Kompetenzen und Amtsverständnis
Die Kompetenzen des Präsidenten und seiner Stellvertreter
haben sich in der parlamentarischen Tradition Deutschlands seit den
60er Jahren des 19. Jahrhunderts ausgebildet. Bei der Konzeption
des Amtes eines Parlamentspräsidenten hatte man sich weniger
am Modell des mit starken Kompetenzen ausgestatteten, aber
parteipolitisch neutralen "Speaker" des britischen Unterhauses,
denn am (schwächeren) französischen Modell orientiert.
Die vom Deutschen Reichstag übernommene Geschäftsordnung
des Reichstages des Norddeutschen Bundes (1867) nennt bereits die
wichtigsten, auch heute noch gültigen Aufgaben des
Präsidenten sowie der Vizepräsidenten.
In mehreren Reformschritten erheblich erweitert wurde die
Ordnungsbefugnis der (amtierenden) Präsidenten, um einen
geordneten Ablauf der Plenarsitzungen zu ermöglichen. In der
Weimarer Reichsverfassung (Art. 28) wurde den Präsidenten
zusätzlich zum Hausrecht auch die Polizeigewalt im
Reichstagsgebäude übertragen. Wie bereits erwähnt,
wurde die rechtliche Stellung des Präsidenten und der
Vizepräsidenten auch dadurch gestärkt, dass sie für
die Dauer der Wahlperiode gewählt sind.
Geht man von den zahlreichen, den Präsidenten betreffenden
Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundestages aus, kommt
ihm eine herausragende Stellung zu. Dies könnte darüber
hinwegtäuschen, dass in der parlamentarischen Praxis der
Ältestenrat als zentrales Lenkungsgremium fungiert und auch
dem Präsidium ein über seine wenigen formalen
Zuständigkeiten deutlich hinausgehender Einfluss zugewachsen
ist. Die tatsächliche "Macht" des Bundestagspräsidenten
hängt wesentlich von dem Einfluss ab, den er als Vorsitzender
dieser beiden Gremien geltend machen kann. Zu beachten ist auch,
dass ein großer Teil der in der Geschäftsordnung des
Bundestages (GOBT) aufgeführten Befugnisse den die
Plenarsitzung leitenden amtierenden Präsidenten betrifft. Aus
der gleichgewichtigen Verantwortung für die Plenarsitzungen
folgt konsequent die erhebliche Aufwertung, die das Präsidium
seit den 1960er Jahren faktisch erfahren hat. In den übrigen
Amtsgeschäften lässt sich der Präsident in der Regel
nur dann vertreten, wenn er persönlich verhindert ist, doch
gehen bei der Wahrnehmung auch dieser Verpflichtungen häufig
Besprechungen im Präsidium voraus. Von diesen Aufgaben soll
zunächst die Rede sein.