
bis zur Entzauberung der vorgeblichen "Experten" häufig nicht
mehr weit. So stellt es beispielsweise Peer Pasternack in seinem
Beitrag über die Beratung von Hochschulen dar. Ein Berater von
Roland Berger Strategy Consultants stellte für die Berliner
Hochschulen mögliche Einsparungen in Höhe von 200
Millionen Euro in Aussicht. Überzeugen konnte er dabei aber
nicht, denn, so der Autor: "Als Quellengrundlagen der Berechnungen
wurden offenbart: Schätzungen des Finanzsenators, Erfahrungen
aus anderen Bundesländern und Erinnerungen von
Roland-Berger-Mitarbeitern an ihre Studienzeit an der Freien
Universität. Hier wurde nun auch methodisch die Differenz zu
wissenschaftlicher Analyse überdeutlich."
Das Buch hat einen urdemokratischen und aufklärerischen
Anspruch. "Leute, lasst euch doch nicht ins Bockshorn jagen!", ruft
es seinen Lesern zu. Es ist einfach unwahrscheinlich, dass in
Dortmund binnen zehn Jahren 70.000 neue Arbeitsplätze
entstehen werden, wenn diese Zahl an Arbeitsplätzen in den
Bereichen Kohle und Stahl weggefallen sind. Das ist auch dann noch
unwahrscheinlich, wenn McKinsey diese Entwicklung dem Auftraggeber
der Studie, der Thyssen Krupp AG, bescheinigt hat. Der konnte sich
mit diesem "Gutachten" aus der Pflicht stehlen, selbst für
neue Arbeitsplätze zu sorgen. Nach mittlerweile vier Jahren
sind bis heute erst 4.000 neue Arbeitsplätze entstanden.
Werner Rügemer (Hrsg.)
Die Berater,
Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft.
transcript Verlag, Bielefeld 2004; 244 S., 21,80 Euro
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