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Der Abgeordnete Peter Hettlich von Bündnis 90/Die Grünen flöge vielleicht gern mal per Anhalter durch die Galaxis. Aber er bewegt sich auch so an einem Tag in vielen verschiedenen Welten.
Das wird ein Sitzungstag. So viel steht schon morgens um sechs Uhr fest. Da ist Peter Hettlich noch ganz allein in seinem Büro, um sich auf die Arbeit vorzubereiten. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, frühestens um sieben am Schreibtisch zu sitzen. Aber die Chancen standen von Beginn an schlecht.
Peter Hettlich, 45 Jahre alt, 1,96 Meter groß, ein gebürtiger Kölner, der heute im sächsischen Dahlen in der Nähe von Torgau an der Elbe lebt, ist noch nicht lange im Bundestag. Aber anderthalb Jahre haben genügt, sich eine Menge Arbeit auf den Tisch zu holen. Alles Dinge, die ihn interessieren. Darüber hinaus gibt es noch Leidenschaften, die nicht verloren gehen sollen: die Raumfahrt, die Astronomie, die Suche nach außerirdischer Intelligenz. Nun, Letzteres übernimmt der Laptop im Büro. In Leerlaufzeiten bietet er dem Projekt SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence) freie Speicherkapazitäten an, um Signale aus dem All aufzufangen und zu kategorisieren. An der Bürowand, gegenüber dem Schreibtisch, hängt die ganze große Milchstraße auf ein langes Foto gebannt. Lauter Sternenträume.
Aber heute ist Ausschusstag und es geht um die Gestaltung des Machbaren, die Mühen der Ebenen, die kleinen Schritte. Das Machbare hat sperrige Namen. Es heißt Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, Fernstraßenausbaugesetz, Bundesschienenwegeausbaugesetz. So was treibt einem Tränen in die Augen – zwei Druckzeilen für ein Wort.
Um 9.30 Uhr beginnt die Sitzung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Paul-Löbe-Haus, Raum E 600. Der Plan von gestern ist der Plan von gestern. Heute weiß man, dass Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe kommen wird, um über den Stand der Verhandlungen zum Thema Maut zu berichten. Das wird die Gemüter in Wallung und den Journalisten brauchbare Schlagzeilen bringen.
Bis 9.30 Uhr hat Peter Hettlich mit seinen Mitarbeitern den Tagesplan hin und her gewendet. Die Geburtstagsfeier bei der Fraktionskollegin am Nachmittag könnte er schaffen. Die Arbeitsgruppe Gentechnik um 17.30 Uhr? Das sieht schlecht aus. Vielleicht aber gelingt ihm ein Abstecher in die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, wo es heute um das Satellitenprogramm Galileo geht. Das wäre wunderbar, denn der Abgeordnete interessiert sich sehr für das Projekt. Die Frage ist, ob er in den Europaausschuss muss. Das wird er mit seinem Fraktionskollegen besprechen.
Kurz vor halb zehn läuft Peter Hettlich vom Büro zum Verkehrsausschuss. Er macht ziemlich große Schritte – kein Wunder bei dem Gardemaß. Außerdem kann er schnell sprechen. So schnell, dass man sich nicht ablenken lassen darf. In vierzig Sekunden wäre eine halbe Geschichte verpasst. Am Abend wird der Abgeordnete zugeben, dass seine Art zu reden manchmal Verwirrung stiftet. Da hat man sich allerdings schon an die hin und wieder sehr assoziativen Gedankensprünge gewöhnt.
Bevor der Minister in den Ausschuss kommt, kann noch über ein Gesetz zum Seeverkehrsabkommen diskutiert und der Bericht der Bundesregierung gehört werden. Peter Hettlich macht sich Notizen. Von der Besuchergalerie im Sitzungssaal aus ist nicht zu sehen, ob er Begriffe wie Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ausschreibt oder mit eigens gefundenen Abkürzungen notiert. Auf jeden Fall füllen sich die Blätter.
Um 10.40 Uhr kommt der Minister, die Journalisten geraten kurz in Hektik und wollen wissen, was am Abend zuvor bei den Verhandlungen zur Maut erreicht worden ist. Manfred Stolpe redet über den Start, die Kosten, Kernforderungen. Um 11.07 Uhr ist er im Ausschuss, die Türen schließen sich. Um 12.28 kommt der erste Fraktionssprecher, um ein Statement zum Gehörten abzugeben, ihm folgen die Sprecher der anderen Fraktionen.
Um 12.50 Uhr spricht noch einmal der Minister und dann der Ausschussvorsitzende Eduard Oswald. Die Journalisten sind zufrieden und ziehen ab.
Das war der erste Teil der Ausschusssitzung. Peter Hettlich bestellt ein Auto zur Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Auf dem kurzen Weg dorthin redet er über das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, zu dem er heute eigentlich hätte Bericht erstatten müssen. Nun ist das Thema, der Maut wegen, verschoben worden. Nach sieben Minuten Autofahrt hat der Abgeordnete die Grundzüge des Gesetzes erklärt, die Fallen und Unwägbarkeiten beschrieben, die Positionen der einzelnen Fraktionen erläutert und das Tempolimit beim Reden nicht eingehalten. Es gibt aber auch wirklich eine Menge zum Thema zu sagen.
Um 13.08 Uhr kommt er in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik an und um 13.15 Uhr ist er sich sicher, einen Fehler gemacht zu haben. Was hier erzählt und präsentiert wird, weiß er schon. Außerdem liegen die Redner schlecht in der Zeit, sie haben offensichtlich alle überzogen, so dass der Vortrag, für den sich Peter Hettlich am meisten interessiert, noch gar nicht dran ist. Galileo und Maut – die Themen haben viel miteinander zu tun, schließlich soll das Satellitensystem für das Zahlungssystem genutzt werden. Aber die Anwender- und Marktaspekte sind nicht dran, noch geht es um Herausforderungen, Konzessionen und Kooperationen.
Peter Hettlich bestellt ein Auto für 13.45 Uhr zurück ins Paul-Löbe-Haus. Er weiß nun, dass er erst einmal in den Europaausschuss muss. Mit leichtem Bedauern schaut er auf den Redner, der schon vor fünfzehn Minuten hätte fertig sein müssen und nun verhindert, dass das nächste Thema aufgerufen wird. „Überzieh nie deine Zeit beim Reden. Eiserne Regel“, sagt der Abgeordnete Hettlich, nimmt seinen gut 15 Zentimeter hohen Mappenstapel und geht zum Auto. Zum Schutz des Galileo-Redners wäre höchstens zu sagen, dass er nur halb so schnell spricht, wie der Abgeordnete.
Um 14 Uhr ist Peter Hettlich im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses. Hier beginnt eine Diskussion mit den Delegationen des Ausschusses für die Europäische Union der französischen Nationalversammlung und des Europaausschusses des polnischen Sejm. Es geht um die Zukunft der europäischen Verfassung. Das hat die Gemüter in den letzten Wochen und Monaten sehr beschäftigt.
Um 15.15 Uhr macht Peter Hettlich Tempo im Paul-Löbe-Haus und wechselt zwischen Europa- und Verkehrsausschuss. 15.47 Uhr spricht er dort zum Thema Nahverkehr, über Investitionssummen, Vorfinanzierung, Kosten-Nutzen-Rechnungen. Mit großer Geduld diskutiert man im Ausschuss über die verschiedensten Schienenprojekte, arbeitet sich von Usedom bis an die Alpen, redet über Knotenpunkte, Eisenbahnkreuze, Ausbaustrecken.
Peter Hettlich weiß inzwischen, dass er es nicht schaffen wird, seiner Fraktionskollegin zum Geburtstag zu gratulieren. Die beiden Ausschüsse halten ihn in Trab. Auch die AG Gentechnik wird endgültig abgesagt.
Um 16.28 Uhr sortiert er seine Papiere. Er wird den Verkehrsausschuss gleich verlassen, um wieder in den Europasaal zu gehen. 16.42 Uhr beginnt Peter Hettlich mit den Fingern zu trommeln und mit den Füßen zu scharren. Die Sitzung des Europaausschusses hat bereits vor zwölf Minuten begonnen, aber hier muss noch zu einem Schienenprojekt was gesagt werden: Usedom – die Badewanne der Berliner. Als dies getan ist, durchquert Peter Hettlich die Halle des Paul-Löbe-Hauses, steigt die Treppen zum Europasaal hoch und sitzt 16.58 Uhr auf seinem Platz.
Die nächsten Stunden sind sehr spannend. Günter Verheugen, Mitglied der Europäischen Kommission, berichtet über den Stand der Beitrittsvorbereitungen der zehn Kandidaten, die bald zur EU gehören werden, und über die Fortschritte Bulgariens, Rumäniens und der Türkei auf dem Weg in die Europäische Union. Danach können die Abgeordneten fragen, und das tun sie ausgiebig. Die Fragerunde beginnt um 17.55 Uhr.
Um 18.40 Uhr verlässt Peter Hettlich den Ausschuss. Er will auf jeden Fall noch zum Parlamentarischen Abend des Sports in die Landesvertretung Nordrhein-Westfalen. Da ist er pünktlich um 19 Uhr. Und da weiß er dann auch, dass er heute Abend noch Zug fahren wird. Nach Leipzig. Er ist gebeten worden, mit Nachdruck, doch zumindest in dieser Nacht und morgen Vormittag zu Hause zu sein. Dafür gibt es einen guten Grund.
Erst einmal aber noch ein parlamentarischer Abend – zumindest eine Stunde lang. Ein paar kurze Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, ein kleiner Moment der Entspannung, dann kommt das Auto und fährt ihn zum Bahnhof. Es ist 20 Uhr. In vier Stunden wird Peter Hettlich Geburtstag haben. Und wenn die Bahn so pünktlich ist, wie sie verspricht, wird er als noch 44-Jähriger aus dem Zug steigen. Wie war das gleich mit dem Bundesschienenwegeausbaugesetz?
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier