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Juli 07/2000
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ÖFFENTLICHE ANHÖRUNG DES INNENAUSSCHUSSES

Defizite des Bundes bei der Regelung von Videoüberwachung festgestellt

(in) Defizite bei der Regelung von Videoüberwachung gebe es beim Bund sowohl für den öffentlichen Bereich von Bundesreinrichtungen als auch vor allem bei der Überwachung privaten Raums mit öffentlichen Zugang nach dem "Hausrecht". Dies haben Sachverständige im Rahmen einer öffentlichen Anhörung am 5. Juli im Innenausschuss erklärt. Dagegen sei die Polizeigesetzgebung für Videoüberwachung seit langem festgelegt, auch wenn sie wegen unterschiedlicher Länderregelungen einer Angleichung bedürfe.

Den Unterschied privater und polizeilicher Videoüberwachung erläuterte Klaus-RainerKalk vom Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt am Beispiel von Leipzig, wo es wochenlange Diskussionen um eine Videokamera der Polizei auf dem Bahnhofsvorplatz gegeben habe, während 100 Videoüberwachungssysteme auf dem Bahnhofsgelände ohne Diskussion betrieben würden.

Regelungsbedarf des Bundes sah auch Tilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein für die Video.überwachung nichtöffentlicher, privater Räume mit öffentlichem Zugang.

Mit pauschalen Formeln zur Sicherheit nicht zu begründen

Mit einer pauschalen "Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit" sei Videoüberwachung nicht zu begründen. Sie müsse gesamtgesellschaftlich einwandfrei gesetzlich geregelt und durch Datenschutzkontrollinstanzen reguliert werden. Die automatische Löschung von Aufzeichnungen sei unabdingbar für Akzeptanz und Transparenz der Vorgänge.

Intensive Öffentlichkeitsarbeit hielt Professor Ulrich Stephan von der Polizeihochschule Villingen-Schwennigen für nötig, da sonst der Sicherheitsbonus durch Misstrauen ersetzt werde. Anlass zu Spekulationen über Missbrauch gebe es dennoch nicht. Beim Internet "würde niemand wegen ein paar hundert idiotischen Beiträgen im Netz den millionenfachen Nutzen anzweifeln". Videoüberwachung dürfe aber nicht überschätzt werden. Sie sei ein Hilfsmittel und ersetze die Polizei nicht, sondern ergänze sie. Ein Sicherheitsbeitrag werde Videoüberwachung nur, wenn polizeiliche Hilfe tatsächlich erfolge. Generell problematisch sei die Aufzeichnung und Übermittlung von Videos. Eindeutig geklärt werden müsse der Zugang durch autorisierte Personen und automatische Löschung nach zwei Stunden. Polizeiliche Videoüberwachung sei in der Länderzuständigkeit weitgehend geregelt, dringend gefragt sei dagegen die Kompetenz des Bundes bei privatrechtlicher Nutzung.

Längere Sicherungsfristen von Videoaufzeichnungen erwartete Winfried Roll vom Landeskriminalamt Berlin. Verbrechensbekämpfung erfordere eine automatische Datenlöschung nicht in Stunden, sondern in Wochen. Roll konstatierte positive Erfahrungen in Großbritannien und Leipzig. Straftaten seien bis zu zwei Drittel reduziert worden, ohne einen Verdrängungsmechanismus in andere, nicht videoüberwachte Bereiche zu verursachen. Er befürchtete aber eine zunehmende Bereitschaft zur flächendeckenden Überwachung bei Anzeichen einer Verlagerung. In England habe Videoüberwachung nach dem Modellversuch in Bornemouth einen Siegeszug durch englische Kommunen genommen.

85 Prozent der englischen Städte haben Videoüberwachung

Heute würden über 85 Prozent aller englischen Innenstädte mit Video überwacht. Videoeinsatz müsse kritisch auf Notwendigkeit und Ursachen hinterfragt werden. Roll zitierte den britischen Chef-Inspektor Herman Hill mit den Worten, "Ich sehe nicht viel Verbrechen in Berlin". 1998 verglich Hill 80 Fälle von Handtaschenraub auf den 890 Quadratkilometern Gesamt-Berlins in fünf Wochen der gleichen Anzahl von Delikten einer Woche auf der 2,5 Kilometer langen Oxford-Street – vor der Videoüberwachung.

Professor Hans-Heiner Kühne von der Universität Trier erklärte, die fast flächendeckende Videoüberwachung der Londoner City sei keineswegs zur Sicherheit des Bürgers vor kriminellen Straftaten entwickelt worden, sondern zur Vermeidung und Verfolgung nordirischer Bombenattentate. Kühne stellte fest, es gebe eine "normative Spekulation" zur Akzeptanz, wonach Bürger eine Videoüberwachung zunehmend als grundrechtskonform ansähen. Gesamtstaatlich sinke seit vier Jahren die Zahl krimineller Delikte. Für Deutschland monierte Kühne die unterschiedliche Rechtslage in Bund und Ländern und fordert eine Angleichung.

Zunehmend kritisch sah Roland Bachmaier vom Bundesbeauftragten für Datenschutz die Videoüberwachung. Zwangsläufig würden Bürger – ob gewünscht oder nicht – von Videogeräten aufgenommen. Die Art der Erfassung, Aufzeichnung oder Zweck sei ihnen dabei nicht ersichtlich.

Unbefugte Weitergabe von Videos unter Strafe stellen

Eine Situation, "bei der Bürger nicht wissen können, wer was wann über wen weiß" erfordere hinsichtlich der Sicherheit eine angemessene Abstimmung der Interessen. Die unbefugte Weitergabe von Aufzeichnungen müsse unter Strafe gestellt werden. Besonders problematisch sei es, "wenn Private den öffentlichen Raum beobachten". So sei für das "private Hausrecht" eine Rechtsregelung durch den Bund absolut vorrangig.

Professor Thomas Feltes, ebenfalls von der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen, stellte ein futuristisches Szenario vor, in der sich digitaler Service, Überwachung und Kontrolle verselbstständigten. Feltes sah in der Ausbreitung und Bewährung der Videoüberwachung eine bedenkliche Entwicklung. Er hielt eine Entwicklung unterschiedlich sicherer Räume für wahrscheinlich, in der jeder "Fremde" als Gefährdung der eigenen Sicherheit wahrgenommen werde und die Gesellschaft auseinander breche. Überwachung durch Video begünstige technische Lösungen zulasten notwendiger gesellschaftlicher Prozesse und dürfe nur "sehr sparsam und in homöopathischen Dosen" eingesetzt werden.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0007/0007033
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