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Johanna Metz
Das Plädoyer eines Optimisten
Zeithistoriker Timothy Garton Ash diskutiert
über die Krise des Westens
Timothy Garton Ash ist ein optimistischer Mensch. Der britische
Zeithistoriker träumt von einer freien Welt voller liberaler
Demokratien. Wenn sich Europa und Amerika einig seien, hofft er,
könnten sie gemeinsam die Ausbreitung von
Massenvernichtungswaffen verhindern, den Nahen Osten befrieden und
demokratisieren, die Klimaerwärmung stoppen, das Gefälle
zwischen Arm und Reich beseitigen und den unaufhaltsamen Aufstieg
des Pazifischen Raumes kontrollieren. So visionär, so gut.
Als der Autor am vergangenen Mittwoch zusammen mit
Bundesaußenminister Joschka Fischer und dem Wegbereiter der
Neuen Ostpolitik, Egon Bahr, im Beamtenbund-Forum in Berlin
über sein neuestes Buch "Freie Welt. Europa, Amerika und die
Chance der Krise" diskutiert, ist sich die Runde einig, dass seit
dem Fall des Eisernen Vorhangs, spätestens aber seit dem 11.
September 2001, der Westen in der Krise steckt: Amerika, als
einzige verbliebene Supermacht nach Ende des Kalten Krieges,
überschätzt seine militärische und ökonomische
Macht - eine Hybris mit unabsehbaren Folgen nicht nur für die
USA. Das transatlantische Bündnis ist tief gespalten, seit mit
dem Irakkrieg die Gegensätze zwischen den USA und Europa noch
deutlicher geworden sind. Und auch die Europäische Union ist
nicht in der Lage, in wichtigen Fragen der Außen- und
Sicherheitspolitik gemeinsame Positionen zu beziehen.
Garton Ash sieht die Ursache darin vor allem in der
jahrhundertelangen Rivalität zwischen dem traditionell
euroskeptischen England und dem eurogaullistisch geprägten
Frankreich. Deutschland falle die Vermittlerrolle zu, wolle man
diesen Gegensatz in Europa auflösen. Dann beginnt er, auf
einem kleinen Tischchen mit Selters-Flaschen umherzurücken.
"Hier steht Frankreich. Hier England. Und da in der Mitte befindet
sich Deutschland." Deutschland sei doch schließlich die
Zentralmacht Europas, bekräftigt er, aber leider, und da
schwingt in seiner Stimme Bedauern mit, nehme Deutschland diese
Schlüsselrolle im Moment nicht ganz wahr - "oder Herr
Fischer?"
Da schraubt sich auch Egon Bahr aus seinen Stuhl, in dem er
bislang eher lässig gelehnt hatte: "Ja, Herr Fischer, sollten
wir nicht mehr politisieren?" Fischer, verdutzt, sagt "nö",
was, verständlicherweise, die Fragenden nicht zufrieden
stellt. Deshalb fügt er nach einer Pause hinzu, nicht die
Tatsache, dass es gegensätzliche Positionen in Europa gebe,
finde er schlimm, vielmehr sei das Problem die fehlende Institution
in der Außen- und Sicherheitspolitik. "Sorry to say so,
Timothy", entschuldigt Fischer seinen Widerspruch; ein Satz, den er
gern und oft an diesem Abend wiederholt. Wenn die EU-Verfassung in
Kraft trete, könne Europa mit einem EU-Außenminister auch
Einigkeit demonstrieren. Bahr ist da skeptischer. Wie wolle man
denn mit 25 Mitgliedern zu gemeinsamen Lösungen kommen, wenn
das vor 30 Jahren nicht mal mit sechs Mitgliedern funktioniert
habe, fragt er.
Doch Garton Ash ist zuversichtlich, dass diese Probleme
lösbar sind. Es gebe schließlich in den langfristigen
vitalen Interessen zwischen Amerika und Europa und innerhalb
Europas keine fundamentalen Unterschiede.
Allen müsse außerdem klar sein, dass weder Europa noch
Amerika allein die Herausforderungen der Zukunft meistern
könnten. Europa solle sich daher nicht als Rivale zu den USA
positionieren, das Ziel solle eher eine "operative
Wir-Gemeinschaft" sein, die neben Europa und den USA auch
Länder und Kontinente wie Indien, Südamerika oder
Australien umfassen müsse.
Mit einem derart gestärkten Bündnis könnte aus
der Krisenentwicklung und wachsenden Entfremdung zwischen den
westlichen Mächten in den vergangenen Jahren die Chance
erwachsen, die globalen Probleme in Zusammenarbeit zu
lösen.
Den Weg zu einer gemeinsamen Politik finden - für den
Optimisten Garton Ash ist das keine leere Formel, sondern eine
Verpflichtung .
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